Sind „grüne“ Marken auch digital nachhaltig?

Marken wie Patagonia, Love Nature oder Frosch geben sich viel Mühe, ihr grünes Image zu pflegen. Zumindest digital scheinen sie aber eher wenig Wert auf Nachhaltigkeit zu legen. Was kann man als Marke tun, damit der Digitalauftritt nachhaltig wird?
So grün inszeniert Veja seine Schuhe. An einer nachhaltigen Website arbeitet das Unternehmen hingegen noch. (© Veja)

Love Nature, Frosch oder Veja: Immer mehr Marken legen nach außen ihren Fokus auf Nachhaltigkeit oder werden gleich mit diesem Anspruch ins Leben gerufen. Das grüne Branding liegt im Trend. Doch wer einen Blick darauf wirft, wie diese vermeintlich „grünen“ Marken mit Nachhaltigkeit in digitalen Sphären umgehen, wird überrascht. Denn die Websites der Unternehmen sind alles andere als grün.

81, 91 oder gar 93 Prozent weniger nachhaltig als durchschnittliche Websites sind die Seiten der drei Marken, wenn man den Website Carbon Calculator befragt. Sie sind also – zumindest dieser Analyse zufolge – sogar deutlich weniger nachhaltig als Seiten von Unternehmen, die Nachhaltigkeit nicht wirklich zu interessieren scheint. So ist beispielsweise die Website des nicht gerade mit grünem Image glänzenden Media Markt deutlich besser als der Durchschnitt. Wenig überraschend schneidet auch Greenpeace.de gut ab. Sucht man aber unter Markenherstellern nach nachhaltigen Websites, gestaltet sich das ziemlich schwierig.

Zwar ist der Test von websitecarbon.com nur ein Indikator, er zeigt aber dennoch, wie viel Wert ein Unternehmen auch auf digitale Nachhaltigkeit legt. Er wird von der Londoner Digitalagentur Wholegrain erstellt und schaut neben vielen weiteren Aspekten vor allem auf den Umfang des Datentransfers oder die Energie, mit der Server betrieben werden. Von 15 für diesen Artikel getesteten nachhaltigen Marken ist nur die Website der Naturkosmetikmarke i+m besser als der Durchschnitt aller getesteten Websites. Wie kann das sein?

Was machen Patagonia und Armedangels?

In der Recherche entsteht schnell der Eindruck, dass einige Marken, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben, kein wirkliches Interesse an digitaler Nachhaltigkeit haben: Patagonia oder Armedangels, beides Marken, die sich als grüne Vorreiter präsentieren, beantworten unsere Fragen zum Thema gar nicht. Ihre Websites sind mindestens 80 Prozent weniger nachhaltig als der Durchschnitt im Test. Was die Unternehmen tun, um auch digital nachhaltig zu sein? Unklar. Viel scheint es aber nicht zu sein. Der Naturkosmetikhersteller Junglück, der ebenso schlecht abschneidet, erklärt lediglich, dass man das Thema kurz beleuchtet habe, aber aufgrund mangelnder Kapazitäten zu wenig Aufmerksamkeit darauf gelegt hätte.

Bei der nachhaltigen Modemarke Veja hat man die Notwendigkeit eines Wandels hingegen bereits vor Jahren erkannt. Zwar schneidet auch Veja im Test schlecht ab, doch immerhin tut das Unternehmen etwas: „Wir haben 2018 festgestellt, dass wir deutlich weniger Energie für unsere Website nutzen könnten“, sagt Veja-Gründer Sébastien Kopp. Nach Angaben des Unternehmens scheiterte die Umsetzung bisher an knappen Ressourcen, auch und insbesondere in der Corona-Zeit. Im Februar 2022 soll es aber eine nachhaltigere Website geben. Kopp gibt an, dass dadurch das Gewicht der Seite um den Faktor 10 abnehmen soll, sie also deutlich effizienter werde. Was genau Veja tut, um das zu erreichen, erklärt das Unternehmen auf Nachfrage allerdings nicht. Das zeigt: Nachhaltige Internetseiten sind aufwendig und lassen sich nicht nebenbei erstellen. Ein Unternehmen muss schon bewusst den Fokus auf das Thema legen.

Veja-Gründer Kopp nennt außerdem noch einen weiteren Aspekt, bei dem es auf der neuen Seite Verbesserungen geben soll: bei den Farben. Auch hier erklärt das Unternehmen nicht, was es genau tun möchte. Gut möglich, dass es damit meint, die Seite im Dark Mode anzubieten. Das kann tatsächlich ein relevanter Faktor sein, wie Tom Greenwood, der Managing Director von Testbetreiber Wholegrain Digital, erklärt: „Aber nur, wenn das Gerät der Nutzer*innen einen OLED-Bildschirm hat. Da immer mehr digitale Geräte die OLED-Bildschirmtechnologie verwenden, wird dies ein immer wichtigeres Thema sein, das von Webdesignern priorisiert werden muss.“ Grob geschätzt seien durch eine Website im Dark Mode etwa zehn Prozent weniger Energie nötig.

