Gaming ohne Grenzen: Inklusives Zocken

Gaming ohne Grenzen ermöglicht es Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung, miteinander zu spielen. Jeden Montagabend wird in Köln nicht nur gezockt, sondern getestet: Wie barrierefrei sind die Spiele wirklich?
Controller der Switch-Konsole
Gaming ohne Grenzen: In Köln setzt sich eine Initiative für Barrierefreiheit im Gaming ein. (© Marvin Ruppert)

Jeden Montagabend kommt eine Gruppe Jugendlicher zwischen 12 und 27 Jahren im Jugendpark in Köln-Mülheim zusammen, um zu zocken. Doch es geht nicht um das reine Spielen. Die Jugendlichen sind vielmehr Expert*innen in eigener Sache, wie die Initiative Gaming ohne Grenzen erklärt, die die Treffen an fünf verschiedenen Orten in und um Köln veranstaltet. Die Gruppen sind inklusiv zusammengesetzt. Getestet wird dabei, wie barrierefrei die Spiele sind. „Dafür spielen wir gemeinsam und schauen so: Können alle mitspielen?“, erklärt Mara Schulze. Teilweise werden dabei Einschränkungen nachgestellt, zum Beispiel mit Brillen, die eine Seheinschränkung simulieren. Auch assistive Technologien, wie spezielle Controller, kommen zum Einsatz.

Das Ergebnis (wie so häufig im Bereich Barrierefreiheit): Gänzlich barrierefrei ist eigentlich kein Spiel. Und trotzdem gibt es Spiele, die deutlich besser spielbar sind als andere. Die Jugendlichen bewerten in den Kategorien Verstehen, Hören, Sehen und Steuern. Ziemlich erfolgreich schneidet dabei das Fußballspiel „FIFA 21“ ab: Keine negativen Punkte vermerkt die bewertende Jugendgruppe im Bereich Verstehen; es gibt unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, dazu Tutorials und Trainingsmöglichkeiten, um die Spezifika des Spiels zu erlernen. Auch bei der Steuerung gibt es keine Abzüge: Sie ist komplett individuell anpassbar. Außerdem ist es möglich, Spielaktionen wie das Passen zu automatisieren. Für den Bereich Sehen gibt es leichte Abzüge für einen Anzeigemodus, aber auch Lob für die Möglichkeit, das Spiel farblich anzupassen, sodass es auch bei Farbenfehlsichtigkeit spielbar ist. Beim Hören profitiert das Spiel schon von der generellen Logik des Fußballs: Wenig Spielentscheidendes passiert über das Hören. Trotzdem fehlen die Untertitel bei den Kommentator*innen. Und in anderen Bereichen, in denen es zwar Untertitel gibt, sind diese zu klein und können nicht angepasst werden.

Bei Gaming ohne Grenzen testen Kinder und Jugendliche mit ohne Behinderung Spiele auf Barrierefreiheit. ©Marvin Ruppert

Manche Games-Hersteller setzen Basics nicht um

Klar ist also: So vielfältig wie die Einschränkungen von Menschen sind auch die Funktionen, die für mehr Barrierefreiheit umzusetzen sind. Und auch von Spiel zu Spiel sind die Bedürfnisse unterschiedlich. Ein einheitliches Regelwerk gibt es bis dato nicht. Juristische Vorgaben ebenso wenig. Doch gerade die Untertitelung hat sich bei vielen Games etabliert. Der britische Games-Journalist Mark Brown analysiert regelmäßig die Barrierefreiheit in Games. Sein YouTube-Kanal „Game Maker’s Toolkit“ hat 1,3 Millionen Abonnierende. Für 2021 hat er 16 Blockbuster-Games untersucht. Sein Ergebnis: 70 Prozent haben Untertitel-Optionen. Also zumindest die Möglichkeit, Untertitel an- oder abzuschalten. Die Möglichkeit, Schriftgrößen oder -arten anzupassen, haben hingegen die meisten großen Spiele nicht. Dabei ist diese Funktion vergleichsweise einfach zu implementieren und bringt großen Nutzen mit sich. Auch große Games wie „Metroid Dread“ bieten keine Möglichkeit, die Tastenbelegung anzupassen, wie Brown in seinem Test feststellt.

Die Tester*innen prüfen die Games in verschiedenen Kategorien. ©Marvin Ruppert

Die Studios sind zurückhaltend

Bemerkenswert ist auch, mit welcher kommunikativen Zurückhaltung Studios das Thema angehen. Beim Spiel „The Last of Us“ aus dem Jahr 2013 wurde gerade erst eine ganze Reihe von Barrierefreiheits-Features umgesetzt. Ein bemerkenswerter Schritt für ein neun Jahre altes Spiel. Nur: Dazu äußern wollte sich weder Playstation, also die Firma hinter der Konsole, für die das Spiel erschienen ist, noch das Studio Naughty Dog.

