Gemischtes Doppel: Lisa Wohlfarth und Lena Kraus

Auf dem Weg zur Umsatzmillion: Mit ihrem nachhaltigen Modelabel Everless haben sich Lisa Wohlfarth und Lena Kraus innerhalb kürzester Zeit einen Traum erfüllt. Und das Ganze fast ohne Marketingbudget.
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Lena Kraus (links) und Lisa Wohlfarth kennen sich seit mehr als 20 Jahren. Freundinnen wurden sie als Teenager, auf der Fahrt ins Zeltlager. (© Oana Szekely)

Wir treffen uns an einem Montagmorgen Mitte Juni im Hotel Lindley in Frankfurt am Main. Lena Kraus und Lisa Wohlfarth sitzen im Foyer, Handys in der Hand. Es ist das erste Mal, dass die beiden ihre Geschichte in all ihrer Breite erzählen. Die Geschichte, wie aus einer fixen Idee eine Marke wurde, mit der die Gründerinnen 2023 die Million knacken wollen. 

Everless heißt ihr nachhaltiges Modelabel, von dessen erster Kollektion im Frühjahr 2023 der Großteil binnen weniger Tage ausverkauft ist. Zeitlos sollen die Stücke sein, für und mit der Zielgruppe entwickelt. Das Sortiment umfasst unter anderem schwarze Leggings, ein weißes, blickdichtes Top und einen gepunkteten Wickelrock. Everless funktioniert nach dem Baukastenprinzip: Jedes Teil lässt sich mit jedem anderen mühelos kombinieren. Kurz gesagt, es handelt sich um eine Capsule Wardrobe. 

So klar strukturiert wie ihre Kleiderschränke ist auch ihre Marketingstrategie. Kraus und Wohlfarth sprechen offen aus, was viele denken, aber nur wenige sagen. Das geht, weil sie in ihrer Rolle als Content Creator inzwischen wählerisch sein können. Ihr Erfolgsgeheimnis? Verraten sie im Interview. 

Frau Kraus, Frau Wohlfarth, Sie haben mit Everless ein eigenes Label, in Ihrer Rolle als Content Creator setzen Sie auf Kooperationen. Was ist Ihnen denn wichtiger: Follower*innen oder Kund*innen? 

Lena Kraus: Wir waren relativ ernüchtert, als wir herausgefunden haben, dass man für die Produktion einer Bluse 10.000 Euro in die Hand nehmen muss. Das Geld lag nicht in der Schublade. Um mit unserer Modelinie also überhaupt starten zu können, mussten wir im ersten Schritt Follower*innen gewinnen und unseren Account groß machen. 

Lisa Wohlfarth: Wir hatten Zeit, aber kein Geld. Deswegen war es zum damaligen Zeitpunkt die richtige Entscheidung, sich erst mal darauf zu konzentrieren, eine gewisse Reichweite aufzubauen. 

LK: Wir haben immer gesagt, wir nehmen diesen Umweg. Aber letztlich war es kein Umweg. Es war die Abkürzung. Wir hatten eine fertige Community und mussten ihr nur noch das passende Produkt servieren. 

LW: Ehrlich gesagt hat es uns überrascht, wie schlecht das Engagement vieler Marken auf Instagram ist. 

Warum sind Marken Ihrer Meinung nach so schlecht? 

LW: Menschen kaufen von Menschen. Sie lieben es, wenn sie jemanden kennen und eine Beziehung zu einer Person aufbauen können. Und viele Marken haben kein Gesicht. 

LK: Es findet kein Storytelling statt, es gibt keine Hintergrundinformationen und man bekommt kein Gespür dafür, wer da eigentlich arbeitet. Das führt dazu, dass Marken sich Reichweite kaufen müssen. 

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Lisa Wohlfarth ist gelernte Immobilienkauffrau und arbeitete lange als Flugbegleiterin. ©Oana Szekely

Vor mehr als 20 Jahren lernen sich Kraus und Wohlfarth auf der Busfahrt ins Zeltlager kennen. Die Teenager freunden sich an und halten den Kontakt. Als sie etwa zeitgleich Mütter werden, intensiviert sich ihre Freundschaft. Noch bevor ihr gemeinsames Projekt steht, beschließen sie: „Unsere Beziehung ist das höchste Gut.“ Es wird zu ihrem Mantra. 


