Rivian zeigt, warum alte Automarken umparken müssen

Der Börsengang der neuen E-Automarke Rivian schreibt die Geschichte von Tesla fort. Es war ein fulminanter Start auf dem Parkett im New Yorker Tech-Index Nasdaq. Bereits bei Handelsstart lag der Kurs 37 Prozent über dem Ausgabekurs. Doch warum sind die Aktien des US-amerikanischen Start-ups so begehrt?
Rivian verkauft eine Idee, wie man Abenteuer in Zukunft lebt, und setzt weniger auf Technologie, Perfektion und Reichweite. (© Rivian)

Es ist zwar nicht neu, dass es Marketingverantwortlichen aus dem anglo-amerikanischen Raum leichter fällt, den Nerv der Zeit zu treffen und die Sehnsüchte von Kund*innen und Investor*innen auf hoch emotionale Weise zu wecken.

In der Automobilindustrie gelang das deutschen Automobilmarken in der Vergangenheit ebenfalls ganz gut. Ford und GM zählten zwar zu den größten Herstellern – Sehnsüchte bei den Kund*innen und Anleger*innen weltweit weckten aber häufig eher die deutschen Premiummarken wie Porsche, Mercedes, Audi und BMW. Doch das scheint Vergangenheit zu sein. Denn sie mutieren zu Ikonen einer alten Welt als Ergebnisse von Ingenieurs- und Designkunst, gepaart mit perfekter Verarbeitung, perfektem Fahrverhalten und beeindruckenden Höchstgeschwindigkeiten. Allein die Vorstellung, so schnell fahren zu können, erzeugte einst Kaufanreize. Doch diese Attribute reichen nicht mehr, um die künftigen Generationen von Käufer*innen und Anleger*innen für sich zu gewinnen.

Ethik wichtiger als Performance

Das Edelman Trust Barometer und zahlreiche weitere Studien zeigen, dass Menschen von Marken mehr erwarten als nur reine Leistungen im Sinne von Reichweite, Entwicklungs- und Designkompetenz. Sie lassen sich von der Markenenergie anstecken.

Tesla-Gründer Elon Musk projiziert bei jeder Fahrzeugpräsentation seine Mission in großen Lettern an die Wand. Rivian macht seine Mission als erste und einzige Botschaft auf der Homepage klar: „Preserving the natural world. Forever.“ Der erste Eindruck, den man gewinnt, wenn man mit der Marke Rivian in Kontakt tritt, erinnert eher an eine Outdoor-Marke à la Patagonia, denn an eine Automobilmarke.

Starke Marken eröffnen eigene Kategorien

Wenn man Rivian als Vertreter einer neuen Generation von Automobilmarken genauer betrachtet, stellt man fest, dass hier die etablierte Klaviatur der Markenentwicklung perfekt gespielt wird. Nur wenden sie diese eben zeitgemäß an, um sich damit authentisch, attraktiv und vom Wettbewerb abgrenzend am Markt zu positionieren.

Rivian versteht sich eben weder als profaner E-Autobauer noch als Hersteller von elektrischen SUVs. Die Marke hat sich stattdessen in ihrer eigenen Kategorie „Electric Adventure Vehicles“ positioniert. Und sie wird vermutlich sehr schnell alles dafür tun, um diese Kategorie thematisch und mit den passenden Produkten, Features und Ausrüstungen zu bespielen. Nicht umsonst gibt es bereits jetzt auf der Startseite einen „Gear Shop“ mit Utensilien, die man für (Camp-)Abenteuer braucht: vom Zelt fürs Dach bis zur Kaffee-Tasse, vom Surfboard Halter bis zum Grill. Rivian verkauft eine Welt, eine Idee, wie man Abenteuer in Zukunft lebt. Dem gegenüber erzählt beispielsweise VW, als Vertreter einer Marke aus der alten Welt, vom neuen Raumkonzept und davon, dass er vernetzt neue Möglichkeiten bietet. Welche Möglichkeiten das sind, bleibt potenziellen Kund*innen überlassen. Sehnsüchte weckt man damit nicht.

Hoffnung, Abenteuerlust, Sinn

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass Marken von innen nach außen wachsen, dass Mitarbeiter*innen die Marke leben müssen, und dass die Kultur gewissermaßen die Seele der Marke ist, die von den Anspruchsgruppen der Marken außerhalb des Unternehmens in allem, was die Marke nach außen verkörpert, spürbar macht.

Dennoch verwundert es nicht, wenn die neuen Marken den alten, etablierten Brands in einer neuen Welt etwas voraushaben. Denn auch hier zählen Attribute wie Hoffnung für die Zukunft, Abenteuerlust und Sinn in dem, woran man arbeitet. All das zählt heute so viel, dass reihenweise erfolgreiche Ingenieur*innen und Manager*innen etablierter Automobilhersteller die alten Dampfer verlassen und sich auf Abenteuer in der neuen Welt der Unternehmen wie Rivian, Tesla oder Lynck einlassen. Was sie dafür bekommen, sind schnellere Entscheidungen, mehr direkte Einflussnahme und experimentelleres Arbeiten, anstatt langer von Hierarchien und von Politik geprägter Entscheidungswege und das Erkennen und Erfahren des Sinns der eigenen Arbeit.

Rivian auf den Spuren von Tesla

Jetzt gilt „Umparken“ nicht mehr nur für Opel. Die alten Marken müssen Umparken, wenn sie in Zukunft nicht einfach nur da sein wollen, sondern für die neuen Generationen von Anleger*innen, Kund*innen und Mitarbeiter*innen begehrlich sein wollen.

Allerdings reicht vermutlich kein „Umparken im Kopf“, sondern es ist ein Umparken in allem gefordert, was die Unternehmen bisher geprägt hat. Also die Haltung, aus der heraus man alles geleistet und kommuniziert hat. Rivian ist ein Vorbild, wie das geht und längst kein Zufall oder Börsenhype. Es wäre nicht verwunderlich, wenn das Unternehmen eine ähnliche Entwicklung nimmt wie Tesla.