Wirkungsvoll und kompliziert zugleich

Wirtschaftskrise und Datenschutznovelle haben dem Dialogmarketing schwer zu schaffen gemacht. Dadurch wurden inhaltlich wichtige Themen wie Komposition und Vernetzung von Kampagnen in den Hintergrund gedrängt.

von Roland Karle

Wenn es nach Claus Schuster geht, wird man sich in Management und Marketing bald an eine neue Berufsbezeichnung gewöhnen müssen. „Der CCO ist überfällig“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Nürnberger Agentur Defacto. Der Chief Customer Officer, der hinter dem Kürzel steckt, soll als oberster Kundenverantwortlicher im Wortsinne die Strippen ziehen. Die Vielzahl der Vertriebs- und Kommunikationswege, die sich im Zuge der Digitalisierung zu den etablierten Kanälen hinzugesellt haben, macht eine solche Reform erforderlich. Davon ist Schuster überzeugt. „Früher haben Kunden einen Brief geschrieben oder angerufen, heute kommen Mails hinzu, sie sind in Blogs und Foren unterwegs, organisieren sich in sozialen Netzwerken“, erläutert der Defacto-Manager. „Wie stark sich das Marketing dadurch verändert, ist leider in vielen Vorstandsetagen noch nicht angekommen.“

Dabei geht es nicht nur darum, das Mehr an Möglichkeiten zu steuern, sondern Kommunikationsmaßnahmen sinnvoll zu vernetzen. „Crossmediale Kampagnen über alle Kanäle sind an der Tagesordnung“, sagt Ogilvy-One-Geschäftsführer Michael Koch. Allerdings hat auch das Dialogmarketing (Dima) unter den Budgeteinschnitten gelitten. Die Hoffnung, dass es sich als Absatzverstärker im Kommunikationsmix von der allgemeinen Entwicklung abkoppeln kann, hat sich nicht bewahrheitet.

Das aktuelle Konjunkturbarometer der Dialogmarketing-Verbände in Deutschland, Österreich und der Schweiz bestätigt das. Lediglich ein Drittel der Dima-Firmen meldet 2009 gegenüber dem Vorjahr steigenden Umsatz – in der Vorgänger-Studie waren es noch 55 Prozent. Dagegen klagen 38 Prozent über Erlösrückgang, im Jahr zuvor waren es nur 20 Prozent. Inzwischen schimmert allerdings etwas Zuversicht aus den Auftragsbüchern. „Unternehmen investieren wieder mehr in Dialogmarketing, vor allem im zweiten Halbjahr wird dies zu spüren sein“, interpretiert Dieter Weng, Präsident des Deutschen Dialogmarketing Verbands (DDV), weitere Ergebnisse der Branchenumfrage.

Ausschlaggebend für das schwache Geschäftsklima bei den DDV-Mitgliedern sei aber nicht nur die krisenbedingte Werbezurückhaltung der Unternehmen gewesen, sondern auch das im September vergangenen Jahres in Kraft getretene Bundesdatenschutzgesetz. „Da wurden viele Dialogmarketing-Aktivitäten erst einmal auf Eis gelegt. Die Verunsicherung bei den Auftraggebern war sehr groß, auch noch in den ersten Monaten dieses Jahres“, sagt Weng. Das ändere sich zwar langsam, und man setze sich intensiv mit der Anwendung der neuen Regeln auseinander. „Aber die Orientierungsphase wird noch eine Weile anhalten.“ Weiterhin gelten die neuen Vorschriften als schwer verständlich. „Das eigentliche Ziel der Novellierung, die wirkungsvolle Verhinderung von Datenmissbrauch und Datendiebstahl, wurde nicht erreicht“, resümiert Oliver Reinke, Geschäftsführer Deutsche Post Direkt.

Die sogenannte Datenschutznovelle II zum Datenhandel betrifft vor allem Dialogaktionen zur Gewinnung neuer Privatkunden, bei denen volladressierte Mailings eingesetzt werden; teil- und unadressierte Werbeformen sind nicht betroffen. Die Adressaten müssen jetzt einer Verwendung ihrer Daten nicht mehr widersprechen, sondern es wird grundsätzlich ihre Einwilligung verlangt, wenn personenbezogene Daten zu Werbezwecken eingesetzt werden sollen. Ausnahmen gelten für Bestandskundenwerbung und Daten aus allgemein zugänglichen Verzeichnissen, B-to-B-Werbung, Spendenwerbung, transparente Übermittlung und Nutzung.

