Von Gastautor Michael Scholl, Managing Partner bei Homburg & Partner
Über 300 Mio. US-Dollar investierte der amerikanische Pharmakonzern Pfizer um das Jahr 2000 in eine globale Werbekampagne für Viagra. Der Fußballstar Pelé klärte das Fernsehpublikum ungewohnt offen über Probleme mit erektiler Dysfunktion auf. Ohne Nennung des Produktnamens, lediglich mit der Aufforderung: „Gehen Sie zu Ihrem Arzt!“, erlangte Viagra eine breite Aufmerksamkeit. Viele Menschen kannten bis dahin weder diese Erkrankung, noch wurde Viagra selbst im TV-Spot genannt. Heute zählt Viagra zu den bedeutendsten Innovationen des vergangenen Jahrzehnts und wird dabei in einem Atemzug mit erfolgreichen Marken wie Amazon, Google, iPod und Netflix genannt.
Die Viagra-Kampagne gilt immer noch als Meisterstück in der werbewirksamen Aufklärung von Konsumenten und bei der Ausdehnung von Nischenmärkten. Pfizer hat mit dieser Kampagne eine vormals tabuisierte Nische ausgeweitet und eine Vervierfachung der Nachfrage alleine in den ersten acht Monaten nach Erstausstrahlung realisiert.
Ähnlich wie Pfizer im Fall von Viagra befinden sich viele deutsche Unternehmen in einer bestimmten Nische. Solche Marktnischen sind eng begrenzte Marktsegmente, die von wenigen Wettbewerbern mit stark spezialisierten Angeboten beherrscht werden. Aufgrund des begrenzten Absatzpotentials in diesen Märkten versuchen Nischenanbieter oftmals, ihre Absatzmärkte über die Nische hinaus auszuweiten. Viagra ist eindeutig eine Erfolgsgeschichte. Es gibt jedoch Szenarien, in denen Unternehmen mit Strategien zur Ausdehnung von Marktnischen kaum Aussicht auf Erfolg haben:
Niedriger Marktanteil
Anbieter mit einem niedrigen Marktanteil laufen Gefahr, an einer Marktausdehnung unterproportional stark zu partizipieren. Die größeren Marktteilnehmer profitieren stets am meisten von einer Ausweitung der Nachfrage. Pfizer war seinerzeit Quasi-Monopolist und sicherte sich einen Großteil der gestiegenen Nachfrage in der Nische. Unternehmen mit geringem Marktanteil sollten gegebenenfalls über eine Marktausdehnung in Zusammenarbeit mit Wettbewerbern nachdenken.
Second Choice
Anbieter, deren Produkt von Kunden nicht als Erste Wahl (First Choice) wahrgenommen wird, profitieren in den wenigsten Fällen von einer Marktausdehnung. Anbieter zweiter Wahl (Second Choice) riskieren bei einer Marktausdehnung, zum Beispiel durch eine Aufklärungskampagne, relativ gesehen sogar den Verlust von Marktanteilen. Während BMW mit der Einführung des i3 den deutschen Markt für Elektrofahrzeuge revolutionieren wollte, konnte sich das deutsche Traditionsunternehmen nicht durchsetzen und ebnete vielmehr für den amerikanischen Konkurrenten Tesla den Weg zum Markteintritt.
Hohe Aufmerksamkeitsschwelle
Nischenprodukte sind oft relativ komplex oder spezialisiert. Eine erfolgreiche Werbekampagne für die Steigerung der Nachfrage für Nischenangebote muss daher in vielen Fällen besonders innovative und kreative Werbewege beschreiten, um die Aufmerksamkeit der potentiellen Kunden zu wecken. Teure Kreativkampagnen schmälern jedoch die zusätzlichen Gewinne, die sich Unternehmen durch eine Marktausdehnung versprechen. Heinz All Natural Cleaning Vinegar wurde als ökologische Alternative zu herkömmlichen Putzmitteln entwickelt. Trotz kostenintensiver Werbekampagnen floppte das Produkt, da Heinz zu früh versuchte, das Produkt für den Massenmarkt zu kommerzialisieren anstatt auf die „Grüne Nische“‘ zu setzen.
Fazit: Marktausdehnungsstrategien nicht immer sinnvoll
Während Marktausdehnungsstrategien auf den ersten Blick oft vielversprechend wirken, müssen Unternehmen in den hier beschriebenen Situationen besonders selektiv vorgehen. So sollten Entscheider vorab prüfen, ob Voraussetzungen für eine Marktausdehnung gegeben sind und die Kosten und Nutzen einer Marktausdehnung vorsichtig gegeneinander abwägen.
Zum Autor: Dr. Michael Scholl ist Managing Partner bei Homburg & Partner, einer international tätigen Managementberatung für Market Strategy, Sales & Pricing. Als Experte für Marktstrategie, Strategischen Vertrieb und Preisargumentation publiziert er regelmäßig in nationalen und internationalen Zeitschriften und Büchern.