VW-Chef Diess nicht mehr für Kernmarke zuständig

Gesamtleitung: ja. Tagesgeschäft der wichtigen Hauptmarke: nein. Für Herbert Diess rückt im VW-Konzern Ralf Brandstätter an die Spitze der Kernsparte. Strategischer Schachzug für beide oder Machteinbuße für den obersten Vorsitzenden?
Diess
VW-CEO Diess soll "mehr Freiraum für seine Aufgaben als Konzernchef" bekommen. Ziel ist eine "stärkere Fokussierung in der laufenden Transformationsphase". (© Imago)

Nach heftiger Kritik an seiner Führung und einer Häufung von Baustellen in den vergangenen Wochen legt VW-Konzernchef Herbert Diess das Kerngeschäft der Hauptmarke in andere Hände: Der neue starke Mann bei der wichtigsten Sparte heißt ab dem 1. Juli Ralf Brandstätter. Diess kümmert sich dagegen künftig in erster Linie um die Steuerung der allgemeinen Strategie im weltgrößten Autokonzern.

Die Personalien sind komplex. Denn einerseits war Brandstätter bisher schon Co-Geschäftsführer für die Fahrzeuge mit dem VW-Emblem. Und auf der anderen Seite soll Diess im übergeordneten Konzernvorstand nach wie vor eine „Gesamtverantwortung für den Bereich Volkswagen Pkw sowie die Markengruppe Volumen“ innehaben, wie der Aufsichtsrat am Montagabend nach einer Sondersitzung erklärte. Letzteres umfasst etwa die Marschroute für diejenigen Bereiche, mit denen die Gruppe im Massengeschäft gegen andere Branchenriesen wie Toyota, Renault oder General Motors antritt – neben der Stammmarke auch Skoda und Seat.

Jedoch wird der 51-jährige Brandstätter nun vom Chief Operating Officer (COO) zum Chief Executive Officer (CEO) befördert – und damit zum hauptverantwortlichen Regenten im täglichen Geschäft. Offizielle Begründung: Diess solle „mehr Freiraum für seine Aufgaben als Konzernchef“ bekommen. „Ziel ist eine stärkere Fokussierung auf die jeweiligen Aufgaben an der Spitze von Konzern und Marke in der laufenden Transformationsphase.“

Diess bei VW intern unter Druck

Zuletzt war Diess in Bezug auf die Kernmarke innerhalb des eigenen Hauses stark unter Druck geraten. Es hatte gravierende Technik- und Kommunikationsprobleme gegeben, bei denen er aus Sicht vieler Kritiker keine allzu gute Figur machte. Vor allem aus Belegschaft und Betriebsrat war zu hören, Diess müsse die anhaltenden Schwierigkeiten in der Produktion des Golf 8 und beim neuen E-Auto ID.3 zur Chefsache machen und mehr Präsenz zeigen. Hinzu kam gegenüber dem ganzen Management Kritik an der Aufarbeitung des Shitstorms um ein rassistisches Golf-Werbevideo im Internet. Die einflussreichen Vertrauensleute der IG Metall erklärten, Mitarbeiter zeigten sich „massiv besorgt“ wegen des Bildes, das VW abgebe.

Diess war vorgeworfen worden, zu schnell zu viel ändern zu wollen. So ließen sich Probleme mit der komplett neuen Golf-Elektronik trotz zahlreicher Taskforces nicht ganz abstellen. Dann gab es noch einen – inzwischen wieder aufgehobenen – Lieferstopp wegen Störungen beim Nothilfeassistenten. Betriebsratschef Bernd Osterloh war den Manager schon im März offen angegangen: „Die Folgen dieser unrealistischen Planungen sind ein völlig überzogener Druck auf die Kolleginnen und Kollegen an den Montagelinien.“ 2019 konnten nicht einmal zehn Prozent der ursprünglich angepeilten 100.000 Golf 8 gebaut werden.

Beim elektrischen ID.3, mit dem VW einen Golf-Nachfolger im Massenmarkt aufbauen und eine E-Serie mit Milliardeninvestitionen begründen will, hakt es ebenfalls. Das Modell aus dem Werk Zwickau, das ab Mitte Juni zu bestellen sein soll, kommt zunächst nur mit einem abgespeckten Funktionsumfang. Grund: Software-Verzögerungen.

Viele Autos stehen ohnehin auf Halde, weil die Verkäufe in der Corona-Krise drastisch zurückgegangen sind. Auch in der wochenlangen Debatte um Kaufprämien zur Belebung der Nachfrage hatte der 2015 von BMW zu VW gekommene Manager hoch gepokert. Diess forderte „kraftvolle Maßnahmen“ auch für moderne Verbrenner – der Bund beschloss nur erhöhte Zuschüsse für E- und Hybridwagen, zum Ärger vieler Kollegen.

Umstrittenes Instagram-Video von VW bringt weitere Unruhe

Die Vertrauenskörper-Leitungen der deutschen VW-Werke, die eine Art Scharnier zwischen dem Betriebsrat und den in der IG Metall organisierten Belegschaftsmitgliedern sind, nannten das umstrittene Werbevideo bei Instagram zum Golf als weiteres Problem. „Für uns ist das Maß inzwischen unerträglich“, schimpften sie. „Mittlerweile ist ein Zustand erreicht, in dem sich immer mehr Kolleginnen und Kollegen für ihren Arbeitgeber schämen und ihn teilweise verleugnen.“

Der Porsche/Piëch-Clan stärkte Diess auch nach dem strafrechtlichen Deal im Verfahren um mögliche Marktmanipulation in der Dieselkrise den Rücken, ebenso das Land Niedersachsen als nach der Familie zweitgrößter VW-Aktionär. In den Werken waren aber auch ganz andere Töne zu hören. Diess müsse endlich dezidiert die zahlreichen Probleme anpacken, forderten Belegschaftsvertreter. Öffentlich schwärmte der Chef beim Golf von einem der besten Anläufe, die es je gegeben habe. Das brachte ihm bei so manchem Mitarbeiter an der Linie Kopfschütteln ein. Vor Managern soll intern eine weitere Verschärfung des Sparkurses und eine Streichung von Modellen diskutiert worden sein.

Brandstätter kann nun seine Nähe zur Belegschaft und Akzeptanz unter Beweis stellen. „Für Volkswagen ist der Kurs in die Zukunft gesetzt“, erklärte er zum schwierigen Umbau in Richtung Elektromobilität und Digitalisierung. „Gemeinsam werden wir unseren Weg entschlossen weiterverfolgen.“

he/dpa