Böse Absicht? Keine Ahnung!

Kommunizieren ist eine heikle Sache - Nachhaltigkeit zu kommunizieren, eine Rutschpartie. Praxistipp 1: Immer bei der Wahrheit bleibe und 2: Kompetenz aufbauen. Denn die befinde sich im Marketing auf „analphabetischem Niveau“, sagt Different-Gründer Jan Pechmann.
Nespresso hat eigens die Online-Plattform „Doing is Everything" ins Leben gerufen, um seine grünen Inhalte transparent zu präsentieren. (© Unsplash/ Ashkan Forouzani)

An den Schwerpunktthemen des honorigen Fachmagazins „Marketing Review St. Gallen“ lässt sich feststellen, was die Marketingwissenschaftswelt gerade bewegt. Thema der aktuellen Ausgabe 2/2023 ist „Sustainable Consumption“. Viele Marketing- und Managementansätze seien auf Gewinnmaximierung ausgelegt anstatt auf Verantwortung – mit diesem Dilemma seien Marken- und Marketingmanager*innen „großteils auf sich allein gestellt“. Und so soll das Heft „einen Beitrag zur Weiterentwicklung des nachhaltigen Marketings“ leisten.  

Tut es! Zum Beispiel im Interview mit der Marken-Chefin von Nespresso: Mélanie Brinbaum erklärt darin die Nachhaltigkeitskommunikationsstrategie der Kaffeemarke aus dem Hause Nestlé. Die steht nicht zuletzt wegen ihrer Alu-Kapseln immer wieder in der Kritik. Mélanie Brinbaum berichtet, dass Nespresso eigens die Online-Plattform Doing is Everything ins Leben gerufen hat, um seine grünen Inhalte transparent zu präsentieren. Und dass die Marke Nachhaltigkeitsthemen lieber emotional als rational kommuniziert – wofür sie ihr Testimonial George Clooney zu den Kaffeeplantagen reisen und ihn ungefiltert berichten lässt.

Interessant: In klassischen Werbekampagnen verzichtet Nespresso auf Bezüge zur Nachhaltigkeit, denn: „We believe that we cannot reasonably explain our sustainability efforts in a 15-second ad. In our opinion, mass media, especially TV, is not the right place to disseminate those messages.“

Menschen in Corporate Communications-Abteilungen, sagt Mélanie Brinbaum, sollten handeln, wie „Guardians of the brand“. Das heißt konkret: „purpose-driven not opportunistic“. Nespresso kommuniziere nur dann zum Thema Nachhaltigkeit, wenn eine Aktivität glaubwürdig, langfristig und wirksam sei. Eigentlich ist es eine gigantische Bankrotterklärung für die Marketingkommunikation im Allgemeinen, dass derlei Selbstverständlichkeiten überhaupt ausgesprochen werden müssen. Aber diese Annahme ist wohl ein bisschen naiv, denn in einem anderen Artikel des Magazins heißt es: „Bevor es an die Kommunikation von Nachhaltigkeit geht, muss die Marke sich in gewisser Weise nachhaltig verhalten.“ Echt jetzt?

Die Blühwiese als Errungenschaft 

Und, zack, sind wir bei Jan Pechmann. Der Mann, der 1997 die Strategieberatung Diffferent gründete und Marketing for Future sowie den passenden Award dazu initiierte, hat soeben mit Frank Schlieder, Kerrin Löhe und Friedrich Bohn BAM! Bock auf morgen gegründet. Das Unternehmen positioniert sich als Nachhaltigkeitscoaching fürs Marketing. Ziel ist es, „Nachhaltigkeit nicht nur richtig, sondern richtig gut zu kommunizieren“.  

Dazu gibt es eine Menge Wissensbedarf. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber in meinem E-Mail-Eingang finden sich quasi täglich Kongress-, Seminar-, Webinar- und Event-Ankündigungen dazu, wie sich das nachhaltige Engagement von Marken denn nun am besten vermitteln lässt. (Man wundert sich, wo plötzlich all die Profis herkommen, aber das ist ein anderes Thema.)

Jan Pechmann, von Natur aus ein freundlicher Mensch, unterstellt den Marketingverantwortlichen selbst bei krasser Greenwashing-Kommunikation gar nicht mal unbedingt nur bösen Willen, er sagt: „Greenwashing ist nicht nur eine Frage mangelnder Moral. Es ist aus meiner Sicht auch immer eine Frage mangelnder Kompetenz. Das nachhaltigkeitstheoretische Grundwissen ist im Marketing auf einem analphabetischen Niveau.“

Viele würden aus Stroh Gold spinnen, noch die 27te Blühwiese vor der Konzernzentrale für eine echte Errungenschaft halten und eine Kampagne daraus machen. Für Pechmann ist eine wahrhaftige, konsequente und ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie „des Pudels Kern der gelungenen Nachhaltigkeitskommunikation“. Womit sich der Kreis zu den Aussagen in der „Marketing Review“ schließt.

Danke, Ihr Erfinder des FCKW-freien Kühlschranks!

Zum Schluss noch eine Geburtstagsmeldung der besonderen Art: Der FCKW-freie Kühlschrank feiert sein 30stes! Für die Jüngeren unter Ihnen: Das war damals ein Riesending, denn FCKW ist ein übler Ozon-Killer. Man hörte seinerzeit als fröhlich vor sich hinlebender Normal-Teenie zum ersten Mal davon, dass im Himmel etwas kaputtgeht und es gefährlich ist, sich dem Sonnenlicht auszusetzen.

Das Wort „Treibhausgas“ war neu im allgemeinen Vokabular – und ging dann leider auch nicht mehr weg. Jedenfalls: Ein herzlicher Dank an Wolfgang Lohbeck (78) und Albrecht Meyer (80), die laut dpa für den Start der Serienproduktion des weltweit ersten Kühlschrankes ohne FCKW verantwortlich sind. Heute sind FCKW-freie Kühlschränke Branchenstandard, und außerdem auch noch energieeffizient. Geht doch!

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“