Deutsche Start-ups erleben Boom – und sind vom Ausland abhängig

Deutsche Gründer erhielten 2019 erneut Rekordsummen von Investoren. Doch große Beträge kommen fast immer von ausländischen Geldgebern. Das birgt Gefahren für den hiesigen Technologiestandort.
Der größte Deal eines deutschen Unternehmens 2019: Bei der Finanzierungsrunde von Flixmobility über rund 500 Millionen Euro stiegen die angelsächsischen Investoren TCV und Permira neu ein. (© Imago)

Von Alexander Sturm, dpa

Gründer in Deutschland erleben einen ungebrochenen Geldsegen. 2019 sammelten Start-ups so viel Kapital von Investoren ein wie nie zuvor und gelangten an üppige Summen für Geschäftsideen wie Mobilitätsdienste, Softwarelösungen und Finanz-Apps. Vor allem internationale Investoren steckten viel Geld in hiesige Start-ups, wie eine Studie der Beratungsgesellschaft EY zeigt. Die Schattenseite: Deutsche Kapitalgeber spielten bei den großen Deals kaum eine Rolle. Wollen Gründer expandieren, sind sie gefährlich stark von ausländischen Geldquellen abhängig.

2019 erhielten hiesige Start-ups EY zufolge 6,2 Milliarden Euro von Investoren. Das waren nochmals 36 Prozent mehr als der bisherige Höchststand im Jahr zuvor (4,6 Milliarden Euro). Auch die Zahl der Finanzierungsrunden stieg kräftig um 13 Prozent auf 704.

Flixmobility und N26 mit den größten Finanzspritzen

„Der Finanzierungsboom hält unvermindert an“, sagte Hubert Barth, Vorsitzender der EY-Geschäftsführung in Deutschland. „Es ist sehr viel Liquidität im Markt – mit weiter stark steigender Tendenz.“ 2019 habe es 13 Deals mit über 100 Millionen Euro gegeben, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Am meisten Geld floss demnach in die Münchner Firma Flixmobility, die für ihre Fernbusse bekannt ist, das Berliner Reise-Start-up GetYourGuide, die Gebrauchtwagenplattform Frontier Car Group und die Smartphone-Bank N26.


Fin- und Insuretechs vorne: Deutsche Start-ups, die etwa Geldanlagen oder Versicherungen für Verbraucher einfacher und komfortabler machen wollen, haben im vergangenen Jahr Rekordgelder von Investoren erhalten. Die jungen Finanzfirmen sammelten 1,7 Milliarden Euro ein, zeigen Zahlen des Analysehauses Barkow Consulting. Das sei ein Plus von 44 Prozent gemessen am Vorjahr. Allein rund 442 Millionen Euro entfielen dabei auf Versicherungs-Start-ups, dreimal so viel wie im Vorjahr.


Für Start-ups sind die Geldspritzen oft überlebenswichtig: Die Firmen sind für ihre Expansion auf Investoren angewiesen, da sie in der Regel anfangs keinen Gewinn schreiben. Gerade angelsächsische Fonds stecken Wagniskapital in Start-ups in der Hoffnung, dass sich deren Geschäftsideen durchsetzen und ihnen üppige Profite bescheren.

Längst suchen auch Konzerne die Nähe zu Gründern. Ob die Deutsche Bank mit Digitalfabriken, das Lab1886 von Daimler oder die Allianz mit ihrem Investmentableger Allianz X – alle wollen von frischen Ideen profitieren und sich als attraktiv für Fachkräfte darstellen.

Berlin ist deutsche Gründerhochburg – danach kommt lange nichts

Doch trotz des Hypes um Start-ups bleiben Schwächen am Standort Deutschland. So kommt nach der Gründerhochburg Berlin lange nichts. Die Start-ups in der Hauptstadt sammelten 2019 alleine rund 3,7 Milliarden Euro ein, knapp 60 Prozent aller verteilten Gelder hierzulande. Weitere gut 1,5 Milliarden entfielen auf Bayern mit dem Zentrum München, das laut EY stark aufgeholt hat. Die übrigen Bundesländer bleiben ein steiniges Pflaster für Gründer.

Die großen Tickets kommen fast immer aus dem Ausland, vor allem den USA.“

Peter Barkow, Gründer von Barkow Consulting

Wenn der Unternehmernachwuchs Kapital braucht, kommt er zwar schnell an kleine Summen. Doch dann wird es dünn. „Hierzulande gibt es kaum Adressen, die Finanzierungen über 50 Millionen Euro anbieten“, sagt Peter Barkow, Gründer des Analysehauses Barkow Consulting. Dazu zählen die Start-up-Schmiede Rocket Internet und Konzerne wie Allianz. „Die großen Tickets kommen fast immer aus dem Ausland, vor allem den USA.“

„Finanzstarke und überwiegend international tätige Investoren aus den USA, Großbritannien sowie Asien sind insbesondere an sehr großen Transaktionen interessiert“, erklärt EY-Partner Peter Lennartz. Das liege auch daran, dass Start-ups in Europa niedriger bewertet seien als im Silicon Valley und der Einstieg entsprechend günstiger sei. Zwar seien auch deutsche Risikokapitalgeber aktiv: „Um die ersten, kleineren Runden von überwiegend deutschen Kapitalgebern finanziert zu bekommen, müssen junge Firmen von Anfang an ein Geschäftsmodell betreiben, das potenziell auch international erfolgreich sein kann. Dann gehe es mit großen Runden bei ausländischen Investoren weiter.

Bundesregierung unterstützt Gründerkultur

Trotz der Fortschritte werbe die deutsche Start-up-Szene gemessen an den USA und China nur einen Bruchteil des Risikokapitals ein, sagt Danyal Bayaz, Start-up-Beauftragter der Grünen im Bundestag. „Das ist problematisch, denn es geht nicht nur um unsere Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch um unsere technologische Souveränität.“

Die Bundesregierung hat das Problem erkannt. Sie will die Gründerkultur mit staatlich unterstützten Wagniskapitalfonds vorantreiben. Eine neue Plattform für Gründer soll zudem Beratung und Vernetzung fördern. „Die Investorenszene für die Frühphase hat sich erfreulich gut entwickelt“, meint Carsten Rudolph, Geschäftsführer der Förderagentur BayStartup in München. Die ersten ein, zwei Millionen seien kein Problem. „Schwierig wird es ab zehn Millionen Euro aufwärts, wenn es für ein Start-up darum geht, die Welt zu erobern.“