„Keiner ist solidarisch“

Agenturen stehen unter Druck. Neue Zahlen zeigen: Die Kosten steigen, die Honorare sinken. Wer die Vergütungsmodelle ändern will, braucht Mut, einen langen Atem – und steht oft recht einsam da.
Geld im Schraubstock: Vergütung Agenturen
Das Geschäftsmodell vieler Agenturen steht massiv unter Druck. (© Stocksy)

Neu ist die Debatte um Agenturvergütungen nicht. Doch mehrere Gründe bringen gerade Schwung in die Sache. Bei mehr als 80 Prozent der Agenturen sind in den vergangenen zwölf Monaten die Kosten gestiegen, teilweise um bis zu 35 Prozent. Aber nur die wenigsten konnten die wachsenden Kosten an ihre Kund*innen weitergeben.

Laut einer Umfrage des Pitchberaters Cherrypicker, die in den nächsten Wochen erscheint und aus der absatzwirtschaft einige Ergebnisse vorab vorliegen, haben 35 Prozent der Agenturen ihre Preise gar nicht erhöht, 59 Prozent allenfalls teilweise. Doch damit nicht genug: Satte 50 Prozent der Agenturen mussten ihre Honorare bei Bestandskunden 2023 sogar senken, 9 Prozent davon um 25 bis 35 Prozent.

Keine Frage: Das Geschäftsmodell vieler Agenturen steht massiv unter Druck. Oliver Klein, Geschäftsführer Cherrypicker, sagt: „Es muss dringend ein Umdenken stattfinden, wenn über ein Drittel der Agenturen auf den gestiegenen Agenturkosten sitzen bleibt.“

Neue Honorarmodelle als mögliche Lösung?

Auch Kim Notz sieht das so. Die Geschäftsführerin der Hamburger Agentur KNSK hat im November öffentlichkeitswirksam ein ziemlich großes Fass in der Vergütungsdebatte aufgemacht – und ihrer Agentur ein völlig neues Honorarmodell verpasst: Statt auf Basis von Stundensätzen, wie es vor allem bei Kreativagenturen noch immer weit verbreitet ist, will KNSK künftig Produktbezogen abrechnen. Sehr vereinfacht ausgedrückt sollen Kunden künftig Festpreise für ein zuvor individuell definiertes Produkt bezahlen.

„Einflugschneise sind die drei Kategorien Identity, Transformation und Impact“, so Notz. Darunter gebe es derzeit, je nach gewünschtem Leistungsumfang von Basic bis Premium, 18 modular aufgebaute Produkte. Kompliziert findet Notz das neue Modell nicht: „Wir legen im Pitch ja nicht 18 Produkte in den drei Leistungsumfängen vor, sondern ein individuell konfiguriertes Produkt beziehungsweise Leistungspaket mit entsprechend transparenter Vergütung.“ Tatsächlich aber gelte es für sie jetzt, den Kunden wesentlich dezidierter darzulegen, welchen Nutzen er „am Ende von unserem Produkt hat“.

Interessant dabei ist: Notz geht es, wie sie betont, „nicht um verdeckte Preiserhöhungen“. Vielmehr will sie die Wertschöpfungskette von Kreativagenturen generell neu denken, was in Zeiten von wachsendem Einsatz Künstlicher Intelligenz immer wichtiger werde. „Künstliche Intelligenz, die für mich derzeit vor allem Künstliche Effizienz bedeutet, kann künftig viele Dinge schneller ausführen“, so Notz. Und wenn KI bald „diverse ,Werkbank‘-Aufgaben“ schneller erledige, würden für Agenturen einige Bestandteile der bisherigen Wertschöpfungskette entwertet. „Deshalb muss sich dringend etwas ändern“, sagt Notz.

Viele schreiben einfach mehr Stunden auf

Fragt man allerdings Kundinnen und Kunden nach ihrer Einschätzung zu den neuen Cherrypicker-Zahlen und zu Notz Vorstoß, wird die Luft ziemlich dünn. Von sechs für diesen Beitrag angefragten Werbungtreibenden haben fünf direkt abgewunken. Keine Zeit, so viele Meetings, leider leider. Sie wissen schon. Öffentliche Zitate über Geldfragen abzugeben, zumal auf Basis einer Umfrage, die das Verhältnis zwischen Werbungtreibenden und Agenturen nicht nur rosig aussehen lässt, ist vielen Marketingverantwortlichen offenbar eher unangenehm.

Eine Frau allerdings wagt sich aus der Deckung. Anne Stilling, Global Director Brand and Media bei Vodafone. Stilling ist für Notz‘ Initiative Feuer und Flamme, nennt sie einen „überfälligen Schritt“. Agenturen sollten sich mit Leistung bewerben und nicht als „Leiharbeiter“, so ihre Einschätzung. Die Vodafone-Managerin betont zudem, sie wolle mit ihren Agenturpartnern darüber reden, wie groß der Mehrwert ist und nicht wie viele Stunden gebraucht wurden. „Nach meiner Erfahrung bedeuten mehr Stunden nicht zwangsläufig bessere Leistung – eher das Gegenteil ist der Fall“, so Stilling.

