Weihnachten wird wild

Die Inflation grassiert, die Angst vor lauwarmen Heizungen nimmt zu und große Investitionen werden von Konsument*innen womöglich aufgeschoben. Dieses Weihnachten wird anders. Doch die Preisspirale nach unten ist eigentlich keine Option für Anbieter. Vor allem nicht im E-Commerce. Diese Strategien helfen. 
Die Deutschen starten dieses Jahr eher früher als später mit der Geschenke-Suche. (© Unsplash / Krakenimages)

Gut 60 Prozent der Verbraucher*innen in Deutschland haben in diesem Jahr ihr Shopping-Verhalten hinsichtlich des bevorstehenden Weihnachtseinkaufs geändert. Der Hauptgrund ist für fast Dreiviertel (72 Prozent) die derzeitige wirtschaftliche Situation. Das hat eine aktuelle Verbraucherumfrage von Zendesk ergeben. Günstige Preise, schnelle Lieferoptionen, Kreativität und Individualität sind jetzt von besonderer Bedeutung.

Auch der Preis-Nachfrage-Index (PNI) von billiger.de deutet darauf hin, dass die Preissensibilität unter Verbraucher*innen im vierten Quartal weiter steigen wird. Er berechnet sich aus einer Auswahl von rund 100.000 Produkten, die auf dem Preisevergleichsportal gelistet und fortwährend analysiert werden. Nach Einschätzung von Bernd Vermaaten, Geschäftsführer des billiger.de-Betreibers Solute, wenden sich aufgrund der aktuellen Marktentwicklungen die Verbraucher*innen seit einiger Zeit verstärkt günstigeren Discount-Produkten zu. Diese Veränderungen im Konsumverhalten schwächen parallel die Nachfrage nach teuren Markenprodukten. Beide Entwicklungen werden auch im Index ersichtlich. „Dessen Kurvenverlauf kennt seit dem dritten Quartal nur eine Richtung, nach unten“, sagt Vermaaten.

Insgesamt starten die Deutschen dieses Jahr auch eher früher als später mit der Geschenke-Suche. Laut Zendesk-Umfrage planen fast vier von zehn (38 Prozent) der Befragten, spätestens im Herbst mit den Weihnachtseinkäufen zu beginnen. Jede*r Zehnte hat bereits im Sommer mit der Suche begonnen. Höchste Zeit also, auf das veränderte Einkaufsverhalten zu reagieren und der Online-Werbestrategie für Weihnachten einen Feinschliff zu verpassen.

Hebel 1: Personalisieren und individuelle Angebote unterbreiten

Die Planungen für das Weihnachtsgeschäft beginnen mitunter bereits im Frühsommer. Sollte man seine Überlegungen jetzt kurzerhand verwerfen und eine neue Strategie aufsetzen? „Pläne messen sich immer an der Realität, ob Krise oder Boom, sie passen sich immer an veränderte Bedingungen an. Das ist also kein Grund, kopflos zu handeln oder in Panik zu verfallen“, meint Tobias Schlotter, General Manager Central & Eastern Europe beim Tech-Anbieter Akeneo. Wer aber in seiner Digitalstrategie noch immer im ersten Gang unterwegs ist, der sollte dem Experten zufolge noch einmal in den Markt reinhören und gegebenenfalls eine neue Strategie aufsetzten, „die sich etwa auf Composable Commerce, Product Experience und Personalisation“ fokussiert.

Auch die Zielgruppen müssen Advertiser jetzt fest im Blick haben. Insbesondere die Gen Z legt zum Beispiel hohen Wert auf Personalisierung. Wie die Zendesk-Studie ergab, ist knapp zwei Dritteln dieser Altersgruppe (64 Prozent) ein personalisiertes Shopping-Erlebnis wichtig. Bei der Geschenke-Auswahl gibt es ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen den Generationen. Statt also Werbung mit der Gießkanne auszugießen, sollten Marken und Händler in diesem Weihnachtsgeschäft besonders zielgerichtet werben.

Hebel 2: Produkt-Listings akkurat vorbereiten

Experten gehen davon aus, dass Konsument*innen in diesem Jahr ihre Kaufentscheidungen sehr selektiv treffen. Auch im Internet. Daher sollten im E-Commerce die Produkt-Listings auf Handelsplattformen und in Onlineshops akribisch vorbereitet sein. Neben der zu erwartenden Nachfrage können die Margen eine Entscheidungshilfe dafür sein, mit welchen Produkten man ins Weihnachtsgeschäft startet und welche davon aktiv bewirbt.

In jedem Fall sollte der Wert eines Produktes klar herausgestellt werden. Wenn Verbraucher*innen sich im Warenkorb noch ein letztes Mal die Frage stellen, „Brauche ich das wirklich?”, spielen Beschreibungen, Attribute und Medien, die den Verbrauchern bereits den gesamten Prozess über begleiten und an die Marke oder das Produkt binden, eine wichtige Rolle. „Die Product Experience entscheidet am Ende, ob der finale Klick auf ‚Bestellung abschließen‘ getätigt oder ob doch noch einmal wo anders geschaut wird“, sagt Schlotter.

