Zeit für mehr „Big Talk“-Werbung: Politik, Sex, Religion, Geld

Viele Konsumenten-Produkte sind vornehmlich (!) durch ihre „Markenleistung der Werbung“ nicht austauschbar. Anders ausgedrückt: Die Werbung für das Produkt ist markenbildend, die Werbung dafür ist prägend, der Produktmarkt ist hochgradig werbeelastisch. Das führt zu bedeutenden Konsequenzen und der Forderung „Big Talk statt Small Talk“.
Malte W. Wilkes

Die Gesellschaft diskutiert viele Themen seit langem nur knapp über dem Small-Talk-Niveau. Dazu sind weder geschliffene Gedanken erforderlich noch durchgestylte Rhetorik oder sonstige Fähigkeiten. Geht es beim Small Talk doch darum, sich komplikationslos kennenzulernen und eine gute Atmosphäre zu schaffen. Nur nicht anecken.

Small-Talk-Werbung – langweilig

Small Talk wird inhaltlich ebenso schnell vergessen wie der Mensch, mit dem man ihn führte. Denn man redet über Belangloses. Wichtige Dinge des Lebens, die alle Menschen interessieren und aktivieren können, sind ausgeschlossen: Politik, Sex, Religion oder Geld.

TV-Talkrunden, die das durchbrechen und nicht wieder mal über eine Diät sprechen, haben eine höhere Quote. Buchautoren und der Boulevard verdienen damit Millionen. Wenn Menschen glauben, kein Forum mehr für diese Themen zu haben, so wechseln sie in Social Media oder gehen gar auf die Straße. Meinungsventile.

Werbung hat sich zumeist der Small-Talk-Kultur angeschlossen: weichgespült, langweilig, der Doktrin der Schalthäufigkeit statt des Inhalts verhaftet. Politik fällt so gut wie aus, Sex reduziert sich auf eine Püppchen-Erotik, doch dieser „Sex sells“ schon lange nicht mehr, wie uns Studien seit Jahren zeigen. Religion gilt als Tabuthema mit Schere im Kopf selbst für Journalisten, und Geld bewegt sich in der banalen Aussage „Der Preis ist heiß“. Kein Wunder also, dass Werbung insgesamt bei vielen Produkten schon lange zu wenig bewegt. Luft in Tüten.

Manage with courage – Werbung

Natürlich gehört Mut dazu. Der Mut, ein Sprungwachstum durch innovative, aufwühlende Werbung wenigstens zu wollen.

Längst vergessen ist ein Verbot von Werbeanzeigen des italienischen Modeunternehmens Benetton, das Anfang der 90er Jahre mehrfach sogar das Bundesverfassungsgericht beschäftigte. Es handelte sich jeweils um eine Anzeige mit dem Bild eines ölverschmutzten Vogels, von Kinderarbeit und vor allen Dingen einem nacktem Hintern mit dem Stempelabdruck „HIV-Positive“. – Benetton beherrschte die politische Agenda und machte so lange seinen Markt damit, bis sie selbst nicht mehr wussten, wie sie das sinnvoll fortsetzen sollten.

Das einzig Politische findet man heute noch bei Sixt: Wenn man ab und zu mit Politikern wie Merkel oder Draghi spielt. Oder: „Mehr Sitze als die FDP“ plakatiert – gepaart mit einem viersitzigen Cabrio. Doch selbst das bleibt Small Talk, denn zum Markenkern von Sixt gehört der Humor und inhaltlich bleibt die Politik in der Kampagne immer schwach.

„Umparken im Kopf“ von Opel hätte mehr werden können. Denn dieser spannende Spruch hätte direkt an eines der vier Themen-Blöcke aus Politik, Sex, Geld oder Religion für Opel andocken können. So wird man die Aussage vergessen, aber Tina Müller im Kopf bleiben. Man fährt auf kleine Sicht.

Bei Geld „war Geiz ist geil“ der Aufreger und hat dem Unternehmen sehr geholfen. Doch ansonsten ist das Feld der gesellschaftlich-emotionalen Themenwerbung weiterhin unterbesetzt und harrt neuer, spannender Angebote.

Wer durch Werbung Sprungwachstum will – und versteht, dass man das erreichen kann –, der sollte gerade jetzt die gesellschaftlich relevanten Konzepte entwickeln lassen. Er sollte dazu die Themen nutzen, die beim Small Talk verboten sind. Es sind die vier Themen des Big Talk. Bon courage.

Über den Autoren: Malte W. Wilkes ist Seniorpartner der Management Consultancy Erfolgsketten Management Wilkes Stange GbR in Hamburg, Redner, Moderator, Diskutant, zigfacher Buchautor, Pionierexperte in Customer Centricity sowie Ehrenpräsident des BDU Bundesverband Deutscher Unternehmensberater. www.maltewilkes.de