KI: Bedroht ChatGPT die Markenwebsites?

Künstliche Intelligenz wird die Internetsuche verändern – und damit den Zugang zu digitalen Informationen. Statt sich durch Websites zu klicken, erhalten Nutzer*innen künftig im Chat-Fenster einer KI ausführliche Antworten. Müssen sich Markenwebsites auf weniger Online-Besucher*innen einstellen?
Machine-Learning-Algorithmen könnten zu einer Revolution bei der Internetsuche führen. (© Stocksy)

Marken haben in der Vergangenheit keine Mittel und Mühen gescheut, sich über Inhalte zu positionieren und im Web bestimmte Themen zu besetzen. Von der Fleckenentfernung bis zum Badausbau war es ein probates Mittel, sich als Problemlöser zu präsentieren und Hilfesuchende im Web auf die eigene Markenwebsite zu lotsen. Wer ein Problem hatte, sollte in den Suchergebnissen auf Lösungsangebote der Marken stoßen – und so behutsam mit einer Marke in Berührung kommen, sie schätzen lernen und sich im Idealfall in die Marke verlieben.

So ließ sich sicherstellen, dass Konsument*innen beim nächsten Einkauf die „richtigen“ Marken ansteuerten und nicht den Warenkorb mit Wettbewerber-Produkten füllten. Das Konzept funktionierte bisher sehr gut, doch die Rahmenbedingungen haben sich geändert – besonders rasant im vergangenen halben Jahr. Seit die US-Firma OpenAI ihre künstliche Intelligenz ChatGPT freigelassen hat, überschlagen sich die Anwendungsszenarien. Und schon jetzt ist klar: Die Informationssuche im Internet wird neu geschrieben werden.

Stichwortsuche war gestern

Bisher funktionierte die Internetsuche schlagwortbasiert. Wer Antworten auf komplexe Fragen haben wollte, musste sich diese mühsam auf einzelnen Websites klickintensiv zusammensuchen. Das wird sich mit KI-Sprachmodellen wie ChatGPT ändern. Im Gegensatz zu den Suchmaschinen-Algorithmen kann eine KI komplexe Fragen ausführlich beantworten. Schneller und nutzer*innenfreundlicher, als es die Linklisten in Suchmaschinen bisher konnten.

„Rein schlagwortoptimierte Webseiten würden in einer ChatGPT-basierten Suchmaschine erhebliche Traffic-Einbußen in Kauf nehmen müssen“, sagt Heiko Staab, Co-Founder und Director Business Development bei Traffective. Denn ChatGPT-basierte Suchmaschinen würden den Kontext und die Bedeutung der Inhalte besser als schlagwortbasierte Suchmaschinen verstehen und könnten Machine-Learning-Algorithmen nutzen, um die relevantesten und qualitativ hochwertigsten Inhalte für eine bestimmte Suchanfrage zu finden. „Wenn ich heute mit bestimmten Begrifflichkeiten oben in der Suchmaschine stehe und darüber meine Produkte vermarkte, könnte sich das schnell ändern, wenn ich keine Gegenmaßnahmen ergreife“, sagt Staab.

Entsprechend rät der Experte allen Publishern dazu, die SEO-Strategien anzupassen. Bei einer Search Engine Optimization (SEO) wird eine Website so optimiert, dass sie von Suchmaschinen gut gefunden und in den Suchergebnissen möglichst oben gerankt wird – für Markenwebsites eine wichtige Voraussetzung, um eine große Sichtbarkeit im Web zu erzielen.

Staab zufolge müssen bei der Optimierung von Webseiten für ChatGPT-basierte Suchmaschinen künftig einige Punkte beachtet werden: Nach wie vor sieht der Experte qualitativ hochwertige Inhalte an erster Stelle, die Nutzer*innen Mehrwert bieten. Da ChatGPT-basierte Suchmaschinen den Kontext und die Bedeutung der Inhalte verstehen, sollte man dabei allerdings nicht nur Keyword-Phrasen verwenden. „In jedem Fall sollten Marken auf ihren Seiten auf Inhalte in natürlicher Sprache achten, weil ChatGPT-basierte Suchmaschinen diese viel besser verstehen können als bisherige schlagwortbasierte Suchmaschinen“, so der Experte.

Auch die Qualität und Quantität der Informationen seien wichtig, um eine Marke im Web sichtbar zu machen. „Je mehr relevante Informationen auf der Webseite bereitgestellt werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese in den Suchergebnissen angezeigt wird“, sagt Staab, der außerdem dazu rät, zusätzlich Keywords und Begriffe zu verwenden, die semantisch ebenfalls relevant sind und im Zusammenhang mit der Website stehen. Eine klare Seitenstruktur und eine benutzerfreundliche Navigation sollten ohnehin selbstverständlich sein.