Wie viel Zeit verbringen Sie täglich auf Instagram? 

LW: Wer auf Social Media erfolgreich werden möchte, muss wirklich verstehen, wie die Plattform funktioniert. Und das schafft man nur, wenn man dort viel Zeit verbringt. In Stunden ähnelt es einem Arbeitstag. Unsere Kundenbeziehung ist uns extrem wichtig. Wir beantworten Fragen von Follower*innen zu 99 Prozent persönlich, manchmal, bis uns das Handy ins Gesicht fällt. 

LK: Am liebsten übrigens per Sprachnachricht. Das geht schneller und man kann es nebenbei machen. Ganz oft sind die Leute erstaunt, dass sie überhaupt eine Antwort bekommen. Was uns wiederum ein bisschen wundert. 

Was ist Ihnen bei der Verzahnung der Kanäle wichtig? 

LK: Grundsätzlich greifen wir auch in anderen Kanälen die Themen auf, die wir auf Instagram spielen. Unseren Newsletter begreifen wir als Chance, tiefer in ein Thema einzusteigen und den Leser*innen mehr Mehrwert an die Hand zu geben. Inzwischen haben wir 22.000 E-Mail-Kontakte. 

LW: Unser Fokus liegt auf Instagram und unserem Newsletter. Und mittlerweile natürlich auch auf unserem Onlineshop und der Homepage. Darauf konzentrieren wir uns. Klar wären wir gerne noch auf Pinterest aktiv. Aber: Du wirst nur aus der Masse herausstechen, wenn du Vollgas gibst. Es ist falsch, zu denken, dass man alles ein bisschen bespielen kann. 

Ihrem Instagram-Account Everless Wardrobe folgen 105.000 Personen. Was haben Sie unternommen, um in nur zweieinhalb Jahren so groß zu werden? 

LK: Das Capsule-Wardrobe-Prinzip löst ein Problem, das viele haben. Sie haben einen vollen Kleiderschrank und haben trotzdem das Gefühl, nichts zum Anziehen zu haben. Und wir wissen mittlerweile sehr genau, was die Leute sehen wollen. 

LW: Wir sind zu 90 Prozent organisch gewachsen. Aber wir sind auch Unternehmerinnen und haben so manches ausprobiert. Zum Beispiel haben wir bei einem gut performenden Instagram-Post auf „Beitrag bewerben“ geklickt, obwohl einem alle raten, das immer über den Werbeanzeigenmanager zu machen, weil man es sonst nicht richtig messen könne. Aber wir haben uns gedacht: Warum eigentlich nicht? Und dann ist etwas wirklich Verrücktes passiert. 

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Lena Kraus hat BWL studiert und war unter anderem im Vertrieb des Möbelhändlers Depot tätig. ©Oana Szekely

Der Beitrag geht viral. Zunächst bewerben sie ihn mit 5 Euro, später mit 50 Euro pro Tag. Mit Erfolg: Täglich kommen so 600 neue Follower*innen dazu. Die große Frage, die im Raum steht: Werden diese auch ihre Produkte kaufen? Als ihr E-Book-Ratgeber kurze Zeit später relauncht, konvertieren die Follower*innen fast zu 100 Prozent. Plötzlich haben Kraus und Wohlfarth das Eigenkapital, das sie später für die Vermarktung ihrer Modekollektion nutzen werden. 


LK: Damals haben wir 9 Cent pro Follower*in bezahlt. Da hat jeder Facebook-Werbeanzeigenmanager große Augen bekommen. 

LW: In diesem Ausmaß ist es uns auch nicht noch mal geglückt, aber das ist ein gutes Beispiel dafür, dass man nicht immer nur das machen sollte, was einem andere erzählen. 

Wie hoch ist Ihr Marketingbudget heute? 

LK: Unsere Werbeanzeigen laufen auf einem kleinen Level, vielleicht 0,5 Prozent. 

LW: Nächstes Jahr wollen wir skalieren. Dann wollen wir auch mit anderen Influencer*innen zusammenarbeiten, die zu uns passen. 