Ein guter Punkt. Denn glaubt man der aktuellen Cherrypicker-Umfrage ist an dieser Sichtweise ziemlich viel dran. Die Umfrageergebnisse legen nahe, dass Agenturen im Kampf gegen steigende Kosten zwar nicht unbedingt die Stundensätze erhöhen, wohl aber die Anzahl ihrer in Rechnung gestellten Stunden. Nur so lässt sich offenbar die Diskrepanz zwischen den Agenturangaben und der Wahrnehmung der Kunden zu vorgeblichen und tatsächlichen Preiserhöhungen erklären. Dass aber Schummeln keine Lösung ist, zumindest keine sonderlich nachhaltige, dürfte auch den meisten Agenturverantwortlichen klar sein. Was es also braucht, sind nicht smartere Ideen für Preiserhöhungen durch die Hintertür, sondern smartere Argumente für neue Vergütungsmodelle – und der Mut zu transparenten Dialogen. Denn wie heißt es so schön? Reden hilft.

Vergütung als Invest betrachten

Benjamin Minack, Geschäftsführer Ressourcenmangel und bis 2021 Präsident des GWA bekennt: „Ich bin schon immer ein Freund von Kundenausbildung in dieser Sache.“ Er fragt sich allerdings auch, ob es dafür vielleicht gar keine „Modelle“ brauche, sondern „einfach nur die Bereitschaft von Kunden und Agenturen das angemessen zu besprechen“. Noch deutlicher wird Cherrypicker-Chef Klein: „Es wird viel zu wenig über Geld geredet. Marketiers, die wirklich etwas bewegen wollen, sollten ein großes Interesse daran haben, nicht nur sehr gute, sondern auch wirtschaftlich gesunde Agenturen als Partner zu haben.“ Kunden müssten Vergütung als Invest betrachten, statt als Kosten. Klein findet die Initiative von Kim Notz deshalb zwar „mutig, aber auch dringend notwendig, um mit den Kunden überhaupt erstmal über faire Agenturvergütungen ins Gespräch zu kommen.“

Denn tatsächlich haben laut seiner neuen Umfrage immerhin 75 Prozent der befragten Agenturen Preiserhöhungen bei ihren Kundinnen und Kunden nicht einmal thematisiert. Markus Hartmann, Gründer „Pricing für Agenturen“ und Autor des Buchs „Preisfindung in Agenturen“ nennt die „Angst, zu teuer zu sein“ als einen Grund für die dürren Gewinnaussichten vieler Agenturen.

Kim Notz aber will von Mut in diesem Kontext nichts wissen: „Ich halte es für ein absolut kalkulierbares Risiko, das ich mir als inhabergeführte Agentur unbedingt leisten will. Außerdem stülpen wir das Modell nicht einfach unseren Bestandskunden über.“ Vielmehr gehe es um „ein innovatives Reinfinden in alternative Modelle“. In Stein gemeißelt sei noch lange nichts. „Wir wollen und müssen on the fly überzeugen und streben eine sukzessive Transformation an“, sagt Notz.

Preise in Teilen selbst zuzuschreiben

Unterstützung in dieser Herangehensweise erhält Notz, na klar, vor allem von Agenturen. Allein der LinkedIn-Post, in dem Notz ihre Pläne vor ein paar Wochen vorstellte, erzeugte eine regelrechte Woge der Sympathie. Auch Maria Sibylla Kalverkämper, Geschäftsführerin bei der Agentur Des Wahnsinns fette Beute, stimmt dem Ziel von Notz‘ zu, weiß aber sehr wohl um die vielen Steine, die Agenturen dabei im Weg liegen. Des Wahnsinns fette Beute habe schon vor Jahren ein nutzen- und zielorientiertes Vergütungssystem eingeführt, so Kalverkämper. Sie könne deshalb aus eigener Erfahrung sagen, dass „die Schwierigkeit, das Vergütungsmodell umzuformulieren und aufzubauen in keinem Verhältnis dazu stehe“, es vor Kunden durchzuhalten.

„Tritt man mit einem wertbasierten Angebot ,gegen‘ nach Stunden kalkulierte Angebote an, ist man oft tendenziell teurer. Wenn man dann noch die einzige Agentur ist, die sich so verhält, braucht es sehr viel Diskussion und Erklärung, um den Kunden zu überzeugen“, sagt Kalverkämper. Wenn sich das Kollektiv nicht zu einer selbstbewussteren Haltung bewege, würde es für Einzelne schwierig sein, sich durchzusetzen. „Somit sind wir dann auch schon wieder beim alten Lied, dass die Branche sich in Teilen die Preise selbst zuzuschreiben hat“, so Kalverkämper.

Gutes Gesamtpaket nötig

Auch Cherrypicker-Gründer Klein sieht das Thema Agenturvergütung nicht gerade in Rosarot. Denn er weiß: „Keiner ist solidarisch. Jeder knickt ein, wenn ein großer Kunde Stundenabrechnungen einfordert“.

Fragen wir also am besten Kim Notz, was sie machen würde, wenn ein sehr großer potenzieller Neukunde im Pitch auf Stundenvergütung bestehe. „Letztlich“, sagt sie, „kann ich das nicht ausschließen“. Doch es müsse dabei ein für beide Seiten gutes Gesamtpaket – wirtschaftlich wie qualitativ – im Fokus stehen. „Ich würde zunächst immer versuchen, den Kunden von den Vorteilen unseres Ansatzes zu überzeugen.“ Bislang seien die Reaktionen ihrer Kunden durchweg positiv ausgefallen: „Mich hat noch kein einziges negatives Feedback erreicht. Mit zwei unserer Kunden arbeiten wir bereits projektweise nach dem neuen Modell mit sehr guten Erfahrungen.“

Die Debatte um Agenturvergütungen und gesunde Geschäftsmodelle wird die Branche wohl noch eine ganz Zeit lang begleiten.

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.