Die richtigen Signale ans Gehirn der Kundschaft senden 

Die Verpackung ist oft das erste, was Kund*innen von einem Produkt sehen. Damit sie eine Kaufentscheidung treffen, brauchen Verpackungsdesigner*innen gute Kenntnisse darüber, wie das Gehirn funktioniert. Zwei Fachleute erklären, was gutes Neuromarketing im Bereich Packaging ausmacht.
Die nachhaltige Penny-Marke Food for Future ist in blau statt grün gehalten: Schon die Farbauswahl bestimmt die Assoziationen und den Grad an Differenzierung innerhalb einer Kategorie. (© WIN)

Sie ist wahrscheinlich die direkteste Form der Werbung. An vorderster Front, dort wo Konsument*innen ganz unmittelbar entscheiden, welches Produkt sie aus dem Regal in den Einkaufswagen legen und welches sie zurücklassen, da muss sie zu 100 Prozent das Richtige kommunizieren: die Verpackung. Dabei tut die Außenhülle so viel mehr als Chips zusammenhalten oder Vitamine vor dem Tageslicht schützen. Eine gute Verpackung gewinnt unsere Aufmerksamkeit, sie erzählt Geschichten, bringt uns dazu, sie anfassen zu wollen, kann uns nostalgisch machen oder durch ihr spezielles Knistern wahre Aufregung entfachen.  

Kein Wunder, dass im Bereich des Verpackungsdesigns alle Kniffe des Neuromarketings zusammenlaufen. Nur wer weiß, wie das Gehirn funktioniert, kann ihm aus dem Ladenregal die richtigen Signale senden. Denn viele Kaufentscheidungen laufen nicht auf einer bewussten Ebene ab. Dabei ist die Verpackung in Gefahr. Aus Umweltschutzgründen wird richtigerweise immer mehr auf unnötiges Material und auf bestimmte Werkstoffe verzichtet. Aber auch hier können Chancen für das Design liegen.  

Anna Weinrich und Patrick Stöppler sind beide Expert*innen in Sachen Verpackung und wissen durch ihre Arbeit beim Packaging-Design-Unternehmen WIN Creating Images bestens Bescheid, vor welchen Herausforderungen die Branche – auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit – steht.  

Frau Weinrich, Herr Stöppler, mit welchen Mitteln werden Verpackungen so gestaltet, dass sie die Aufmerksamkeit der Konsument*innen gewinnen? Und geht es dabei immer nur ums Auffallen? 

Auffallen ist einfach. Gutes Packaging Design ist viel komplexer. Die Zielsetzung ist, im „relevant set“ der erklärten Zielgruppe zu landen. Das bedeutet: sie mit dem Produkt in ihrer Lebensrealität anzusprechen und abzuholen. Es geht darum, den Spagat zwischen Kategoriecode und etwas Besonderem zu schaffen. Wie weit kann man die Kategoriecodes stretchen, um Differenzierung zu finden und aufzufallen? Haptik und Formen können beispielsweise ein unterbewusster Call-to-Action sein: So verleiten Glasflaschen mit Reliefs oder Rillen förmlich dazu, sie anzufassen. 

Anna Weinrich ist Senior Strategy Managerin bei WIN Creating Images. Sie ist seit acht Jahren beim Packaging-Design-Unternehmen und legt ihren Fokus auf Trendrecherche, Innovation & Markenberatung. ©WIN

Auch die Produktqualität und -Eigenschaften können durch Farben, Formen, Namings, Bildelemente kommunizieren und in der gewünschten Richtung verstärkt werden. Beispiel: Fließende, weiche, runde Formen unterstreichen die nährende, wohltuende Wirkung von Pflegeprodukten. Auch eine weiche Typografie gehört dazu. Knäckebrot, Chips und Co. hingegen profitieren von „gerissenen“ Formen mit rauen Kanten und härteren Typos, die ein Crunch-Gefühl suggerieren. Gelungenes Packaging ist das erfolgreiche Zusammenspiel vieler Elemente und Botschaften – zu einem großen Teil unterschwelliger –, die Emotionen und Kaufentscheidungen beeinflussen. Erst wenn die Grenzen und Regeln gelernt und verstanden sind, kommt die Königskategorie zu Einsatz: Sich innerhalb dieser natürlich gesteckten Grenzen zu bewegen und sie etwas zu verschieben, um aufzufallen. 

Spielt Neuromarketing beim Verpackungsdesign eine große Rolle?  

80 Prozent der Kaufentscheidungen werden im Autopilot, also unterbewusst, getroffen. Hirnforschung spielt also bei allem, was wir tun, eine Rolle – auch wenn wir nicht selbst im Bereich Neuromarketing tätig sind. Erkenntnisse wie diese müssen wir in all unseren Designs berücksichtigen: Das menschliche Arbeitsgehirn kann maximal die im Neuromarketing so bezeichneten „4 ± 1“ Informationen verarbeiten. Das Auge des Betrachters muss durch das Design so gelenkt werden, dass die Key-Informationen auf erster Wahrnehmungsebene verarbeitet werden können. Denn wenn wir die Konsument*innen überfordern, erwecken wir weder Aufmerksamkeit noch Begehrlichkeit. Und dann wird am Ende nichts gekauft. 

Wie wirkt sich das konkret auf Ihre Arbeit aus? 

