Woke Washing – der Anti-Purpose für Marken

Wenn soziale Themen zur PR-Waffe bei Facebook, Twitter & Co. missbraucht werden: Wer kann Woke Washing noch von wahrer, gelebter Haltung unterscheiden? Sarah Böhmer von Brand Trust identifiziert in ihrer Kolumne drei Indikatoren, die Hinweise auf die Ernsthaftigkeit derartiger Maßnahmen geben.
Wokewashing
Woke Washing: Ein Statement, eine Aktion, ein Boykott und dann zurück zum Tagesgeschäft – das kann es nicht sein. (© iStock/Eoneren)

Von Sarah Böhmer

Konsumenten erwarten immer häufiger von Marken, dass sie zu sozialen Themen und Skandalen eindeutig Stellung beziehen. Ein Stummbleiben wird direkt als Schwäche gesehen und eine neutrale Haltung wird nicht akzeptiert. Kunden und Fans wollen wissen, für welche Überzeugungen Marken wirklich stehen.

Doch welches Bild geben Marken ab? Schließen sich Marken nicht gefühlt häufiger der vermeintlich vernünftigen und erwarteten Meinung an?

Was ist Woke Washing?

Von Woke Washing spricht man, wenn ein Unternehmen, eine Institution oder eine Einzelperson etwas sagt oder tut, das ihr Eintreten für eine soziale Sache signalisiert, gleichzeitig aber selbst gegensätzlich oder gar nicht handelt. Auch der Begriff Markenaktionismus taucht in diesem Zusammenhang auf.

Marken müssen Taten folgen lassen

Wie viele Marken lassen nach klickreichen Kampagnen tatsächlich Taten folgen? Sich der vorherrschenden Meinung anzuschließen, diese kreativ zum Ausdruck bringen, ist relativ einfach und schnell passiert und wenig gefährlich. Doch wirklich etwas verändern zu wollen und damit bei der eigenen Marke anzufangen, ist eine andere Geschichte. Das verlangt, über die reine Zustimmung hinaus, deutlich mehr Auseinandersetzung mit der Thematik und entsprechende konsequente Maßnahmen.

Die Herausforderungen der Diversität werden eben nicht über ein Gender-Sternchen auf einer limitierten Produktedition gelöst. Der Marke aber bringt es Aufmerksamkeit, und das scheint aktuell die primäre Währung zu sein.

Wir brauchen eine Veränderung im Verhalten

Verstehen Sie mich nicht falsch. Derartige Maßnahmen sind gut und wichtig, und diese Themen brauchen Aufmerksamkeit. Doch was uns in sozialen Themen wirklich weiterbringen wird, ist eine Veränderung im Verhalten, ein Hinterfragen und Wandel der eigenen Geschäftspraktiken. Ein Statement, eine Aktion, ein Boykott und dann zurück zum Tagesgeschäft – das kann es nicht sein.

Trump-Bann von Facebook & Co. wirkt einfach nicht wie eine Überzeugungstat

Auch bei den jüngsten Trump-Boykotten nach dem Sturm auf das Kapitol muss man sich die Frage stellen, ob dieser Schritt nicht früher hätte kommen können und müssen, um ernsthaft ein Statement mit Ausrufezeichen zu setzen. Nun, da beispielsweise für Facebook, Instagram und Twitter nach der Wahlniederlage Trumps nichts mehr auf dem Spiel zu stehen scheint, ist es natürlich einfacher den Schritt zu gehen und Trumps Profile zu schließen – und das ja auch nur „vorübergehend“ und „bis auf weiteres“.

Ohne an dieser Stelle eine Diskussion über die Richtigkeit dieser „Zensur“ durch die sozialen Medien eröffnen zu wollen (dies ist ein anderes Thema), kommt dieser Bann doch am Ende einfach nicht wie eine Überzeugungstat aus dem tiefsten Inneren der Marken. Ebenso wie die Entscheidung von Youtube, Shopify, PayPal, Airbnb und auch der Deutschen Bank, als größter Kreditgeber Trumps: Man ist sich nicht sicher, wer hier auf der Mainstream-Welle mitschwimmt und wer tatsächlich seine Prinzipien verändert.

