„Plötzlich war ich Galionsfigur einer ‚Bild‘-Boykottwelle“

Der AOK-Top-Manager Steve Plesker ist sehr aktiv auf LinkedIn. Wie er sich während der Corona-Pandemie mit der "Bild-Zeitung" angelegt hat und was er mittlerweile anders macht, verrät er im Interview.
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Steve Plesker ist seit Oktober 2017 Geschäftsführer Markt und Produkte beim AOK-Bundesverband. Bei LinkedIn folgen dem deutsch-irischen Manager aktuell rund 10.400 Menschen. (© Paula Hildesheim)

Herr Plesker, Sie haben auf LinkedIn mehr als 10.000 Follower*innen und posten viel über Führungskultur, aber auch zu AOK-Themen. Sind Sie ein Corporate Influencer?  

Nein, ich verstehe mich als Business Influencer. Ich teile meine persönliche Sicht auf Dinge und gelegentlich schreibe ich dabei auch über Themen aus meinem Arbeitsalltag als Geschäftsführer oder nutze meine persönliche Reichweite für berufliche Zwecke. Ich möchte diese zwei Welten aber nicht zu sehr miteinander vermischen. 

Warum nicht?  

Meine LinkedIn-Präsenz sollte nicht von meinem Job dominiert werden, denn das würde mich in Bezug auf Themenauswahl und Tonalität zu sehr einschränken.  

Dennoch lässt sich Ihre Reichweite nicht von Ihrer Position trennen, da Sie als Geschäftsführer natürlich eine andere Wahrnehmung genießen als beispielsweise Berufseinsteiger*innen.  

Richtig, deshalb achte ich inzwischen sehr darauf, worüber ich schreibe und wie ich mich inhaltlich positioniere. Ich erwähne die AOK nicht mehr in meinem Profil-Slogan, weil das leider dazu geführt hat, dass bei jedem Beitrag eine Verbindung zu meinem Arbeitgeber hergestellt wurde.  

„Meine LinkedIn-Präsenz sollte nicht von meinem Job dominiert werden.“

Wie hat sich Ihre Positionierung im Laufe der Jahre verändert?  

Zu Beginn habe ich nicht konsequent unterschieden zwischen meiner Rolle als Geschäftsführer und der Privatperson. In der Pandemie habe ich mit einzelnen Postings über Schutzmaßnahmen, Impfungen und Co. große Reichweiten erzielt. Das hat dann allerdings seine ganz eigenen Probleme mit sich gebracht.  

Welche Probleme waren das? 

Es kam zu einer Situation, die wirklich unangenehm und definitiv nicht so geplant war. Ich habe in einem Post geschrieben, dass die Berichterstattung der „Bild-Zeitung“ zu Christian Drostens Studie eine Schande sei und die AOK keine Werbung mehr dort schalten werde. Ich habe diesen Post morgens im Bett geschrieben und mir nicht viel dabei gedacht.  

Welche Folgen hatte das?  

Nachmittags erfuhr ich, dass mein Post bei Twitter viral gegangen war und parallel der Hashtag #bildboykott trendete. Plötzlich war ich ungewollt die Galionsfigur einer „Bild“-Boykottwelle.  

Was haben Sie dann gemacht?  

Ich habe zunächst meinen ursprünglichen Post gelöscht, da die Wortwahl zu emotional und undifferenziert war. In einem weiteren Post habe ich die Hintergründe für die Entscheidung erläutert: Als gesetzliche Krankenversicherung muss die AOK stärker als andere Marken auf Brand Safety achten. Angesichts der Berichterstattung stellte die „Bild-Zeitung“ zum damaligen Zeitpunkt kein geeignetes Umfeld für unsere Markenkampagne „Für ein gesünderes Deutschland“ dar. Es wurde in zahlreichen überregionalen Medien darüber berichtet. Dank des zweiten Beitrags war die Berichterstattung aber ausgewogen und es wurde nicht der Anschein erweckt, dass die AOK zum Boykott der Zeitung aufrufen würde.  

Sie haben mittlerweile in Ihrem Account geschrieben, dass Sie alle Beiträge im Kontext des Unternehmens mit #AOK kennzeichnen. Denken Sie, das reicht, um die Inhalte deutlich zu unterscheiden?  

Das ist eine Absicherung. Ich kann mich aber nicht darauf verlassen, dass Menschen diesen Hinweis lesen. Deshalb würde ich es befürworten, wenn LinkedIn eine Funktion einführen würde, die es einem erlaubt, zu kennzeichnen, ob ein Post persönlicher oder beruflicher Natur ist.  

Welche Vorteile sehen Sie in der Social-Media-Nutzung? 

