Sind Marken politisch?

Natürlich sind Marken nicht politisch, so sollte man meinen. Das Ökonomische ist nicht politisch, so möchte man glauben. Und dann überrascht es schon sehr, wenn man das Gegenteil erleben muss. Können Kaufentscheide „politisiert“ werden?
Jürgen Häusler

„These Days, a shirt is not always just a shirt, and a store is not always just a store. Handbags, dresses and other ordinary items – and where they are bought – have become politicized“ (New York Times, 10.2.2017). Überraschend ist eigentlich nicht, dass dies so ist. Überraschend ist vielmehr, dass Wirtschaftsexperten dies überraschend finden. In welcher Welt leben Wirtschaftsjournalisten, die derart surreale Weltbilder (noch immer) haben? Wie naiv muss man sein, um überrascht zu werden von dem Phänomen: „Shopping Becomes a Political Act in the Trump Era“? Welche erschreckenden Wissenslücken offenbaren sich, wenn (man ist geneigt hinzufügen: „so-called“) Wirtschaftsexperten mit großem Erstaunen feststellen, dass Kaufentscheide „politisiert“ werden können?

Politische Kaufentscheide

Für derart uninformierte, lehrbuchgläubige und naive akademische und journalistische Wirtschaftsexperten wirkt der amerikanische Präsident aufklärerisch. Er erschüttert grundlegend ein gelehrtes liberales Weltbild, in dem die Sphären Wirtschaft und Politik sauber getrennt erscheinen. Schon sein politischer Aufstieg müsste eigentlich auch als Marketingerfolg interpretiert werden, also als ein Indiz für die zunehmende Ökonomisierung des Politischen. Serienweise, ohne jede Scheu und jeden Zweifel zerstreuend politisieren die Trump`schen Tweets vermeintlich rein ökonomische Entscheidungen von Unternehmen und Konsumenten. Und schließlich kann es dann ja eigentlich nicht ernsthaft verwundern, wenn Unternehmens- und Konsumentenverhalten politisiert werden.

Dabei ist all dies natürlich nicht wirklich neu und besonders kennzeichnend für die „Trump Era“. Wie meist, wenn Trump involviert ist, kommen die Dinge sicher immer noch bizarrer, aufdringlicher und erschreckender daher als üblich. Aber die Politisierung der Konsumwelt bleibt grundsätzlich doch ein Begleitphänomen der Entwicklung der Konsumgesellschaft seit nunmehr schon fast einem Jahrhundert. Beobachtet und beklagt werden oft einfach nur Folgeerscheinungen der Vermarktung der Welt, also des Eindringens der Marketinglogik in mehr und mehr gesellschaftliche Felder seit mehreren Jahrzehnten. Und schließlich zeigt sich hierin der Bedeutungsgewinn von Marken in modernen Gesellschaften in seinen unterschiedlichen Facetten.

Mächtige Marken

Je mehr traditionelle soziale Institutionen in Krisen geraten – was unübersehbar beispielsweise für „die Politik“ der Fall ist -, umso mehr drängen Marken in diese Lücke. Sie leiten das Verhalten von Menschen über den Bereich des Konsums hinaus. Sie werden zum erfolgsnotwendigen Bestandteil nicht nur des Marketings von gewinnorientierten Unternehmen, sondern entscheiden mehr und mehr über die Entwicklungschancen auch von non-profit-Organisationen, öffentlichen Körperschaften oder sozialen und religiösen Einrichtungen – oder politischen Kandidaten. Sie entscheiden mehr und mehr darüber mit, wie wir als Gesellschaft zusammen leben, durchdringen traditionell nicht marktorientierte Lebensbereiche wie Gesundheit, Bildung oder Sicherheit. Für die Mehrheit der Menschen bieten Marken angesichts der überbordenden Komplexität des digitalen Zeitalters überlebensnotwendige Orientierung. Sie schaffen entspannendes Vertrauen, wo ansonsten Anonymität, Zynismus, Zweifel und Unsicherheit zerstörerisch herrschen. Und sie machen attraktive Identifikationsangebote, wo gefeierte Individualität massenhaft zu ängstigender Isolation mutiert. Es ist nur folgerichtig, dass mit Donald Trump nun auch erstmals eine Marke Präsident der USA geworden ist.

All dies macht Marken wertvoll. Und mächtig. Sie haben die Macht, die Welt zu verändern. In der Folge erregt dieser Machtgewinn immer wieder auch Widerstand. Und das seit Jahrzehnten.

Einfache Handtaschen?

Wer kann dann immer noch ernsthaft glauben, dass eine Handtasche (beispielsweise von Hermès) „einfach nur eine Handtasche“ sei? Wer kann sich dann wirklich noch darüber wundern, dass der Verkauf und Kauf von Handtaschen (beispielsweise unter dem Label Ivanka Trump) „politisiert“ werden?

Es kann umgekehrt nur verwundern, wenn die Schöpfer dieses machtvollen Instruments, Marke, hoffen „to fly below the political radar“. Es muss erstaunen, dass sie scheinbar nicht gut darauf vorbereitet sind „to deal with a tweet from the president“ (New York Times, 10.2.2017). Dass sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen angesichts „the rise of new partisan consumerism“ und angesichts des Trends, dass Konsumenten „use their dollars to vote on social, political and economic issues“ (so die Professoren Koehn und Schlesinger von der Harvard Business School in der PBS Newshour vom 9.2.2017). Gänzlich unverständlich ist schließlich das Unverständnis der Experten der Harvard Business School angesichts der Beobachtung, dass die Marken in ihrer Kommunikation – hier beim letzten Super Bowl – nicht beim Beschreiben des Leistungsangebots verharren, sondern Identifikationsangebote machen: „Think about that. … we`re not talking about what Airbnb is. But we are talking about the values of the Airbnb brand“ – diese Binsenweisheit der Markenentwicklung ruft an der Harvard Business School den Bedarf zum Nachdenken hervor? Die Debatte erinnert an Goethe`s Zauberlehrling. Dort sind es Besen. In der heutigen vermarkteten Welt sind es Marken: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“