Wir lassen aktuelle Studien aus dem Neuromarketing und zum Beispiel Erkenntnisse von Spezialist*innen in unsere tägliche Arbeit einfließen. Solche Erkenntnisse sind wichtig und bestärken uns in unserer Motivation, die Herausforderung im Packaging Design jeden Tag aufs Neue zu lösen: Verpackungen zu schaffen, die fokussiert, clean und simple sind, ohne langweilig und austauschbar zu sein. Die richtige Blickführung, die Informations-Hierarchie, das Finetuning: Das sind alles Dinge, die bei jedem Packaging individuell bewertet werden – teils bewusst, teils unbewusst. Denn die Erfahrung zeigt, dass wenn Designs uns selbst nicht überzeugen, sie sich nicht rund, intuitiv oder ausgewogen anfühlen, meistens das eine fehlt: eine nutzerfreundliche Gestaltung, die die Kriterien des Neuromarketings erfüllt.

Patrick Stöppler ist Head of Design bei WIN Creating Images. Er ist seit elf beim Packaging-Design-Unternehmen und legt seinen Fokus auf Konzeption & Design. ©WIN

Ein gutes Beispiel dafür ist Flow, unser Cocktail-to-go. Manchmal braucht es gar nicht viel, um eine ganze Welt von Urlaubs- und Freiheitsgefühl aufzumachen. Flow schafft unterbewusst und rein durch die gestalterische Ebene ganze Bildwelten im Kopf, die Assoziationen zu lauen Sommernächten wecken – und das ganz ohne Worte. Gerade heute, wo Marken vermehrt online funktionieren müssen, ist eine intuitive Wahrnehmung und Reduktion besonders wichtig, weil das Design auf kleinster Bildschirmgröße funktionieren muss.  

Woher stammen die Erkenntnisse im Bereich Neuromarketing?

Wir haben einen hohen Anspruch an uns und daran, dass unsere Packagings das meiste aus Marken herausholen – kurzum: sich verkaufen. Agenturintern informieren wir uns regelmäßig über Neuerungen im Bereich Neuromarketing, Daniel Kahnemann ist beispielsweise eine wertvolle Quelle. 

Flow: Manchmal braucht es gar nicht viel, um den Kopf auf Reisen zu schicken. ©WIN

Im Rahmen von Relaunches oder Marken- und Produktlaunches sind Marktforschungen ein etabliertes Tool, um das Feedback der Konsument*innen einzuholen. Vereinzelt nutzen unsere Kunden in Zusammenarbeit mit anderen Instituten Wärmebildkameras oder Tracking-Technologien, die die Fokuspunkte der Rezipient*innen erfassen und darstellen.  

Bei Verpackung müssen heutzutage viele Überlegungen bezüglich der Nachhaltigkeit einfließen. Erschwert das manchmal die Möglichkeiten des Neuromarketings oder schränkt sie ein?  

Im Bio-Segment bewegen sich die Designs im Spannungsfeld zwischen Reformhauscodes und Lifestyle-Konzepten, die sich vom „Öko-Look“ lange verabschiedet haben und trotzdem erkennbar Bio sind. Zwar lassen sich bei einem umweltschonenden Druckprozess mit Pflanzenfarbe auf Natur-Papier weniger auffällige Kontraste erzielen. Im Bereich der Nachhaltigkeit passiert aber ganz viel. Technologien entwickeln sich weiter und die Erwartungen der Konsument*innen sind längst nicht mehr „Öko = Beige“. Auch nachhaltige Produkte sollen heute Spaß machen, für Freude stehen – und sie dürfen auch Knallfarben haben. In Zukunft wird diese „healthy“ Nische total in den Mainstream übergehen – und sich auch optisch angleichen.  

Gibt es Positivbeispiele im Bereich Verpackungsdesign für besonders gelungenes Neuromarketing auf dem Markt?   

Es ist immer abzuwägen zwischen den Codes der jeweiligen Kategorie und den Consumer Needs. Ein Produkt im Mainstream muss stärker auf Codes einzahlen als ein Premiumprodukt. Denn im Luxusmarkt ist es oft ein Gewinn, bestehende Codes bewusst zu brechen, um einen Wow-Moment zu erzeugen. Wenn wir aber im Mainstream bleiben, können wir hier zum Beispiel auf Nivea blicken. Es war ein sehr cleverer Schachzug, das Logo in Form der gelernten kreisrunden Dose auch auf die Flaschen zu übernehmen. Und das nicht nur auf der Front, sondern auch haptisch auf dem Deckel jeder Flasche. 

Wenn Marken es schaffen, schon durch Farbe, Flaschenform, Naming oder Geräusch erkennbar zu sein, können sie ikonisch werden. Heinz Ketchup oder die Coca-Cola-Flasche, das Nutella-Glas und das Nivea-Logo: Alle Marken wären auch noch völlig entfremdet und ohne Logo erkennbar. Um hier Assoziationen und Emotionen hervorzurufen, braucht es manchmal nicht mehr. Wenn wir uns also bei der nachhaltigen Penny-Marke Food for Future für Blau entscheiden, statt für das Kategorie-übliche Grün, schafft das nicht nur eine gedachte Verbindung zum blauen Planeten und zum Ozean, es sorgt auch für Differenzierung und Wiedererkennungswert.