Zu den Neuerungen gehört, dass jeder Werbebrief, egal an welchen Adressaten oder zu welchem Zweck er verschickt wird, auf das Werbewiderspruchsrecht des Empfängers hinweisen muss. Firmierung und postalische Anschrift des Absenders werden an auffälliger Stelle ins Mailing eingedruckt, zum Beispiel in die Fußzeile des Anschreibens oder auf die Umschlaginnenseiten eines Katalogs. Aus Sicht des Experten Reinke überwiegen trotz interpretationsbedürftiger und teilweise schwer verständlicher Regelungen die positiven Aspekte. „Auch nach der Novellierung können Unternehmen von den Vorteilen der Dialogwerbung profitieren.“

Branchen wie Banken und andere Finanzdienstleister sollten davon rege Gebrauch machen, findet Roland Grözinger, Direktor der Markenberatung Icon Added Value in Nürnberg. Eine firmeneigene Studie untermauert, dass die Redewendung „So sicher wie eine Bank“ ihre Gültigkeit verloren hat, Anspruch und Misstrauen der Kunden gestiegen sind, nicht mehr allein hohe Renditen zählen. „Die Finanzkrise ist zu einer Vertrauenskrise geworden. Und aus einer Selbstverständlichkeit wurde ein Differenzierungsfaktor“, sagt Grözinger.

Aus der Untersuchung geht hervor, dass 78 Prozent der Befragten mehr Transparenz, Aufklärung und Beratung wünschen. Tatsächlich empfinden die meisten Kunden die Aktivitäten der Finanzinstitute jedoch als unbefriedigend. „Finanzdienstleistern können wir nur dringend Dialogmarketing empfehlen, vorausgesetzt, es ist clever gemacht, intelligent konzipiert, individuell, bedarfsorientiert und vor allem glaubwürdig“, betont Grözinger. Dialogmarketing stille nämlich ein Grundbedürfnis von Finanzkunden, die typischerweise den Expertenrat suchen.

Und worauf kommt es bei der Umsetzung an? „Eine starke Marke wird auch weiterhin Voraussetzung für einen guten Absatz sein. Ihr Auftritt muss nur im Sinne der veränderten Erwartungshaltung adäquat inszeniert werden“, sagt Markus Biermann, Inhaber der Düsseldorfer Agentur Crossmedia. Dabei müsse sich Dialog in den Dienst des Gesamten stellen, auch wenn andere Disziplinen vermeintlich schlechter nachweisen können, wie wirksam sie sind. „Dialog wird essentieller Bestandteil jedes Kommunikationsmix“, so Biermann. Dabei seien die digitalen Plattformen unverzichtbar. „Das Netz und Social Media befriedigen das Bedürfnis der Menschen nach Individualität, Dialog, Meinung und Partizipation.“ ←

»Die Verunsicherung war größer als die Einsicht«

Das Gespräch führte Roland Karle.

Dialogmarketing muss heute mindestens digital, integriert und sozial vernetzt sein. Wie geht’s eigentlich dem guten alten Werbebrief, Herr Koch?

MICHAEL KOCH: Dialogmarketing kann digital, integriert und sozial vernetzt sein, muss es aber nicht zwangsläufig. Beispiele wie der „Best in Show“ des ddp 2010 von American Express zeigen, wie ein einfaches Mailing nach wie vor bewegen und Erfolg haben kann. Ein Mailing hat gerade jetzt die große Chance, im besten Sinne des Wortes Nähe und begreifbaren Dialog anzubieten. Mailings lassen sich nicht nebenbei konsumieren, fordern die volle Konzentration und wirken dadurch nachhaltiger als viele schnelle und damit flüchtige Medien. Die Wirkung wird verstärkt, je höher die Qualität von Inhalt, Idee und Umsetzung ist.

Im Krisenjahr 2009 wurden auch die Dialog-Budgets kräftig reduziert, obwohl die direkte Ansprache als Verkaufsbeschleuniger gilt. Wie lautet Ihre Erklärung?

KOCH: Das Jahr 2009 hat Budgetkürzungen in allen Bereichen gezeigt. Die Verunsicherung der werbungtreibenden Industrie war größer als die Einsicht, mit den richtigen Instrumenten die Räder am Laufen zu halten. Inzwischen haben glücklicherweise die meisten wieder Schwung aufgenommen.

Brechen wirtschaftlich wieder bessere Zeiten für das Dialogmarketing an?

KOCH: Ja. Zum einen durch verstärkte Aktivitäten im CRM, da die Unternehmen den Wert ihrer Kunden erkannt haben. Zum anderen durch die digitalen Medien, die neue Möglichkeiten im CRM bieten.

Dank digitaler Medien ist es für Marken und Nutzer einfach wie nie, miteinander ins Gespräch zu kommen. Müsste Dialogmarketing nicht längst die erste Geige im Konzert der Kommunikationsdisziplinen spielen?

KOCH: Die scharfe Trennung der Kommunikationsdisziplinen gehört sicher der Vergangenheit an. Das Internet ist längst ein Massenmedium, das sowohl für Markenbildung als auch für Dialog steht. Crossmediale Kampagnen über alle Kanäle sind an der Tagesordnung.