LK: Noch haben wir nicht die Menge an Waren, um Kooperationen bedienen zu können. Als Creator wollen wir unsere langfristigen Partner behalten, aber über unseren Label-Account (@everless_the_label, Anm. d. Red.) sollen dann eben auch Kooperationen laufen. 

LW: In dem Moment, in dem wir switchen und zu Auftraggebern werden, haben wir einen entscheidenden Vorteil. Wir kennen die andere Seite und wissen, worauf es ankommt … 

LK: … und was wir gerne anders machen wollen als ein paar der Kooperationspartner, die wir in der Vergangenheit hatten. 

Zum Beispiel? 

LW: Offen gestaltete Briefings, Anerkennung für den Umsatz, den Creator für Unternehmen generieren, eine transparente Kommunikation und faire Vergütungswege, eine schnelle Freigabe. Wir kennen es von uns: Wenn man unsere Arbeit wertschätzt, dann gehen wir die Extrameile in der Content-Erstellung. 

LK: So oft bekommt man bis ins letzte Detail vorgegeben, welchen Hashtag, welchen Smiley, welchen Text man nutzen soll. Das kann man nicht authentisch in seinen Content einbauen, egal wie sehr man die Kleidung oder den Schmuck liebt. Es geht nicht. 

Meinen Sie, ehemalige Content Creators sind die besseren Auftraggeber für andere Content Creators? 

LK: Ich möchte das behaupten. 

LW: Es ist immer gut, zu wissen, wie die andere Seite tickt. 

Anderes wichtiges Thema. Wie zahlengetrieben agieren Sie? 

LK: Wir sind auf jeden Fall zahlengetrieben, vielleicht auch stärker, als man es von außen vermuten mag. Das gilt für unsere Verkäufe, aber auch für unsere Posts. 

LW: Über die Umfragen auf Instagram können wir kostenfrei Marktforschung betreiben. Und wir fragen dort ja ganz gezielt: Was wünscht ihr euch für Kleidungsstücke? Was sollten diese für Eigenschaften mitbringen? 

LK: Aber auch ganz banal: Welche Größe tragt ihr? Welche Farbe hättet ihr lieber? Darauf stützen wir unsere Order-Entscheidungen. 

Wie viel Zeit fließt in die Analyse, wie viel in die Content Creation? 

LK: Die Analyse nimmt den größeren Part ein. 

LW: Eine Zeit lang haben wir jeden zweiten Tag auf Instagram gepostet. Das haben wir mittlerweile nach unten gefahren. Es ist schön, wenn Follower*innen dazukommen. Aber wenn wir keinen Umsatz machen, weil wir keine Zeit haben, Produkte zu erstellen, dann bringt die Reichweite uns nichts. 


Im September 2020 starten Kraus und Wohlfarth ihren Account @everless.wardrobe. Als eine Influencerin ihren Content repostet, erleben sie „einen kleinen, feinen Followerregen“, wie Kraus es nennt. Shout-outs wie diese motivieren die beiden dranzubleiben. Denn die ersten eineinhalb Jahre verdienen sie mit ihrem Content kein Geld. Im Nachhinein staunen sie über ihr Durchhaltevermögen. Die Ausdauer zahlt sich aus. Sie überholen in puncto Reichweite nicht nur die Influencerin, die sie zu Beginn repostet hat. Ihr E-Book haben sie bis heute 10.000 Mal verkauft. 


Neben Ihrer Tätigkeit als Content Creator haben Sie inzwischen mit Everless auch eine eigene nachhaltige Modekollektion aufgebaut. Wie wichtig war es Ihnen, dass Sie nur nachhaltige Produkte auf den Markt bringen? 

LW: Nachhaltigkeit ist ein so großes Wort. Der erste und wichtigste Punkt – und der ist für uns auch nicht diskutabel – ist, dass unsere Produkte unter fairen Bedingungen hergestellt werden. Natürlich versuchen wir, möglichst auf synthetische Fasern zu verzichten. Aber eine schwarze Leggings aus 100 Prozent Biobaumwolle gibt weder Halt noch ist sie blickdicht, was dazu führt, dass sie nicht getragen wird. Und uns ist es wichtig, dass unsere Kleidungsstücke getragen werden. Denn das ist das Nachhaltigste überhaupt. 

