Industrieaufträge steigen stark – BDI sieht keine schnelle Erholung

Die deutsche Industrie kann sich über einen überraschend starken Anstieg der Aufträge freuen. Doch gerade die Bestellungen aus dem Ausland zeigen, dass die Krise noch nicht vorbei ist. Auch der Industrieverband BDI zweifelt an einer schnellen Erholung. Die Bundesregierung müsse bei Hilfen noch einmal nachlegen.
Trotz der starken Erholung liegt das Auftragsniveau in der Autoindustrie immer noch 12 Prozent niedriger als vor der Krise. (© Imago)

Der Auftragseingang in der deutschen Industrie hat sich nach dem Einbruch in der Corona-Krise überraschend stark erholt. Nachdem das Ordervolumen schon im Mai um 10,4 Prozent im Vergleich zum April gestiegen sei, habe es im Juni ein kräftiges Plus um 27,9 Prozent gegeben, teilte das Statistische Bundesamt am Donnerstag in Wiesbaden mit.

Im März und April waren die Bestellungen eingebrochen, als in vielen Industriestaaten die Wirtschaft im Kampf gegen die Pandemie größtenteils heruntergefahren wurde. Nun wuchsen gerade die Aufträge in der deutschen Autobranche stark. Der Industrieverband BDI sieht aber keine schnelle Erholung der Wirtschaft schon im Herbst.

Analysten hatten im Schnitt einen Anstieg der Auftragseingänge in der Industrie erwartet, waren aber nur von einem Zuwachs um 10,1 Prozent im Montasvergleich ausgegangen. „Die deutsche Industrie meldet sich eindrucksvoll zurück“, kommentierte Experte Ralph Solveen von der Commerzbank. Die Daten hätten gezeigt, dass sich die Geschäfte in der Industrie nach der Aufhebung der Beschränkungen spürbar belebt hätten. Nach Einschätzung von Solveen dürfte auch die Produktion in Juni deutlich gestiegen sein.

Laut Statistischem Bundesamt fiel der Auftragseingang in der Autoindustrie im Juni mit einem Anstieg um 66,5 Prozent besonders stark aus. Das Auftragsniveau liege in der deutschen Schlüsselindustrie aber immer noch um 12,2 Prozent niedriger als im Februar, bevor die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eingeführt worden seien. Der Auftragseingang bei Konsumgütern sei ferner im Juni nur um 1,1 Prozent im Monatsvergleich gestiegen, hieß es.

Industrieaufträge nähern sich Vorkrisen-Niveau

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums nähern sich die Industrieaufträge wieder dem Vorkrisen-Niveau. Experten des Ministeriums bezifferten das Volumen der Ordereingänge auf 90,7 Prozent der Bestellungen von vor dem Ausbruch der Pandemie im vierten Quartal 2019. Auch der Jahresvergleich macht deutlich, dass der Einbruch beim Auftragseingang noch nicht vollständig wettgemacht ist. Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilte, lag der Auftragseingang im Juni um 11,3 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor.

Den stärksten Zuwachs verzeichneten die Statistiker bei den Aufträgen aus dem Inland. Hier habe es einen Zuwachs um 35,3 Prozent zum Vormonat gegeben, hieß es. Beim Ordereingang aus dem Ausland meldete das Bundesamt einen geringeren Zuwachs um 22 Prozent.

„Der Anstieg im Juni ist hoffnungsvoll», erklärte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Jedoch falle auf, dass gerade die Bestellungen aus dem Ausland weiter zurückhaltend seien. „Für die international vernetzte deutsche Industrie wird es in den nächsten Monaten darauf ankommen, wie es weltweit den anderen Volkswirtschaften gelingt, mit der Pandemie erfolgreich umzugehen“, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführungsmitglied Ilja Nothnagel.

Auch aus dem Mittelstand gab es hoffnungsvolle Signale für die deutsche Wirtschaft, wie die Förderbank KfW meldete. So helle sich das Geschäftsklima der Firmen auf, und bei den besonders gebeutelten Großunternehmen gebe es viel Hoffnung auf Besserung der Geschäfte. „Nach dem Absturz ins Bodenlose im April ist den kleinen und mittleren Unternehmen ein recht ordentlicher Neustart gelungen“, sagte Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW, in Frankfurt.

BDI befürchtet deutlichen Anstieg der Insolvenzen im Herbst

Der Industrieverband BDI erwartet wegen der weiter schweren Folgen der Corona-Krise allerdings keine schnelle Erholung der Wirtschaft. „Ohne mehr und zielgerichtetere Hilfen befürchten wir einen deutlichen Anstieg der Insolvenzen ab Herbst“, sagte Industriepräsident Dieter Kempf. „Die Liquidität muss verbessert werden, die Firmen brauchen Eigenkapital. Das kann zu einem großen Problem werden, wenn nicht gegengesteuert wird. Die Unternehmen sind sehr stark bankenfinanziert.“

Kempf sagte, er teile den Optimismus von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nicht, dass es im Oktober wieder aufwärts gehe. „Ich gehe davon aus, dass es deutlich länger dauert.“ Das Wachstum werde 2021 und möglicherweise auch 2022 noch verhalten sein, wobei dies von Branche zu Branche unterschiedlich sei: „Aber einen Aufschwung im Herbst 2020 sehe ich beim besten Willen nicht.“ Der BDI rechne mit einem Minus des Bruttoinlandprodukts von 6,5 Prozent im Gesamtjahr, einem Exportrückgang von 15 Prozent und einem Importminus von 12 Prozent.

Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland war im zweiten Quartal um zehn Prozent eingebrochen. Altmaier rechnet damit, dass im Herbst die Wirtschaft in der ganzen Breite der Wirtschaft wieder wächst. „Es gibt Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung“, sagte Kempf. „Die Grundstimmung in der Wirtschaft ist aber nach wie vor nicht gut.“

Der Bund habe in der Krise sehr kraftvolle Impulse für die Konjunktur gesetzt, sagte Kempf. Die schwarz-rote Koalition hatte ein milliardenschweres Konjunkturpaket aufgelegt. „Aber wir merken deutlich, in bestimmten Bereichen muss noch nachjustiert werden, vor allem bei kleineren und mittleren Unternehmen.“ Es könnte zudem nötig sein, die Zeitspanne des Kurzarbeitergelds in bestimmten Branchen noch zu verlängern.

tht/dpa