Die Zukunft schmeckt grün

Umweltlabel auf Lebensmitteln gibt es viele, sinnvoll wäre aber eine CO2-Zertifizierung – das zeigt ein Feldexperiment. Marken wie Ritter Sport setzen auf den Vegan-Trend, während die Grüne Woche eine glaubwürdige Neupositionierung verpasst.
In Deutschland wünscht sich rund die Hälfte der Konsument*innen, dass Informationen über die Nachhaltigkeit eines Produkts detaillierter und leichter zu finden sind. (© Unsplash/Nadine Primeau)

Über umweltverträgliche Lebensmittel wird viel geredet und manchmal werden sie auch gekauft. Welchen Anteil daran die zahlreichen Label haben, die wahlweise Naturnähe, Klimaneutralität, Tierwohl oder faire Produktionsweisen bescheinigen, ist durchaus umstritten. Besonders wirksam wäre ein vergleichsweise einfaches und standardisierbares Instrument: eine CO2-Kennzeichnung. Das haben Wissenschaftler der Ludwigs-Maximilian-Universität in München mit einem unangekündigten Feldexperiment herausgefunden.

Über zehn Tage hinweg versahen sie insgesamt 20.000 Gerichte in einer großen Mensa mit Angaben zum CO2-Ausstoß. Viele Besucher*innen wählten daraufhin eher emissionsarme Speisen. Getestet wurden unterschiedliche Kennzeichnungen, CO2-Emissionen in Gramm ebenso wie Anteile des täglichen CO2-Budgets. Am effektivsten war der Ausweis von Umweltkosten in Euro, kombiniert mit den Ampelfarben Grün-Gelb-Rot: Rund zehn Prozent CO2 wurden dann eingespart (detailliertere Angaben zur Versuchsanordnung hier).

Bevor nun wieder jedes Unternehmen ein eigenes Label entwirft: Wie wäre es mit einer Brancheninitiative? Damit ließen sich – auch gegenüber der Politik – Selbstverantwortung und Glaubwürdigkeit demonstrieren.

Konsument*innen wünschen sich mehr Information

Ohnehin wünscht sich in Deutschland rund die Hälfte der Konsument*innen, dass Informationen über die Nachhaltigkeit eines Produkts detaillierter und leichter zu finden sind. Das geht aus dem „Commerce Shortfall Report“ des Berliner Plattformanbieters Productsup hervor. In anderen Ländern fällt der Befund nicht grundlegend anders aus, kein Wunder: Knapp zwei Drittel der europäischen Verbraucher*innen sind „entschlossen, ihren Lebensstil nachhaltiger zu gestalten“, sagt eine aktuelle Umfrage im Auftrag des Europäischen Verbands der Karton- und Faltschachtelindustrie (die sich hauptsächlich auf Recycling bezieht).

Große DOOH-Kampagne für vegane Schokolade

„Zwischen dem, der eine Erwartung hat, und dem, der sie zu erfüllen verspricht, entwickelt sich eine Beziehung“: So hat Deutschlands Marketing-Papst Heribert Meffert im Gespräch mit der absatzwirtschaft einmal das Verhältnis zwischen Konsument*in und Marke beschrieben. Höchste Zeit also für viele Unternehmen, das Nutzenbündel ihrer Brands zu überprüfen und in Richtung Nachhaltigkeit zu repositionieren.

Zu den Vorreitern gehört der Schokoladenhersteller Ritter Sport. Die Schwaben waren schon immer recht ausgeschlafen im Marketing. 2016 brachte die Traditionsfirma als erster Volumenhersteller zwei vegane Schokoladen auf den Markt: Dunkle Mandel Quinoa und Dunkle Voll-Nuss Amaranth. Seit Jahresbeginn 2023 gibt es nun insgesamt fünf vegane Sorten, die bis April mit einer großangelegten DOOH-Kampagne beworben werden. „Als nachhaltiges und klimaneutrales Familienunternehmen ist es für uns zudem selbstverständlich, auch unsere Kampagne klimaneutral auszuspielen“, sagt Michaela Holzäpfel, Marketingleiterin bei Ritter Sport.

Grüne Woche hinkt dem Zeitgeist hinterher

Dem Trend folgen wollte auch die Grüne Woche in Berlin, die am Sonntag zu Ende ging. Es gab einen neuen Bereich „Grünerleben“ (zuvor hieß das „Biohalle“), außerdem Highlights wie Insekteneis, Chips aus angedetschten Kochbananen und Algenrezepturen aus Hessen. Die deutsche Lebensmittelwirtschaft hatte das Motto „Wie schmeckt die Zukunft?“ gewählt.

Wenn es trotzdem nicht so recht mit dem Imagewandel klappen wollte, mag das an den vielen Bildern gelegen haben, die Besucher*innen mit Bier und Bratwurst zeigten. Oder auch an einer halbherzigen Zielsetzung. Die – selbstgestellte – Frage „Sind wir jetzt die neuen Weltverbesserer?“ beantwortet die Messe Berlin mit „Nein, können und wollen wir nicht sein.“ Tja, dann…

Neue Theorie: Veganer*innen lieben Insekten

Den Rest besorgen Protagonisten wie der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Der ließ sich auf der Grünen Woche mit Aussteller*innen in Trachten fotografieren und postete dazu: „Diese positive Stimmung und Lebensfreude der Menschen müssen wir erhalten und uns nicht mit ständiger Weltuntergangs-Propaganda und Eigentumsfeindlichkeit von grün-links depressiv machen lassen!“ Am gleichen Tag kommentierte er die Zulassung neuer Insektenprodukte mit der Verschwörungsfantasie, dass die EU dem Essen Mehlwürmer untermischen wolle, „damit Veganer ihr tierisches Eiweiß bekommen“.

Deshalb noch ein kurzer Hinweis auf die Biofach vom 14. bis 17. Februar in Nürnberg, der Weltleitmesse für Biolebensmittel, und ihr engagiertes Rahmenprogramm. Dass man Herrn Aiwanger dort begegnet, darf als unwahrscheinlich gelten.

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.