Wir brauchen Innovation und Kreativität, nicht Vielfalt

Auch wenn Kreative hierzulande nicht so weit gehen, wie der englische Creative Director Justin Tindall, der durch seine öffentliche Äußerung letztes Jahr, er sei “gelangweilt davon, das Diversity mehr Priorität als Talent bekommt”, einen entsprechenden Shitstorm erntete – ähnliche Gedanken hört man auch in Deutschland. Warum die Diskussion um „Diversity“ oder eine höhere Frauenquote notwendig, aber das Label dazu falsch ist.
Kolumnistin Nina Rieke

Diversity ist nicht nur ein Frauenthema, sondern eins, das uns alle betrifft. Nur ist Tindalls Gedanke schlichtweg irreführend – er hat sich dafür umfassend entschuldigt. Denn das eine gehört zum anderen. Alle noch so spezialisierten Investitionen in neue Felder sind obsolet, wenn wir ignorieren, das Vielfalt von Gedanken und Ideen genau das sind, was Unternehmen heute von Agenturen brauchen.

Aus strategischer Sicht macht es Sinn, Dinge nach ihrem Mehrwert zu betrachten, die Benefits klar zu benennen. Deshalb wundert es mich noch immer, warum wir über Frauenquoten oder Diversity-Programme diskutieren – statt sie nach dem zu benennen, was sie uns bringen sollen: mehr Kreativität, mehr Innovation. Schließlich dreht es sich bei all diesen Maßnahmen nicht darum, ein gleichberechtigteres, vielfältigeres Umfeld zu schaffen – sondern um unternehmerischen Erfolg.

Agenturen: Ein Schritt vorwärts, zwei zurück?

Der GWA-Frühjahrs-Monitor hat Vielfalt in Agenturen erstmals in diesem Jahr mit erhoben. Ganze 17 Prozent der GWA-Agenturen verfügen aktuell über ein Diversity Programm. Im Fokus stehen dabei Vielfalt im Hinblick auf Geschlecht und Herkunft. Ein Thema, das zwar Medienpräsenz hat – aber von Kunden nicht aktiv eingefordert wird. Hier wurde das Thema bisher nur bei neun Prozent der Agenturen nachgefragt.

Warum also ist es trotzdem wichtig, das Agenturen sich damit befassen? Es weder zum Buzzword verkommt, noch notwendigerweise ein rigides Programm braucht, um wirksam zu sein?

Die Belegschaft in deutschen Agenturen ist zwar ein Stück internationaler geworden. Allerdings bewegt sie sich in kleinsten Schritten. So sind nach wie vor fast 90 Prozent der Mitarbeiter deutscher Herkunft. Der generell hohe Frauenanteil von 60 Prozent Frauen stellt auch nur die Mitarbeiter-Gesamtheit dar – denn sie arbeiten vorwiegend nicht im Management. Auch in Bezug auf das Alter wirken Agenturen wie ihr eigenes Klischee – der Anteil der Jüngeren überwiegt deutlich, es gibt immer weniger Mitarbeiter über 40 (nur noch 20 Prozent) und kaum jemand ist über 50 (11 Prozent).

Vielfalt ist wesentlich, um wettbewerbsfähig zu sein

Ein so homogener Talentpool ist unter Umständen auch mit die Ursache, das Agenturen aus einer Rolle, in der wir aktiv Kunden dabei helfen, komplexe Probleme zu lösen, sich zu Erfüllungsgehilfen für kurzfristige Marketing-Initiativen entwickelt haben, die nicht notwendig auf längerfristige, größere Ideen aufbauen. Und dabei wären sie gut beraten, in Vielfalt zu investieren, um komplexe Marketinganforderungen zu lösen und langfristige Brand Equity zu schaffen statt weiter nur nach jungen, digitalen High Potentials zu suchen.

