Die stummen Geräte werden laut

Screens, die heute noch stumm sind, könnten schon bald für alle hörbar werden. Zum Beispiel an Bahnhöfen oder in Fitnessstudios. Möglich macht das die neue Generation von Bluetooth namens Auracast. Welche Einsatzszenarien gibt es und was ist zu beachten?
Mit Auracast Broadcast Audio können Menschen andere an ihrem Audioerlebnis teilhaben lassen. (© Bluetooth/Auracast/Screenshot: absatzwirtschaft)

Text – Frederic M. Servatius

“Bluetooth Audio Sharing” war der Arbeitstitel, unter dem Auracast anfangs firmierte. Der Begriff ist etwas unhandlicher, erklärt aber zugleich ganz gut, was bei Auracast eigentlich passiert: Während es bei Bluetooth darum geht, Daten jeder Art zu teilen, fokussiert der neue Standard auf das reine Teilen von Sound. Ein weiterer Unterschied aber lässt sich dann doch eher am neuen Namen erklären: In Auracast nämlich steckt das “Cast” für Broadcasting. Es geht also nicht mehr darum, mit einer reinen One-to-One-Verbindung Informationen von einem Gerät zum anderen zu senden. Viel mehr können nun von einem Gerät an eine unbegrenzte Zahl von Geräten Tonsignale übertragen werden.

Mit der neuen Technologie bietet sich eine Vielzahl von Einsatzszenarien. Die Offensichtlichste: Stumme Screens bekommen Sound – ohne, dass damit die gesamte Umgebung beschallt werden muss. Gerade für Bahnhöfe oder Fitnessstudios ist der Einsatz der Technologie insofern ein echter Gewinn. An den ohnehin lauten Orten ist die Außenbeschallung nicht sinnvoll und das Broadcasting eine echte Problemlösung. Auch bei Audiotouren in Museen, Silent-Discos oder im Krankenhausbett ist der Einsatz von Auracast sinnvoll.

Bei Veranstaltungen kann die Software zudem auch mit Simultanübersetzungen helfen. Es braucht dann keine aufwändige Audio-Infrastruktur. Mit dem eigenen Gerät können sich Nutzende so schnell und einfach ihren Sprachkanal aussuchen und schon hören sie die Live-Übersetzung der Veranstaltung auf ihrem Smartphone.

Mit Auracast erfolgreich werden? Content First!

Was im digitalen Zeitalter ohnehin gilt, ist für Auracast ebenso wichtig: Die Inhalte müssen extrem gut oder relevant sein, weil sie mit dem kompletten Content-Angebot des Internets konkurrieren. Und es braucht ein gewisses Nutzer*innenengagement, damit beispielsweise Wartende am Bahnhof ihre Kopfhörer mit dem Screen verbinden. Wie so oft wird also auch bei Auracast gelten: Content First.

Konkrete Partner, die Auracast in Deutschland einsetzen werden, kann die Bluetooth SIG, die für den Auracast-Standard verantwortlich ist, noch nicht nennen. Doch teilt die Organisation mit, dass alle großen Hersteller von Hörgeräten, Kopfhörern, Assistenztechnologien und Smartphones von Beginn der Entwicklung an dabei waren. Im ersten Halbjahr 2023, so vermutet die Bluetooth SIG, soll es mit der Technologie dann so richtig losgehen.

„Lebensverändernde Audio-Erfahrung“

In ihren Marketing-Versprechen ist die Bluetooth SIG dabei nicht sparsam: Als “lebensverändernde Audio-Erfahrung” bezeichnet sie die Technologie auf Anfrage. Gleichzeitig teilt die Organisation mit, dass man Auracast nicht primär als Werbekanal versteht. Vielmehr gehe es darum, Menschen näher zueinander zu bekommen.

Das soll auch im Bereich der Inklusion gelingen: Das Senden der Signale ist auch direkt an Hörgeräte möglich, sodass auch schwerhörige Menschen Audiosignale empfangen können, die sie sonst nicht hören würden.

Wie sicher ist die Technologie?

Nicht ungestellt bleiben darf allerdings die Frage nach dem Datenschutz: Für Nutzende ist es wichtig, sich nicht blind mit unbekannten Audio-Kanälen zu verbinden, sondern nur mit solchen, deren Namen sie verifizieren können. Ob es noch weitere Probleme oder Sicherheitslücken gibt, ist noch unklar, wie IT-Experte Nils Ole Tippenhauer vom Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit gegenüber dem Spiegel erklärte.

Die Bluetooth SIG gibt keine Einblicke in die Entwicklung, scheint aber generell nicht wahnsinnig interessiert am Schließen von Sicherheitslücken. Das wälzt die Organisation eher an die Hersteller von Smartphones und an diejenigen ab, die die Produkte dann verbreiten. Entscheidend wird also auch sein, dass sowohl Unternehmen als auch Nutzende die Technologie aufmerksam verwenden.

Auch von möglichen Sicherheitsprobleme abgesehen: Spätestens wenn der erste Jugendliche seine nervig-laute tragbare Box mit dem Auracast-Sound verknüpft und Innenstädte beschallt, dürfte der Ärger vorprogrammiert sein. Wobei das Ausspielen eines kuratierten Auracast-Sounds vermutlich erträglicher ist als die unausgegorene Musik-Auswahl von pubertierenden Jugendlichen. Dennoch hilft dann wie so oft nur das eins: Die eigenen Noise-Cancelling-Kopfhörer aufsetzen. Mit der eigenen Musik oder eben einem passenden Auracast-Feed.

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.