Schluss mit Greenwashing 

Die EU verschärft die Regulierung und macht strenge Vorgaben für die Werbung mit umweltbezogenen Aussagen. Was bedeutet das für die Werbewirtschaft?
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Umweltbezogene Aussagen auf Werbemitteln und Verpackungen sollen künftig auch halten, was sie versprechen. (© Adobe Stock)

Klimaneutral, bienenfreundlich, recyclebar – die EU schiebt dem Greenwashing einen Riegel vor. Gleich zwei Richtlinien sollen verhindern, dass Unternehmen ihre Produkte ungerechtfertigt grün anpinseln. Wer dagegen verstößt, soll hart sanktioniert werden können. Das Spektrum reicht bis hin zur Beschlagnahme von Gewinnen. 

Nachdem EU-Parlament und -Rat im Januar beziehungsweise Februar bereits die „Richtlinie hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel“ (kurz: ECGT- oder EmpCo-Richtlinie) beschlossen hatten, die Greenwashing explizit verbietet, wurde am 12. März auch deren “Schwester”, die Green Claims Directive, vom Parlament verabschiedet. Diese flankiert die ECGT-Richtlinie und spezifiziert, wie ökologische Werbeaussagen untermauert werden müssen, bevor sie eingesetzt werden dürfen. Das Paket soll dafür sorgen, dass umweltbezogene Aussagen auf Werbemitteln und Verpackungen künftig auch halten, was sie versprechen. Für Werbungtreibende bedeutet das ein Umdenken, denn das Gesetzespaket, das voraussichtlich 2026 in Kraft treten wird, führt dazu, dass sich der Aufwand und die Vorlaufzeiten deutlich erhöhen werden.  


Die ECGT: Die Richtlinie „Empowering Consumers for the Green Transition“ (ECGT) verbietet Greenwashing und ergänzt die EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UCPD). Sie soll sicherstellen, dass kommunizierte Informationen stimmen und so dargestellt werden, dass Verbraucher*innen sie richtig verstehen. Verboten werden generische Umweltaussagen und andere irreführende umweltbezogene Produktinformationen sowie nicht zertifizierte Nachhaltigkeitssiegel.  

Die GCD: Die Green Claims Directive spezifiziert die ECGT. Umweltbezogene Werbeaussagen sollen zum Beispiel wissenschaftlich belegt und vorab von einer unabhängigen Stelle geprüft werden. Dabei muss auch der Lebenszyklus eines Produktes berücksichtigt werden, also von der Produktion bis zur Entsorgung. Betroffen sind Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz über zwei Millionen Euro, die in der EU produzieren oder Produkte verkaufen wollen. 


Anders als beispielsweise gesundheitsbezogene Claims sind Umweltaussagen bislang nicht explizit definiert, aber im luftleeren Raum bewegen sich Werbungtreibende deshalb nicht: Das deutsche Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und die EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UCPD) schieben dem fröhlichen Flunkern schon jetzt einen Riegel vor, mit der ECGT werden diese Gesetze erweitert. Davon zeugen eine ganze Reihe – auch internationaler – Verfahren gegen namhafte Unternehmen wie DWS, dm, Netto, Beiersdorf, Nestlé und Coca-Cola.  

Green Claims zu vage oder irreführend

In der Begründung für die Green Claims Directive (GCD) verweist die EU darauf, dass 2020 satte 53,3 Prozent von 150 untersuchten Umweltaussagen vage, irreführend oder unbegründet waren. Ahnungslos oder böswillig? Das ist schwer zu sagen. Die Folge ist jedoch, dass Verbraucher*innen, die vermeintlich umweltfreundliche Produkte eingekauft haben, in die Irre geführt werden. „Green Claims ohne Substantiierung – also ohne wissenschaftliche Fundierung der Richtigkeit der Claims – verhindern somit einen Wandel zu nachhaltigen Konsummustern“, schreibt die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) in ihrem Whitepaper „Greenwashing stoppen“ und begrüßt die Gesetzesinitiativen, die für mehr Klarheit sorgen sollen. „Wir Juristen und Richter mögen Definitionen“, sagt Lucia Scharl, Anwältin in der Kanzlei WBS und Autorin eines Rechtsgutachtens zum Thema.  

Das Markt- und Meinungsforschungsunternehmen Civey hat Fachkräfte aus der Kommunikations- und Werbebranche befragt: Bis Mitte März hatten nur rund ein Drittel von der „Green Claims Directive“ gehört.

Doch was bedeutet das in der Praxis? Barbara Scheben, Partnerin bei KPMG, geht davon aus, dass zahlreiche Firmen ihr Gebaren überprüfen müssen: „Da der Verweis auf Nachhaltigkeit in den Augen vieler Unternehmen eine relevante Rolle im Wettbewerb spielt und entsprechende Werbeaussagen genutzt werden, ist mit einer hohen Betroffenheit zu rechnen.“  