Social Media ist derzeit ein großes Thema – und für Sie eher Hype oder Hilfe?

KOCH: Von Hype kann man nicht mehr sprechen. In den vielen Kampagnen spielt Social Media bereits eine selbstverständliche Rolle. Für das Dialogmarketing eine immer wichtigere. Entscheidend ist hier ein Umdenken der Unternehmen, da Markenführung nicht mehr alleine von oben herab gesteuert werden kann. Die Konsumenten sind heute Prosumenten, die Informationen nicht nur konsumieren, sondern diese auch produzieren.

Gerade wurden die ddp-Awards verliehen. Wie fällt Ihr Fazit als Juryvorsitzender aus?

KOCH: Erfreulich war die überraschend hohe Qualität der Einreichungen, da die Arbeiten ja alle aus dem Krisenjahr stammten. Natürlich fällt auf, dass viele Kampagnen mit digitalen Elementen vernetzt sind. Was vielleicht gestern noch ein Trend war, ist heute normale Praxis. ←

Michael Koch, 58, ist Executive Creative Director Ogilvy One Worldwide in Frankfurt. Der diplomierte Grafik-Designer kam nach einigen Agenturstationen 1988 zu Ogilvy. Persönliche Ansprache, unmittelbare Nähe zum Verbraucher und direkt messbares Feedback faszinierten ihn am Dialogmarketing. Eine Erfahrung, die Koch schon in ganz frühen Jahren machte: Direkt nach dem Abitur tourte er zwei Jahre lang als Gitarrist und Sänger der Rockgruppe Jeronimo durch Deutschland.

Die lange Schlacht der Automechaniker

Eine Produktkampagne spielerisch aufziehen, konsequent im Dialog mit der Zielgruppe, eng vernetzt
kommunizieren – so hat Electronic Arts im Gaming-Markt neue Akzente gesetzt. Eine Fallstudie.

von Roland Karle

Das Autorennspiel „Need for Speed“ von Electronic Arts (EA) ist seit 15 Jahren auf dem Markt und hat sich in dieser Zeit Kultstatus erworben. Zuletzt sanken jedoch die Verkaufszahlen. Neue Ideen und Konzepte waren gefragt. So brachte EA im Herbst 2009 erstmals zwei Spielversionen mit unterschiedlichen Charakteristiken, aber unter gleicher Dachmarke heraus: „Need for Speed Shift“ und „Need for Speed Nitro“. Shift wurde für Konsolen der dritten Generation (Sony Playstation3 und XBox 360) entwickelt und entspricht einer realitätsnahen Fahrersimulation im DTM-Stil. Nitro ist ausgerichtet auf Nintendo Wii. Hier steht der Unterhaltungswert durch Kultautos für Arcade-Racing-Fans im Mittelpunkt.

Während früher reine Produktkampagnen dominierten, sollte die Marke „Need for Speed“ über das reine Spiel hinaus inszeniert werden. Wichtig zudem: die Ansprache neuer Zielgruppen und die Reaktivierung bisheriger Nutzer. Dazu sollte unter Einsatz moderner Technik die Community belebt und ihre Bindung an die Marke gestärkt werden. „Zeitgemäße Werbung muss involvieren. Es reicht nicht mehr aus, fragmentierte Zielgruppen mit Push-Strategien anzusprechen“, sagt Armin Schroeder, Digital-Chef der Düsseldorfer Agentur Crossmedia, die zusammen mit der Agenturtochter Cross-PR mit der EA-Kampagne betraut war.

Um die Unterschiede zwischen Shift und Nitro herauszustellen und deren öffentliche Wahrnehmung zu verbessern, wurden die beiden Spiele nicht nur virtuell, sondern ganz real präsentiert – in Form eines Tuning-Wettkampfs „Need for Speed – The Battle“. Dazu traten zwei Automechaniker-Teams in einer Berliner Garage gegeneinander an. Von September bis Dezember 2009 lief das Duell in drei Phasen.

Zunächst hatten die Teams fünf Wochen lang Zeit, das bessere Auto zu entwickeln. Das Team Shift verwandelte einen Audi A4 in einen Boliden, das Team Nitro baute einen VW Käfer zu einem Hot Rod um. Teamchefs waren in der Szene bekannte Schrauber-Größen. Die Community war nicht nur Betrachter, sondern vor allem Gestalter der Fahrzeuge: Im Chat diskutierte sie mit den Mechaniker-Teams über passende Felgen, stimmte über das coolste Lenkrad ab oder nutzte die Callback-Funktion, um mit den Mechanikern zu telefonieren. Höhepunkt der ersten Phase war ein Garagenkonzert der schwedischen Rock-Band Mando Diao.