LK: Bevor die Kollektion launcht, erstellen wir einen Guide, in dem zum Beispiel die Maße drinstehen und Outfit-Ideen abgebildet sind. Wir geben den Kund*innen so die Möglichkeit, nachhaltige und bewusste Kaufentscheidungen zu treffen. 

LW: Klar, unsere Guides oder das KI-Tool zur Farbtypbestimmung auf unserer Seite sind natürlich Teil einer Marketingstrategie, um E-Mail-Adressen zu generieren. Aber es hilft der Kundin auch, sich selbst besser kennenzulernen. Warum soll das nicht Hand in Hand gehen? 

Ist das Thema Nachhaltigkeit für Sie auch mit Blick auf Kooperationspartner zentral? 

LK: Wir kooperieren mit Marken, die verantwortungsvoll herstellen lassen. Teilweise sind diese, wie Armed Angels, GOTS-zertifiziert (Global Organic Textile Standard, Anm. d. Red.). Das, was wir in unseren Kooperationen zeigen, wandert genau so auch in unsere Kleiderschränke. 

LW: Uns geht es um bewussten Modekonsum. Aber am Ende des Tages müssen Unternehmen verkaufen. Und deswegen muss man vor allem die unterstützen, die es besser machen wollen. 

LK: Wir sind auf langfristige Partnerschaften aus. Man wird bei uns niemals etwas nur für eine Story zu sehen bekommen. Wir suchen uns sehr gezielt aus, mit wem wir zusammenarbeiten. Wir würden auch niemals irgendwelche 40- oder 50-Prozent-Rabattcodes teilen, nur um jemanden unter Stress zum Kauf zu bringen. Das ist nicht unser Ansatz. 

Sie zeigen in Ihren Storys auch Marken, die nicht dafür bekannt sind, nachhaltig zu sein. 

LK: Es gibt genug Dinge, die wir tun, die nicht nachhaltig sind. Aber trotzdem versuchen wir, was die Kleidung angeht, einen Unterschied zu machen. Der Capsule-Wardrobe-Ansatz ist nachhaltig. 

LW: Wir tragen auch Teile, die secondhand sind. Dadurch verlängern wir deren Leben. Ich glaube, auch deswegen fühlen sich viele mit uns verbunden, weil immer mal wieder ein solches Teil dazwischen ist. Am Ende sind es eben immer noch wir und keine Modepüppchen. 

LK: Wir sind nicht auf die Kooperationen angewiesen. Ja, sie sind ein Standbein und sie waren wichtig, um das Kapital für die Kollektionen aufzubauen. Aber es ist nicht so, dass wir nur davon leben müssen. Und das entspannt die Auswahl unserer Kooperationspartner merklich. 

Welches Wachstumsziel haben Sie sich für 2023 gesteckt? 

LW: Wir wollen vor allem unsere Produktpalette erweitern und in erster Linie im Umsatz wachsen. 

LK: Weil wir nach wie vor auf Fremdkapital verzichten möchten, reinvestieren wir unsere Einnahmen zu einem sehr großen Teil in die Kollektion. Und dann hatten wir uns für dieses Jahr vorgenommen, im Team zu wachsen. Dieses Ziel haben wir bereits erreicht. Jetzt sind wir zu siebt und können endlich wieder verstärkt strategisch arbeiten. Umsatztechnisch wollen wir dieses Jahr auf jeden Fall auf einen siebenstelligen Umsatz wachsen und unsere Umsatzrentabilität von 50 Prozent dabei halten.  

LW: Umsatz ist ja nicht alles. Die Frage ist immer, was hängen bleibt. Und das klappt mit unseren drei Säulen – Kooperationen, E-Ratgeber und Modekollektion – ganz gut. 

(ccm, Jahrgang 1984) ist seit Oktober 2021 Chefredakteurin der absatzwirtschaft. Neben der Weiterentwicklung der journalistischen Marke verantwortet sie für die crossmediale Themenplanung sowie die Konzeption und Pilotierung neuer Formate mit Schwerpunkt Digital Storytelling. Aufgewachsen zwischen Südamerika und Deutschland lebt sie aktuell mit Freund und Kater in Köln.