Haltung: Die moralische Selbstbefriedigung der Marken

Viele Marken schwenken derzeit wieder die Regenbogenfahne. Doch hinter der vermeintlichen Haltung könnte auch einfach nur Dienst nach Vorschrift stecken. Ein Kommentar.
Die Farben auf der "One Love"-Kapitänsbinde bilden kein Regenbogensymbol, denn sie sollte sich gegen jede Form der Diskriminierung richten. Auch diese Binde ließ die Fifa nicht zu. (© DFB)

Faul soll sie sein, egoistisch und unsolidarisch noch dazu. So bemängeln Kritiker neuerdings den fehlenden Einsatz der arbeitenden Jugend und damit deren Einbringung für ein funktionierendes gesellschaftliches Miteinander. Quiet Quitting heißt der Trend, der derzeit aus den USA zu uns herüberzuschwappen scheint. So soll dort Gen Y und Z nach Meinungsumfragen mehrheitlich nur so viel arbeiten wollen, wie unbedingt nötig ist. Dienst nach Vorschrift im neuen Stil.

Ganz furchtbar das. Denn Werte sind hierzulande ein hohes Gut, selbst umsatzgetriebene Unternehmen repräsentieren Haltung bei jeder sich bietenden Gelegenheit. So wie der Rewe-Konzern, der am Dienstag verkündete, dass er nicht mehr Sponsor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sein will. Grund für das Ende der seit 2008 bestehenden Partnerschaft: Der DFB hatte sich einer Entscheidung der Fifa gebeugt, die Kapitänsbinde „OneLove“, stehend für Menschenrechte, Diversität und Frauenrechte, zu verbieten.

Die „Causa Binde“ hat nicht nur dem Ansehen des größten Fußballverbands der Welt großen Schaden zugefügt, sondern dem gesamten Sport, indem es dessen absurd mutierte Kommerzialisierung aufgezeigt hat. Wie groß der Schaden tatsächlich ist, wird sich noch zeigen. Was sich unmittelbar gezeigt hat, war der überwiegend positive Tenor gegenüber Rewe: Eine mutige Entscheidung, eine wichtige Entscheidung, sogar mit großem Symbolcharakter war aus den sozialen Medien zu entnehmen.

Wenige Stunden, nachdem Rewe das Ende der Kooperation mit dem DFB bekannt gemacht hatte, veröffentlichte Edeka diesen Post.

Haltung zu zeigen, ist nicht gleich Handeln

Charakter ist hier das Stichwort. Denn die Größe der Entscheidung mindert das kleine, aber nicht minder wichtige Detail: Rewe hatte bereits letzten Oktober verkündet, die Kooperation auslaufen zu lassen. Ob die Kölner nur auf die WM gewartet haben, um endgültig Schluss machen und positive PR mitnehmen zu können, ist unklar – schließlich sind Großveranstaltungen wie Fußball-Welt- oder Europameisterschaften sowie die Olympischen Spiele zu einem Garanten für Eklats geworden, seit sie vornehmlich in Autokratien oder Diktaturen stattfinden. Man mag also fragen: Wie mutig ist die Entscheidung von Rewe wirklich gewesen? Und mag es sich hierbei vielleicht nur um einen (moralischen) Dienst nach Vorschrift gehandelt haben. Mit anderen Worten: um ein Loud Quitting?

Haltung zu zeigen, ist für Marken heute zur Pflicht geworden. Warum auch nicht, schließlich tut man niemandem weh damit, es steigert das öffentliche Ansehen und im besten Fall auch den Absatz. Doch mit dem Schwenken von Regenbogenfahnen, besonders wenn es ausschließlich im Pride Month oder zu Fußball-Events geschieht, ist noch niemandem geholfen. Haltung zu zeigen, bedeutet mehr als einen bunten Post auf Social Media zu veröffentlichen oder sich soziale Verantwortung, Nachhaltigkeit und Diversität auf die bunte Fahne zu schreiben. Haltung zu zeigen, bedeutet auch zu handeln – wenn auch zu eigenem Lasten.

Man könnte sich ein Beispiel an der vermeintlich „faulen, unsolidarischen Jugend“ nehmen. Im Gegensatz zu manchen Unternehmen ist jene willentlich bereit, auf Geld zu verzichten und sich dafür mehr Zeit für die Familie, die Hobbies oder für eine gute Sache nehmen zu können. Das bedeutet Haltung. Zwar ist sie leiser als die Unternehmen, die derzeit wieder auf der Regenbogen-Welle schwimmen. Doch wer es richtig macht, kann es sich erlauben, leise zu sein. So sollten sich Unternehmen fragen, ob sie mehr als Dienst nach Vorschrift von ihren jungen Mitarbeitenden verlangen können, wenn sie selbst nur halbherzig handeln.

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.