Suche und Suchergebnisse verändern sich

Viel Zeit zum Grübeln bleibt nicht, denn die Softwareanbieter schaffen zügig Tatsachen. Allen voran Microsoft. Der Konzern hatte schon im Jahr 2019 eine Milliarde US-Dollar in OpenAI investiert – das Unternehmen, das hinter dem KI-System ChatGPT steht. Mit einer weiteren Milliarden-Investition wurde die Zusammenarbeit vertieft und seit Kurzem funktioniert die Bing-Suche im neuen Edge-Browser KI-gestützt.

Statt Stichwörter in einen Suchschlitz einzutippen, kann man über ein Chat-Fenster mit Bing interagieren. Die Integration des KI-Modells in die zentrale Bing-Suchranking-Engine hat Microsoft zufolge zu dem größten Relevanzsprung seit zwei Jahrzehnten geführt. Selbst einfache Suchanfragen werden demnach genauer und relevanter. Auch Google hat mit Bard eine KI-Lösung in petto. So dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sie mit der Google-Suche verschmilzt. Für die Vermarktung von Markenwebsites wirft dies Fragen auf. In den USA stehen Vermarkter der Werbung in Chat-basierten Suchmaschinen bisher skeptisch gegenüber. Insbesondere das von Microsoft vorgeschlagene Anzeigenformat am Ende einer Chatbot-Anfrage kann laut US-Medien dortige Marketing­expert*innen bisher kaum begeistern.

Noch steht die KI-gestützte Suche am Anfang und niemand weiß genau, aus welchen Quellen sich welche Traffic-Ströme künftig wie speisen werden. So beobachtet man beispielsweise bei der Comdirect noch keine Auswirkungen auf die Themenseiten. Das Finanzinstitut betreibt unter anderem mit dem „Comdirect Magazin“ ein sehr erfolgreiches Online-Magazin für Finanzwissen. „Wir werden die weiteren Entwicklungen rund um KI weiter verfolgen. Handlungsbedarf sehen wir aktuell nicht“, so ein Sprecher des Unternehmens.

Auch bei Henkel sieht man die Entwicklung gelassen. Der Konzern ist mit zahlreichen Marken und Markenauftritten im Konsumgüter- und Industriebereich vertreten und konnte ebenfalls bisher keine negativen Auswirkungen auf Klickzahlen oder Zugriffe auf seine Websites feststellen. Man geht zwar davon aus, dass sich die Nutzung sowie das Angebot von Web-Inhalten in Zukunft verändern werden. „Wir betrachten KIs jedoch weniger als Bedrohung, sondern vielmehr als Chance – sei es im Hinblick auf Websites oder auch in anderen Bereichen“, sagt Bettina Fischer, Head of Corporate Digital Communications bei Henkel. Der Konzern nutzt bereits heute Tools, die auf KI basieren, zum Beispiel auf der Markenwebsite von Persil. Dort hilft die KI, Fragen rund um das Thema Fleckenentfernung zu beantworten. Weiterhin nutzt man bei der Verarbeitung von großen Datenquellen künstliche Intelligenz zur Optimierung.

Entwicklung genau beobachten

Bei der Barmer geht man davon aus, dass KI-Chats die Nutzung von Suchanfragen beeinflussen werden, insbesondere bei komplexen Sachverhalten. „Inwieweit sich das auf die Besucherzahlen der Barmer-Homepage irgendwann auswirkt, wird sich zeigen. Womöglich eröffnen sich durch KI-Chats aber auch neue Chancen, die letzten Endes sogar den Traffic auf den Webseiten steigern“, sagt Barmer-Pressesprecher Daniel Freudenreich und verweist auf die Einführung von Rich Snippets. Diese sorgten anfangs auch für Aufsehen und ließen Rückgänge im Website-Traffic vermuten. Heute sind die Snippets sehr begehrt und werden von Unternehmen aktiv eingebunden, etwa in Form von FAQs.

Auch eine Hybridlösung sei denkbar, in der die KI-Chats in die normale Suche eingebunden werden. Die aktuellen Einschätzungen der Unternehmen spiegeln wider, in welchem frühen Stadium sich die Entwicklung befindet. Doch schon heute dürfte klar sein: Die Bedeutung von KI-basierten Suchmaschinen wird zunehmen – schon allein weil sie Suchanfragen besser verstehen und qualitativ hochwertigere Ergebnisse liefern. Die Technologie der KI-basierten Suchmaschinen entwickelt sich schnell weiter. „Es ist notwendig, diese Entwicklungen im Auge zu behalten und sicherzustellen, dass die Suchmaschinen weiterhin die Bedürfnisse der Nutzer erfüllen und fair und verantwortungsvoll eingesetzt werden“, appelliert Staab an Politik und Verbandsarbeit.

(kaz) ist Fachjournalist für digitales Marketing. Seit Mitte der Nullerjahre begleitet er mit seinen Artikeln die rasanten Entwicklungen der Online-Werbebranche. Der Maschinenraum der Marketing-Technologien fasziniert ihn dabei ebenso wie kreativ umgesetzte Kampagnen. Der freie Autor lebt und arbeitet in Berlin.