Woke Washing – drei Indikatoren für die Ernsthaftigkeit von Marken-Aktionen

Die folgenden drei Indikatoren können Hinweise auf die Ernsthaftigkeit von Marken-Maßnahmen geben:

  • 1. Zeitpunkt: Ist die Marke unter den Ersten, die sich zum Thema äußert und mit ihrer Aktion vielleicht sogar etwas riskiert? Oder springt sie sehr spät noch auf den Zug auf? Der Zeitpunkt ist in einer weiteren Hinsicht interessant: Nutzt eine Marke nur populäre soziale Themen, die in diesem Moment hohe Aufmerksamkeit erhalten, oder spricht sie auch einmal unpopuläre Themen an und nutzt ihren Einfluss, um sie aus ihrem Schattendasein herauszuholen.

    Die Marke Vaude setzt sich beispielsweise stark für das Lieferkettengesetz ein. Ein Thema, das in der breiten Masse nicht wirklich viel Aufmerksamkeit erhält, aber langfristig für die Glaubwürdigkeit der gesamten Branche von höchster Relevanz ist.
  • 2. Handlung: Bezieht die Marke nur Stellung, lässt sie auch konkrete Handlungen folgen oder berichtet sie sogar darüber, was sie in dieser Hinsicht ohnehin bereits tut?

    Wie viele Marken haben im Zuge von „Me too“ oder „Black lives matter“ tatsächlich auch Konsequenzen für ihre Geschäftstätigkeit gezogen, sei es in ihrer eigenen Personalpolitik, ihrer Partner- und/oder Lieferantenwahl oder sogar darüber hinaus?

    Im Vergleich zu den Marken, die Trump aktuell boykottieren, hat sich die Impact Brand Patagonia von Anfang an gegen ihn, beziehungsweise alle Politiker geäußert, die den Klimawandel leugnen. Damit allerdings nicht genug, mit „Make A Plan To Vote“ hat Patagonia nicht nur zum Wählen aufgerufen, sondern auch eine Plattform geschaffen, die über Politiker informiert, die sich für den Klimawandel einsetzen.

    Was hat eigentlich die „Believe in something“-Kampagne mit Colin Kaepernick bei Nike verändert? Ja, es gab Kreativpreise. Aber Veränderungen?
  • 3. Häufigkeit: Ist es eine einmalige Aktion oder hat eine Marke über konkretes Tun immer wieder ausgedrückt, nach welchen Werten sie handelt?

    Als die Marke Oatly aufgrund ihrer zweifelhaften Investorenwahl (Blackstone) von sich reden machte, gab es zwar einem Aufschrei. Jedoch haben die meisten Fans ihren Glauben in die Marke dennoch nicht verloren und die Erläuterungen des Unternehmens „akzeptiert“. Oatly hatte zuvor über viele Jahre hinweg durch die Kennzeichnung des CO2-Fußabdrucks ihrer Produkten den Einsatz für eine nachhaltigere Lebensmittelindustrie erlebbar gemacht, Transparenz glaubwürdig gelebt und sich damit offensichtlich ein „Vertrauensguthaben“ erarbeitet.

Konsumenten wollen hinter die Fassade einer Marke blicken

Liebe Marken-Macher: Konsumenten werden sich immer weniger durch Marketing- und PR-Aktionismus blenden lassen. Sie wollen hinter die Fassade der Marken blicken und entscheiden, welcher Marke sie vertrauen und welche Marke sie wirklich unterstützen wollen. Das schreibe ich als Vertreterin der Gen Y.

Sonst sind auch engagierte Konsumenten, die ihren Facebook-, Instagram- oder Twitter-Account nutzen, um in sozialen Fragen ihre Meinung kundzutun – nicht besser als Marken, die damit nur ihr Image polieren und nach Aufmerksamkeit haschen.

Mein Appell: Helft den Konsumenten, eure Ernsthaftigkeit durch Euer Handeln zu erkennen.

Unsere Kolumnistin Sarah Böhmer ist Brand Consultant bei Brand Trust und Co-Autorin der Studie „Impact Brands“.