Auch die deutschen Games-Hersteller schreiben sich das Thema nicht unbedingt auf die Fahnen. Die Firma InnoGames, laut Gameswirtschaft.de der zweitgrößte deutsche Hersteller von Games, teilt mit, zu dem Thema „nichts Einschlägiges“ beitragen zu können.

Das mit 660 Mitarbeitenden größte deutsche Studio, Ubisoft, wird vom Games-Journalisten Brown für die Bemühungen um Barrierefreiheit hingegen gelobt. 2017 hat Ubisoft nach eigenen Angaben eine Taskforce ins Leben gerufen, um Barrierefreiheit „in jeder Phase der Entwicklung“ zu berücksichtigen. Bei „fast allen Spielen“ seien daher Funktionen wie freie Tastaturbelegung, angemessene Schriftgrößen und hochwertige Untertitel enthalten. Den eigenen Ansatz nennt Ubisoft „Accessibility by Design“. Das Produkt wird also von vornherein so gestaltet, dass es möglichst vielfältig nutzbar ist. Und auch online informiert Ubisoft detailliert dazu, welche Funktionen einzelne Spiele umgesetzt haben – auch wenn die Infos nicht immer auf dem neuesten Stand sind. Wie viel Aufwand letztlich in die barrierefreie Entwicklung fließt, lässt sich laut Ubisoft kaum beziffern – gerade weil diese elementarer Bestandteil der Entwicklung ist.

Mit „Accessibility by Design“ ist die Barrierefreiheit von vorneherein implementiert. ©Marvin Ruppert

In vielen Fällen ist es für Menschen mit Einschränkungen aber noch immer nötig, das eigene Verhalten zu adaptieren. So zu spielen, wie es eigentlich gedacht wäre, gelingt zu oft nicht. Damit sich das ändert, reagiert auch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Es fördert den Gaming-Standort Deutschland mit einem Programm im Umfang von jährlich 50 Millionen Euro. Eine Bedingung für die Förderung: Barrierefreiheit. Hersteller müssen im Rahmen ihrer Anträge genau erklären, wie sie sicherstellen, dass ihre Games für möglichst viele Spieler*innen nutzbar sind.

Das ist ein wichtiger Ansatz, um inklusives Gaming zu schaffen: „Das häufigste Problem ist, dass Barrierefreiheit meist nicht von Anfang an im Entwicklungsprozess mitbedacht wird“, sagt Mara Schulze von Gaming ohne Grenzen. Die Funktionen im Nachhinein einzubauen sei viel schwieriger. Gleichzeitig sagt die Initiative selbst, dass ein für alle nutzbares Spiel eine Utopie ist. Gewisse Aspekte kommen sich dabei sogar in die Quere. Was sehbehinderten Menschen nützt, kann es denen mit Hörbehinderung unnötig schwer machen.

Wirklich inklusiv würden die Erlebnisse nach Erfahrung von Gaming ohne Grenzen vor allem dann, wenn echte Gemeinschaft entsteht. Das gelingt zum Beispiel über die Co-Pilot-Funktion bei Xbox-Spielen, wie Gaming ohne Grenzen erklärt: „Mit dieser Funktion können zwei Controller so mit der Konsole verbunden werden, dass sie als ein Controller erkannt werden. So können Spieler*innen sich gegenseitig unterstützen und selbstständig spielen, ohne sich gegenseitig in den Controller zu greifen.“ Wunsch der Initiative ist daher auch, dass Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen in der Entwicklung noch stärker mitgedacht werden – und sie freut sich, wenn kleinere Studios auf sie zukommen.

Noch viel Potenzial für Barrierefreiheit

Die Förderung durch Congstar und Aktion Mensch von Gaming ohne Grenzen geht bis März 2023 – anschließend ist das Projekt beendet. Planungen zu einem Nachfolgeprojekt mit gleichem thematischen Schwerpunkt sind schon im Gange. So ganz gelingt das mit der Barrierefreiheit auch bei eigentlich bemühten Akteur*innen nicht. Anders ist es kaum zu erklären, dass ausgerechnet das Video, das auf dem Playstation-YouTube-Kanal publiziert wurde, um Werbung für die Barrierefreiheit im Spiel „The Last of Us“ zu machen, keine redaktionell erstellten Untertitel hat. Die Ankündigung selbst aber wird in den Kommentaren äußerst positiv aufgenommen. Blinde Menschen kommentieren, dass sie es kaum abwarten können, endlich selbst zu zocken. Andere sagen, dass es schön zu sehen ist, wie Entwickler*innen ein Bewusstsein für das Thema entwickeln. Dem kann man nur zustimmen. Auch wenn noch viel Potenzial für Barrierefreiheit auf der Straße liegt.

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.