Auch in der US-amerikanische Adobe Studie „Creativitys Diversity Disconnect“ stimmen 87 Prozent zu, das eine vielfältige Belegschaft eine Priorität für die Kreativwirtschaft ist. Eine Priorität nicht nur für die Agenturführung – sondern auch für die Mitarbeiter. Denn Dreiviertel der Befragten sagen, sie wollen nicht in einem Unternehmen arbeiten, das sich nicht ernsthaft um Diversity kümmert. Ein Thema das vor allem für jüngere Mitarbeiter eine deutliche Priorität hat. (44 Prozent der Millenials stimmen hier zu – im Vergleich nur 32 Prozent Boomers und 38 Prozent Gen X).

Für Mitarbeiter ist das Diversity-Thema facettenreich – neben geschlechter-spezifischer Förderung (57 Prozent) assoziieren sie hier auch Familienfreundlichkeit (45 Prozent) und flexiblere Arbeitsmodelle und Work-Life-Balance (66 Prozent) laut einer Studie von Michael Page 2016.

Obwohl sich alle wunderbar einig sind, das Vielfalt bessere Ergebnisse liefert – was hindert uns, für mehr Vielfalt im Talentpool zu sorgen?

Immer noch: fehlende Beispiele und bewusstes Management

Es fehlen vor allem Beispiele, die zeigen, das alle Karrieretüren auch allen offen stehen. “Menschen wie ich in Führungsrollen“ – das erleben Männer nach wie vor deutlicher (73 Prozent) als Frauen (62 Prozent) (Adobe Studie). Fast ein Viertel der Frauen meint, das ihr Geschlecht ihnen im Weg steht, zukünftig erfolgreich zu sein – was nur 14 Prozent der Männer glauben.

Innovation entsteht durch Neues und Fremdes, durch Diversität in Innovations-Teams. Kreativität bedeutet auch, sich auf Neues und Fremdes einzulassen, Dinge in neue Bezugsrahmen zu bringen. Nicht nur in Agenturen wird händeringend nach Talent gesucht. Obwohl wir wissen, das Vielfalt dabei in vieler Hinsicht nützlich ist: gefördert wird vor allem, was wir kennen. Nicht, was uns fremd ist. Diese Art von „unconsious bias“ ist zutiefst menschlich. Denn auch im Privaten suchen wir nach Menschen, die uns ähnlich sind, mit denen uns mehr verbindet als trennt. Nur: wirtschaftlich ist das kein zukunftsfähiges Konzept.

Vielfalt ist also Erfolgsfaktor, aber auch Herausforderung. Denn heterogene Belegschaften müssen entsprechend anders geführt werden. Mehr Vielfalt, das heißt nicht nur mehr Innovationspotential – sondern oft auch mehr Konflikte und Reibungsverluste. Denn Ähnlichkeit macht sympathisch, umgekehrt sorgt Unterschiedlichkeit auch für geringere Ausgangssympathie. Mit diesem Wissen ist es nicht so überraschend, das 38 Prozent in einer Umfrage der Personalberatung SThree angaben, grundsätzlich nicht in vielfältigen Teams arbeiten zu wollen.

Wesentlich also: den „Unconsious bias“ überwinden, indem wir ihn bewusst managen. Und aufhören, immer zu betonen, dass es nur um das Talent und sonst nichts geht. Sondern den Gap bewusst machen – und natürlich wird sich Talent im weiteren Verlauf durchsetzen. Nur eben vielfältigeres Talent. In einem Markt, der diese Vielfalt braucht – um Innovation und Kreativität zu bieten.

Diese Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit dem Gesamtverband der Kommunikationsagenturen (GWA). Der GWA-Präsident Benjamin Minack (ressourcenmangel), Vizepräsidenten Nina Rieke (DDB Group) und Vorstandsmitglied Tobias Spörer (elbkind) schreiben hier regelmäßig für die absatzwirtschaft zum Thema Kunde-Agentur-Beziehung. Anlass ist eine große Kooperation zwischen der absatzwirtschaft, dem GWA und Agenturmatching: zur Agentursuche.