Danach traten die getunten Autos in wöchentlichen Wettkämpfen auf der Straße gegeneinander an. Videos davon wurden auf der „The Battle“-Website und auf Youtube veröffentlicht. So konnten die Online-Fans auch weiterhin für ihr Lieblingsteam stimmen. Und: Beide Autos gingen mit Mando Diao auf Deutschland-Tournee. Im Dezember kam es auf Deutschlands größter Tuning-Messe, der Essen Motor Show, zum Finale. Am EA-Stand gaben die Fans ihre Stimme ab und entschieden so über Sieger und Verlierer.

Häufig wird Kommunikation einzeln portioniert. Event, Messe, Sponsoring, Werbung, PR und Dialog laufen dann weitgehend unabhängig voneinander und überschneiden sich nur marginal. „,The Battle’ dagegen vereinte die gesamte Kommunikation in einer einzigen Dachmarkenkampagne, stets mit dem Ziel, die Inhalte möglichst nah an die Zielgruppe und deren Online-Leben zu bringen. Deshalb haben wir sie in einen permanenten Dialog eingebunden“, so Agenturmanager Schroeder. Dabei wurden die einzelnen Maßnahmen eng vernetzt.

Dreh- und Angelpunkt von „The Battle“ bildete der eigens kreierte Branded-Entertainment-Channel auf Needforspeed.de. Fünf Wochen lang konnte man auf der Community-Plattform das Garagenduell via 24-Stunden-Streaming über vier HD-Kameras live mitverfolgen und war außerdem aktiv über Votings, Chats, Call-Backs und Twitter-Feeds eingebunden. Social Media erwies sich – dem Trend zur Dezentralisierung von Kommunikation folgend – als wichtiger Baustein. Über Twitter wurden Themen und Nachrichten angestoßen, Facebook diente als zentrale Plattform für die Fotogalerien, auf Youtube wurden ausgewählte Ausschnitte der Lifestreaming-Videos aus der Garage präsentiert.

Klassische Medien wie Fernsehen und Radio waren Bestandteil der Kampagne. Auf zielgruppenaffinen Sendern wie MTV und Radio Energy gab es zum Beispiel Gewinnspiele mit Verlosung von Karten für das Garagenkonzert mit Mando Diao. Und der TV-Sender DMAX berichtete in der einstündigen Sendung „Need for Speed – The Battle“ über den Wettkampf der Mechaniker-Teams und den Aufbau der Fahrzeuge.

Printanzeigen und TV-Spots wurden pünktlich zur Veröffentlichung des ersten Spiels geschaltet, außerdem wurden Internet-Medien von Electronic Arts mit Bannern zum Battle belegt. Schwerpunkt der breit angelegten Online-Media-Kampagne waren sowohl relevante Gaming-Titel als auch zielgruppenaffine Umfelder. Geworben wurde fast ausnahmslos auf großformatigen Werbemitteln wie Expandable Wallpaper mit Streaming-Content. So kamen die Videos groß zur Geltung und komplettierten den bewegtbildlastigen Auf bau der gesamten Kampagne. Zudem wurden Anzeigen auf Google geschaltet.

Fazit: Zwölf Wochen lang verfolgte die deutsche Gaming- und Motorsport-Community „Need for Speed – The Battle“. „Keine andere Kampagne sorgte in dieser Zeit für mehr Gesprächsstoff und schaffte es, die User bis zu acht Stunden an ihre Rechner zu fesseln“, so Schroeder. Die deutschsprachige Seite war mit weitem Abstand die meistbesuchte Seite im Needforspeed.com-Netzwerk. EA erzielte im Vergleich zum Vorjahr einen Umsatzzuwachs in prozentual gut einstelliger Höhe – bei einem eingesetzten Budget, das laut Unternehmen im mittleren sechsstelligen Bereich lag.

Der enge Dialog zwischen Marke und Zielgruppe hat sich ausgezahlt. In den Chats gab es über 100 000 Beiträge, auf Youtube mehr als 95 000 Views, rund 7 500 Ergebnisse auf Google bei der Blogsuche nach „Need for Speed – The Battle“, auf Twitter mehr als 500 Tweets. Medienkooperationen über Radio brachten knapp 1,2 Millionen Kontakte, auf DMAX waren es 190 000 pro Ausstrahlung. In klassischen Medien wurden 38 Millionen TV-Kontakte innerhalb der Zielgruppe gemessen, über die Printmedien mehr als 20 Millionen Kontakte. Die PR-Arbeit führte zu Veröffentlichungen in 85 Medien mit 86 Millionen Visits und mehr als einer Milliarde Page-Impressions, während über die beteiligten Printmedien eine Reichweite von 900 000 Kontakten erzielt wurde. ←