Die Reichweite. Ich habe zuletzt zwei Stellenausschreibungen über mein Profil geteilt. In beiden Fällen konnte ich die Stelle darüber besetzen. Die beiden Kollegen waren nicht mit mir vernetzt, aber meine Posts wurden an sie weitergeleitet. 

Geht es dabei auch um die Außenwirkung eines Unternehmens? 

Auf jeden Fall. Wenn sich Mitarbeitende bei LinkedIn positiv über ihren Arbeitgeber äußern und sich das Top-Management als moderner Arbeitgeber präsentiert, dann wirkt das. Das kann für viele ein Grund sein, sich zu bewerben. Generell ist der Bereich Employer Branding und Recruiting nicht zu unterschätzen.  

Wie relevant ist LinkedIn im gesundheitspolitischen Kontext?  

In der Vergangenheit war hier hauptsächlich X, ehemals Twitter, der wesentliche Kanal. Mittlerweile posten diverse AOK-Vorstände regelmäßig auf LinkedIn und man findet beispielsweise zahlreiche Mitglieder des Gesundheitsausschusses. Auch hier funktioniert es am besten, wenn die Inhalte persönlich sind und nicht nur über die Unternehmensaccounts gepostet werden. 

Wäre es eine Option für Sie, offiziell als Corporate Influencer zu arbeiten und zu posten?  

Nein. Meine Follower sind mehrheitlich nicht im Gesundheitswesen zu Hause. Wir arbeiten aber gerade an einem Corporate-Influencer-Programm. Dabei gibt es viele Fragen zu klären: Wie werden die Mitarbeitenden geschult? Gibt es eine zusätzliche Entlohnung dafür? Wie wird der Content moderiert und wie geht man mit Hass um? Was passiert mit dem Account, wenn man den Job wechselt? Gilt das Erstellen von Posts als Arbeitszeit? 

Wann verfassen Sie Ihre Posts? 

Ich mache das immer außerhalb der Arbeitszeit – egal, ob persönlich oder doch im AOK-Kontext.  

Ihre Posts folgen bestimmten Regeln, um möglichst erfolgreich zu werden: Headline, mehrere Absätze mit polarisierenden Aussagen, Thesen oder Beispielen, Call-to-Action und fast immer ist ein Foto von Ihnen dabei. Inwiefern können Sie sich vorstellen, Ihren LinkedIn-Auftritt in Zukunft weiter zu professionalisieren?  

Das Schreiben der Beiträge macht mir sehr viel Spaß, ich kann mir nicht vorstellen, das in andere Hände zu legen. Auf dem Smartphone habe ich bereits eine lange Liste an Ideen, auf die ich immer zurückgreifen kann – bei mir steht übrigens immer die Headline zuerst. Ich könnte mir allerdings vorstellen, zukünftig mehr auf professionelle Fotos zu setzen, und habe überlegt, mir eigene Templates für meine Posts entwickeln zu lassen, ganz im Sinne eines Corporate Designs und der Wiedererkennbarkeit.  

„Ich möchte Menschen erreichen, sonst könnte ich ja auch Tagebuch schreiben.“

Um Ihre Personal Brand voranzutreiben? 

Genau. Ich wurde in letzter Zeit häufig darauf angesprochen, ob ich auf dem beruflichen Absprung sei – aufgrund meiner gesteigerten Aktivität. Das ist überhaupt nicht der Fall. Ich schreibe einfach gerne und liebe den Austausch mit anderen Menschen.  

Welchen Zweck verfolgen Sie mit Ihrem Account?  

Ich teile meine Meinung zu Themen, die mich interessieren, und schreibe über meine Erfahrung als Führungskraft. Perspektivisch könnte ich mir vorstellen, meine Präsenz weiter auszubauen und dadurch Speaker-Aufträge zu generieren oder vielleicht sogar irgendwann ein Buch zu schreiben. Das soll aber unabhängig von meiner Rolle als Geschäftsführer passieren, eher als Side Hustle. 

Grundsätzlich kann man die eigene Meinung ja auch mit einer kleinen Audience teilen. Posten Sie für die Reichweite?  

Ich möchte Menschen erreichen, sonst könnte ich ja auch Tagebuch schreiben. Ich habe ein entsprechendes Sendungsbewusstsein und lösche Posts, wenn ich merke, dass sie nicht performen. Mein Profil soll weiter wachsen, es ist ja kein Selbstzweck, dass ich poste. 

(eb, Jahrgang 1993) ist freie Journalistin und kam vom Modejournalismus über Umwege zum Wirtschaftsjournalismus. Sie kann sich schnell für neue Themen begeistern, führt am liebsten Interviews und hasst Stillstand – was das Pendeln zwischen Bayern und Berlin umso leichter macht.