Im Agenturverband GWA ist die Haltung trotzdem positiv: „Wir begrüßen die Green Claims Directive natürlich“, sagt GWA-Vorständin Ina von Holly, Geschäftsführende Gesellschafterin der Agentur We Do. Denn auch für die Kreativagenturen wird damit deutlicher, was sie dürfen und was sie besser sein lassen sollten. Das bedeutet aber auch, dass sie mehr hinterfragen müssen, ob die Aussagen, die der Kunde im Briefing vorgibt, überhaupt stimmen und damit zulässig für den Einsatz in der Werbung sind. Umgekehrt werden auf Unternehmensseite voraussichtlich mehr Juristen mitarbeiten: „Es wird ein neues Bewusstsein geben. Briefings werden anders aussehen und die kreative Umsetzung wird herausfordernder werden“, prognostiziert GWA-Mitglied Christiane Stöhr, die seit 2007 die Nachhaltigkeitsberatung Scholz & Friends Reputation leitet. Von Holly ergänzt: „Wir werden Blacklists mit bestimmten Begriffen und Themen haben.“ 

Tüv für Werbeaussagen 

In der Green Claims Directive ist auch eine Art “Tüv” für Werbeaussagen vorgesehen, eine Zertifizierung. Wie diese genau aussehen soll, ist nicht geregelt. Umstritten ist die Idee einer unabhängigen Bewertungsstelle, die die Aussagen prüft, bevor sie zum Einsatz kommen. Wer diese Gutachterstelle sein könnte, ist unklar. Angesichts der schieren Anzahl von Werbeaussagen und Produktbeschreibungen könnte schlimmstenfalls in jedem EU-Land eine neue, zentrale Mammut-Marketing-Behörde entstehen.   

Denn mit „Claims“ sind nicht etwa nur die Hauptaussagen wie „Lidl lohnt sich“ oder „Danke heißt Merci“ gemeint, sondern jede Art nachhaltiger Aussage, die in der Kommunikation verwendet wird – sei es auf der Verpackung, in der Anzeige oder im Unternehmensbericht. Wie groß der Bedarf ist, zeigt exemplarisch der im Januar veröffentlichte Report „The State of Green Claims 2024 von House of Change, The Goodwins und Popular Packaging. Darin wurden Aussagen auf Verpackungen von 78 FMCG-Marken daraufhin überprüft, inwieweit sie dem aktuellen Entwurf der GCD entsprechen würden. Das ernüchternde Urteil: Gerade mal 3 der 164 untersuchten umweltbezogenen Aussagen würden durchgehen.   

Doch alle Aussagen vorab prüfen und freigeben zu lassen, verschlingt Zeit und Geld. Beides ist in der Werbebranche notorisch Mangelware. „Die Kreativindustrie lebt von der Schnelligkeit“, sagt Stephanie Helen Scheller, Managing Partner Sustainable Solutions der Omnicom-Tochter OMG Momentum. Das bemängelt auch Scholz & Friends-Frau Stöhr: „Für uns als Agenturen wäre es extrem schwierig, Claims zwei Jahre vorher einzureichen. Das ist eine große Hürde.“ Entsprechend intensiv wird dies gerade auch auf politischer Ebene diskutiert. 

Zukünftig mehr Green Hushing?

Nicht nur die Ausgestaltung der Prüfstelle und des Prüfprozesses erhitzt die Gemüter, sondern auch die Frage, wie die Aussagen einer internationalen Richtlinie, die sich mit richtigen Formulierungen beschäftigt, sinnvoll in nationales Recht umgesetzt werden können. „Wie definiert man die Terminologien in den einzelnen Sprachen? Kann es sein, dass ,klimafreundlich‘ hierzulande verboten wird, aber der englische Begriff ,climate friendly‘ erlaubt wäre? Und was bedeutet das für Unternehmen, die internationale Kampagnen machen?“, fragt Scheller.   

„Viele Marken merken, dass etwas Großes und Komplexes auf sie zukommt, und stecken den Kopf in den Sand. Dies ist keine empfehlenswerte Strategie“, sagt Max Ackermann, Co-Gründer und Geschäftsführer von House of Change. Zumal es auch weiterhin die Möglichkeit geben soll, damit zu werben, dass man sich immerhin schon aufgemacht hat. „Kunden legen Wert auf Authentizität. Eine kraftvolle Botschaft ist offen zu sagen: Heute stehen wir hier, wir sind noch nicht perfekt, aber nächstes Jahr werden wir schon erheblich weiter sein“, so Ackermann. 

Laut der Civey-Befragung spielen zahlreiche Fachkräfte mit dem Gedanken, ihre Nachhaltigkeitskommunikation zu reduzieren oder sogar einzustellen, um Sanktionen aus dem Weg zu gehen. Das Phänomen nennt man „Green Hushing“.

So manches Unternehmen wird überlegen, ob es überhaupt noch umweltbezogene Aussagen einsetzen soll oder besser einen Bogen um grüne Aussagen macht („Green Hushing“). „Es gibt eine große Verunsicherung auf Unternehmensseite, denn es kann richtig teuer werden“, sagt GWA-Vorständin von Holly.  

Was in diesen Diskussionen jedoch gern mal vergessen wird: Niemand muss damit werben, klimafreundlich zu sein. „Wenn nichts dahinter ist, sollte man es einfach lassen“, rät WBS-Anwältin Scharl. Denn auch den guten alten Produktnutzen zu bewerben, kann eine probate Strategie sein.

Juliane Paperlein (pap) ist Fachjournalistin und Moderatorin, war Ressortleiterin bei Horizont und Leiterin der Unternehmenskommunikation der AGF Videoforschung. Es sind vor allem die wirtschaftlichen Zusammenhänge in der bunten und niemals langweiligen Marketing- und Medienwelt, die sie interessieren, und sie ist sehr froh darüber, sich von Frankfurt aus mit immer neuen Themen beschäftigen zu können.