Hebel 3: Werbebudgets kreativ einsetzen

Damit die Werbebudgets im umkämpften Weihnachtsgeschäft in die richtigen Kanälen fließen, kann ein Blick auf die Customer Journey helfen. Inspiration und Awareness lassen sich zum Beispiel gut mit Display-, Social- und Video-Advertsing erzielen. Wollen sich Verbraucher*innen über Angebote informieren, sind für sie Suchmaschinen die erste Anlaufstelle, aber auch Preisvergleiche oder Bewertungsplattformen werden im weiteren Verlauf hinzugezogen. Geht es um konkrete Produktsuchen, ist meist Amazon die erste Anlaufstelle für Konsument*innen. Entsprechend begehrt sind hier die Werbeplatzierungen.

Beim letzten Prime Day-Event im Juli beobachtete man beim Werbetechnologie-Spezialisten Adspert jedoch, dass viele Händler diesen Bieterwettstreit in der Werbung nicht mehr mitgehen. Die Konsequenz: Die besten Werbeplätze müssten nicht mehr so teuer eingekauft werden. Stephanie Richter, Mitgründerin und Geschäftsführerin von Adspert, empfiehlt Händlern daher, dieses nicht ausgegebene Werbebudget vielleicht lieber in die Preisrabattierung der Produkte zu investieren. „Ich persönlich würde das Mittel des Preisnachlasses zurzeit höher gewichten und meinem CPC nicht allzu sehr strapazieren“, rät die Expertin.

Hebel 4: Als Sofortmaßnahme die Basics sicherstellen

Eine weitere Sofortmaßnahme ist es Richter zufolge, die Basics nicht aus den Augen zu verlieren: Onlinehändler sollten also gute, emotionale Bilder und aussagekräftige Produktbeschreibungen einsetzen und ‚mobil first‘ fest im Blick haben. Auf der anderen Seite müssen Händler vor allem ihre Top-Seller kennen. Wird ein „Rising Star“ übersehen, kann es passieren, dass nicht genug Produkte vorrätig sind. Andere sind womöglich bereits unbemerkt „out of stock“.

„Das Studium der Zahlen und der Performance ist elementar. Monatliche Analysen gehören aus diesem Grund zum Rüstzeug eines jeden Händlers“, betont Richter. Aber: zu viel zu analysieren ist ebenfalls kontraproduktiv, denn es verstellt den Blick aufs Ganze. Das könne zu falschen Entscheidungen führen, so die Expertin. Händler sollten daher nicht jeden Tag die Zahlen auf die Goldwaage legen.

Hebel 5: Maximalen Service anbieten und kulanter sein

„Um wettbewerbsfähig zu bleiben, können die Preise nicht unendlich reduziert werden“, ist auch Tanja Hilpert, Regional Vice President DACH bei Zendesk, überzeugt. Sie erwartet daher, dass Personalisierung und Kundenservice wichtiger werden. Ein personalisierter Service, bei dem zum Beispiel Support-Teams Verkaufshistorie sowie Bedürfnisse und Wünsche von Kund*innen auf einen Blick erkennen, kann ein kaufentscheidender Faktor sein.

Auch Kulanz taugt als Alternative zum unendlichen Preiskampf. „In der Vergangenheit war es für das vierte Quartal und insbesondere die Peak-Season vor Weihnachten ein probates Mittel, frühe Käufe durch verlängerte Rückgabefristen zu belohnen. Dies könnte auch in der aktuellen Situation, in der viele Menschen unsicher wegen der Entwicklung der Lebenshaltungs- und Energiekosten sind, ein Hebel sein“, sagt Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh). Der Verband rät hier dennoch zur Umsicht, da Umsätze gegebenenfalls länger über den Jahreswechsel „schwebend“ bleiben und entsprechend buchhalterisch berücksichtigt werden müssen. Nicht zuletzt auch operativ im Hinblick auf die Disposition für das kommende Jahr. Nach Einschätzung von Groß-Albenhausen kann es derzeit jedoch mehr als sonst im Weihnachtsgeschäft Kunden ansprechen, sinnvolle und nachhaltige Investitionen gegenüber dem schnellen Schnäppchen werblich hervorzuheben.

Beim bevh geht man außerdem davon aus, dass Black Friday und Cyber Monday in diesem Jahr besondere Aufmerksamkeit finden, weil das Geld knapper sitzt und Konsumenten hier auf gute Angebote bei Produkten setzen, auf deren „Lustkauf“ sie vorher aufgrund der Unsicherheit bewusst verzichtet haben. „Das kann im Vorfeld der Cyberweek ein Ansatz für Re-Targeting-Maßnahmen bei verlorenen Warenkörben sein“, sagt Groß-Albenhausen.

(kaz) ist Fachjournalist für digitales Marketing. Seit Mitte der Nullerjahre begleitet er mit seinen Artikeln die rasanten Entwicklungen der Online-Werbebranche. Der Maschinenraum der Marketing-Technologien fasziniert ihn dabei ebenso wie kreativ umgesetzte Kampagnen. Der freie Autor lebt und arbeitet in Berlin.