Von relevanten Faxen und digitalen Gamechangern

Häme über mangelnde Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist manchmal zu billig und unberechtigt. Trotzdem sind die Probleme der Digitalisierung nicht wegzureden – und die Ursachen fest in den Strukturen verankert.
Fax
Ein Bremsklotz der Digitalisierung: das Faxgerät. (© Shutterstock)

Als die Bundesnetzagentur im Januar einen neuen Faxdienstleister ausgeschrieben hat, war die Häme so erwartbar wie laut. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg etwa machte ihrer belustigten Verzweiflung bei Twitter mit gleich neun Tränen lachenden Emojis Luft.

Zugegeben, die Ausschreibung vermittelt nicht gerade, dass Deutschland 2023 auf dem Weg zu einem zweiten Estland ist und die Digitalisierung jetzt so richtig nach vorne bringt. Doch das reflexhafte Lachen ist nicht nur billig, sondern bei näherem Hinsehen auch unberechtigt. Auf Nachfrage erklärt die Bundesnetzagentur, dass sie von Bürger*innen zum Beispiel zur Anmeldung von Solaranlagen kontaktiert werden muss. Zwar sei das Fax nicht der meistgenutzte Kanal. Doch die Pressesprecherin erklärt: „Von dieser Möglichkeit wird von Bürgerinnen und Bürgern nach wie vor […] Gebrauch gemacht.“ Der Etat ging schließlich an die Saarbrücker Firma VSE NET.

In der Behörde selbst wird digital gearbeitet

Die Bundesnetzagentur will also vor allem Bürger*innen einen zusätzlichen Zugangsweg bieten. Im Haus selbst wird nicht weiter mit dem Fax gearbeitet, wie die Sprecherin in feinstem Behördensprech mitteilt: „Die Faxdokumente werden in der BNetzA ausschließlich als Digitalisat verarbeitet.“ Bei Licht betrachtet taugt das Beispiel also kaum, um laut über die Digitalwüste in deutschen Behörden zu lachen.


Eigentlich müssten wir einfach mal die Festplatte formatieren und alles neu aufsetzen.

Christoph Egle, Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation

Das deckt sich auch mit Erkenntnissen des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt). In einer repräsentativen Befragung hat es herausgefunden, dass viele Menschen den persönlichen Kontakt zu Mitarbeiter*innen vor Ort bevorzugen. Gerade einmal etwa die Hälfte der Altersgruppe 65+ hat darüber hinaus bereits online einen Antrag gestellt oder einen Termin vereinbart. Bei allem Drang zur Digitalisierung ist also klar: Einfach alles digitalisieren führt auch zu digitaler Exklusion.

Es steht schlecht um die Digitalisierung

Deswegen aber zu glauben, dass es um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung gar nicht so schlimm steht, wäre genauso falsch. Das wird deutlich, wenn man sich die Resultate des Onlinezugangsgesetzes ansieht: „Fakt ist: Der Staat erfüllt seine selbst gesteckten Ziele nicht. Mit dem Onlinezugangsgesetz wollte die öffentliche Verwaltung 575 Leistungen digitalisieren. Dieses Ziel wurde klar verfehlt. Es hat also einen Grund, warum es im geplanten Onlinezugangsgesetz 2.0 keine Zielmarke mehr gibt“, sagt Christoph Egle, wissenschaftlicher Geschäftsführer des bidt.

Rainer Bernnat, Geschäftsführer und Public-Sector-Experte von Strategy&, sieht ein weiteres Problem in den mangelnden Konsequenzen: „Die Sanktionierungsmechanismen fehlen, wenn ein Bundesland das Gesetz nicht konsequent ,on time, on budget, on scope’ umsetzt.“ Der Bund stelle dann das Geld zur Verfügung, habe aber kaum Kontrolle über die Verwendung.

Warum das vor allem für Unternehmen ein Problem ist, wird an anderer Stelle deutlich: „Im Schnitt haben Bürger*innen höchstens zweimal im Jahr Kontakt zu Behörden – Unternehmen hingegen circa 200-mal“, sagt bidt-Geschäftsführer Egle. Es gibt also gute Gründe, die Prozesse für Unternehmen bevorzugt zu digitalisieren. Wie weit die Behörden da sind, ist nur schwer zu durchschauen, weil Themen wie die Gewerbeanmeldung auf kommunaler Ebene ablaufen. „Da können Sie zwar auf einem Dashboard zum Onlinezugangsgesetz nachschauen, aber das, was da geschaffen wird, ist eher undurchsichtig.“

Doch Egle sieht durchaus reale Verbesserungen, die auch helfen könnten, die trübe Transparenzsuppe etwas aufzuklaren: „Wirklich nützlich war und ist vor allem die Arbeit an einer einheitlichen Unternehmens-ID über das Elster-Unternehmenskonto. Bayern arbeitet daran für den bundesweiten Einsatz. Das ist ein echter Gamechanger.“ Über das Unternehmens-Log-in sollen Firmen dann alle Behördendienstleistungen digital abwickeln können – mithilfe einer übergreifenden ID-Nummer. Unterschiedliche Mitarbeiter*innen bekommen dann die jeweiligen Rechte und können mit der ID genau das tun, was ihre Aufgabe ist.

Veraltete IT-Systeme bremsen Digitalisierung

Aufgrund historisch gewachsener Strukturen ist der Weg dorthin noch weit. „Wir haben in Deutschland zum Teil veraltete IT-Systeme im Einsatz, die vor vielen Jahrzehnten entwickelt wurden und mit denen sich kaum noch jemand auskennt. Diese Systeme können aber erst abgestellt werden, wenn sie in eine neue ­IT-Landschaft überführt sind, da sonst wichtige Prozesse – zum Beispiel bei der Haushaltsaufstellung oder der Rentenberechnung – gefährdet werden“, erklärt Public-Sector-Experte Bernnat.

Noch länger gewachsen als diese Software ist der allgemeine Zustand der Verwaltung, meint Christoph Egle: „Zu Zeiten Bismarcks war Deutschland ein Vorreiter in der Verwaltung, aber seither hat sich die Welt weiterentwickelt.“ Es helfe nichts, Bestandsprozesse einfach zu digitalisieren, man müsse sie im Digitalen ganz neu denken. „Eigentlich müssten wir einfach mal die Festplatte formatieren und alles neu aufsetzen“, so der Fachmann. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist ungefähr so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass die hämischen Kommentare bei Twitter ein Ende finden.

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.