Influencerin mit Behinderung: „Klischees machen mich wütend“

Social Media ist für die behinderte Inklusionsaktivistin Alina Buschmann eine wichtige Plattform. Wo sie trotzdem Barrieren sieht und was Marken bei ihren Auftritten besser machen können, erklärt die 29-Jährige im Interview.
Alina Buschmann tritt in den sozialen Medien mit dem Profilnamen Dramapproved auf. (© privat)

Frau Buschmann, wann haben Sie Social Media für sich entdeckt?

Ich habe soziale Medien schon lange privat genutzt, 2018 bin ich dann mit meinem Profil Dramapproved gestartet. Für mich sind Social Media sehr gut zugänglich. Das ist aber nicht für alle behinderten Menschen so.

Dürfen wir fragen, in welcher Weise Sie behindert sind?

Ich hatte vor sechs Jahren einen Autounfall und bin seither geh- und sehbehindert. Ich spreche darüber, auch, weil mir im Medizinbereich viele schlimme Sachen passiert sind. Im Englischen gibt es dafür den Begriff Medical Gaslighting…

… wenn Ärzt*innen Patient*innen ihre Wahrnehmungsfähigkeit absprechen.

Gleichzeitig möchte ich anmerken, dass behinderte Menschen niemandem Rechenschaft schuldig sind. Woher kommt deine Behinderung, was sind die Folgen – das sind sehr persönliche Fragen, die nicht jeder beantworten möchte.

Sie haben sich einen Namen als Inklusionsaktivistin gemacht und mit anderen die Plattform Angry Cripples gegründet. Wie wichtig sind Social Media für Sie?

Als ich zu posten begann, habe ich mich noch nicht als behindert identifiziert. Ich merkte nur, dass meine Lebensrealität weit entfernt war von allem, was ich aus meinem Umfeld kannte. Ich fühlte mich wie ein Alien. Dank des Austauschs mit vielen tollen Leuten, die ich über Social Media kennengelernt habe, konnte ich schließlich sagen: Ich bin behindert.

Worin liegen für Sie die Vorteile von Social Media?

Es ist ein Ort, an dem ich gehört werde. Ich kann jederzeit mein Handy nehmen und meine Gedanken mit der Welt teilen. Ich habe über Social Media auch richtig gute Freund*innen mit Behinderungen gefunden, die ich in meinem Umfeld lange hätte suchen müssen.

Sind Instagram & Co. tatsächlich so barrierefrei, wie es den Anschein hat?

Nicht unbedingt. Klassische Barrieren sind fehlende Untertitel für gesprochene Sprache oder zu viele Reize für fotosensible Menschen. Und nur wenige Nutzer wissen, dass es Alternativtexte gibt, mit denen sich Illustrationen beschreiben lassen, damit auch Sehbehinderte wissen, was gezeigt wird. Da würde ich mir wünschen, dass die Plattformen mehr in die Verantwortung gehen und für Barrierefreiheit werben.

Worauf achten Sie selbst beim Bloggen und Posten?

Auf konsequente Bildbeschreibung, auch auf Untertitel in Instagram-Storys. Ich wähle deutliche Kontraste wie schwarz-weiß, damit Menschen mit Sehbehinderung sie erkennen können. Beim Filmen kommt es darauf an, dass nichts flackert und die Schnitte nicht zu schnell sind.

Was könnten Marken bei ihren Auftritten in Social Media besser machen?

Viele Marken fassen Sprachbeiträge immerhin kurz zusammen. Dafür fehlen allerdings meist die Untertitel. Wenn Marken das Thema Behinderung aufgreifen, ist es in den Augen der Betroffenen meist diskriminierend.

Weil Vorurteile reproduziert werden?

Genau. Zum Beispiel, dass behinderte Menschen nicht leistungsfähig sind, ein schlechteres Leben führen, bemitleidenswert sind. Ein anderes Denkmuster nenne ich das Charity-Narrativ: Behinderte Menschen müssen gerettet werden. Es ist in der Wohlfahrt verbreitet und wird von Marken leider oft übernommen.

Zum Beispiel?

Die Osterkampagne von Milka. In dem Spot verstecken Kinder in ihrem Garten Ostereier und spinnen überall Fäden, damit ihr blinder Freund sie finden kann. Der ist dafür total dankbar, und am Ende essen alle Schokolade. So etwas bildet einfach nicht die Lebensrealität blinder Menschen ab! Ein blindes Kind, das in den Garten seiner Freunde kommt, kennt sich dort aus. Es ist nicht hilflos. Solche Klischees sind schädlich und machen mich wütend.

Der Spot wurde in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband entwickelt.

Dann haben die in dem Fall ihren Job nicht gemacht. Ich würde mir wünschen, dass sich Marken nicht von Verbänden, sondern von behinderten Expert*innen beraten lassen. Wir können Markenverantwortliche ganz anders herausfordern.

Womöglich fehlt vielen Unternehmen der Mut.

Für mich geht es hier um eine einfache Rechnung. Wenn eine Marke inklusiv sein will, muss sie sich Know-how aneignen. Es geht also darum, Budgets anders zu planen und Geld für Beratung zur Verfügung zu stellen.

Sind behinderte Influencer*innen als Markenbotschafter*innen gefragt?

Ja, besonders von jungen Brands und solchen, die sich als nachhaltig verstehen. Aber strukturelle Diskriminierung macht auch vor Social Media nicht Halt. Viele behinderte Menschen haben nicht so eine große Reichweite und sind schon deshalb weniger im Fokus. Ich hoffe trotzdem, dass sich Marken allmählich vom Idealbild normschöner, nicht-behinderter Menschen verabschieden, weil sie merken, dass es einfach nicht der Realität entspricht.

Was man häufiger sieht, ist, dass behinderte Influencer*innen Produkte bewerben, die im Zusammenhang mit ihren Handicaps stehen.

Das ist ein erster Schritt, aber dabei kann es nicht bleiben.

Gibt es Social-Media-Agenturen, die Influencer*innen mit Behinderung vermarkten?

Ich kenne keine. Dabei ist der Bedarf an einem guten, fairen Management gerade bei behinderten Menschen groß.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.