Vermeintlich grüne Marken mit fossiler Energie

Ein enormer Faktor ist auch nachhaltige Energie: Zwar gibt Veja-Gründer Sébastien Kopp an, dass alle Stores und Büros der Firma mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden. Ob das analog auch für die Server gilt, wollte Veja auf Nachfrage jedoch nicht beantworten. Möglich, dass das Unternehmen dazu gar nichts weiß, da Serverstrukturen oft an Dienstleister ausgelagert werden. Zumindest die Analyse von websitecarbon.com zeigt an, dass die Veja-Website mit fossilen Brennstoffen läuft. Wie verlässlich diese Analyse ist, erklärt Betreiber Greenwood: „Wir führen täglich etwa 12.000 Tests durch und werden vielleicht zwei- bis dreimal pro Monat von Website-Besitzern kontaktiert, die feststellen, dass für ihre Website nicht korrekt angezeigt wird, dass sie einen grünen Host verwenden.“ Die Vermutung liegt also nahe: Veja nutzt hier keinen sauberen Strom.

Ähnlich verhält es sich bei Love Nature und Patagonia – auch hier lässt sich vermuten, dass fossile Brennstoffe für den Betrieb der Seiten genutzt werden. Patagonia ließ unsere Anfrage unbeantwortet. Bei Love Nature gab es zwar eine allgemeine Rückmeldung auf die Anfrage – den Punkt mit der Energie hat man aber zunächst ignoriert. Auf erneute Anfrage hieß es dann, dass der Hosting-Dienstleister „bis zum Jahr 2025“ auf erneuerbare Energien umstellen wolle.

Ohnehin hat man bei Love Nature, einem Hersteller veganer Wasch- und Putzmittel, einen ungewöhnlichen Blick darauf, wie eine Website nachhaltig wird: „Die Webseiten unseres Unternehmens und die Produktmarkenseiten betreiben wir auf Standardsystemen. So vermeiden wir getrennte Lösungen bei der Erstellung und beim Hosting der Seiten. Dies führt in Summe zu einem reduzierten Fußabdruck gegenüber individuellen Lösungen.“ Das ist nicht ganz falsch: Wenn weniger Entwicklungszeit in eine Seite gesteckt wird und Lösungen kopiert werden, bedeutet das weniger Aufwand und damit weniger Energieverbrauch. Nur nutzt das wenig, wenn der Baukasten nicht nachhaltig aufgesetzt ist. Und manche Dinge kann ein Baukasten überhaupt nicht regeln: Ob der Inhalt so funktioniert, dass User*innen keine weiteren Seiten besuchen müssen, oder ob Bilder und Videos eingesetzt werden müssen, das entscheidet sich für jede Seite separat. Die Maßnahmen von Love Nature scheinen also eher untauglich, um echte Nachhaltigkeit zu erreichen.

Als Antwort auf die Frage, was man denn nun tatsächlich tun kann, damit die eigene Seite energieeffizienter ist, hat Tom Greenwood ein einfaches Mantra: „We must simply use less.“ Und zwar in allen Bereichen, egal ob Content, Design, Code oder Hosting. Konkret heißt das: Inhalte müssen so gut sein, dass möglichst alle Fragen beantwortet sind und keine zusätzlichen Seiten besucht werden müssen. Design muss User*innen so klar führen, dass sie keine unnötigen Wege gehen. Code muss so schlank wie möglich sein. Und das Hosting sollte auf grüner Basis stehen. Doch auch, wenn es konkreter werden soll, hat Greenwood einen Tipp: „Ich würde sagen, dass wir Bilder und Videos vorsichtiger einsetzen sollten.“

Muss man den Lavendel-Weichspüler animieren?

Das Beispiel Frosch zeigt, dass man auch dann Probleme mit der Nachhaltigkeit haben kann, wenn eine Site grundsätzlich optimiert ist. „Als Unternehmen mit ganzheitlich nachhaltiger Firmenphilosophie achten wir auch bei unseren Websites auf Nachhaltigkeit“, erklärt eine Frosch-Sprecherin. Außerdem würden alle Server und Computer des Unternehmens „ausschließlich mit Ökostrom betrieben“. Die Seite frosch.de sei zwar „optimal aufgesetzt“, nur seien im laufenden Betrieb auch immer mal wieder Dateien im System gelandet, die nicht optimiert sind. Das wirkt auch deshalb glaubhaft, weil andere Seiten des Unternehmens deutlich besser abschneiden, beispielsweise eine Landingpage, die sich speziell dem Thema Nachhaltigkeit widmet – und das, obwohl Bildmaterial dort prominent eingesetzt wird. Auch ­die Seite frosch.de will das Unternehmen nach unserer Anfrage noch mal ­optimieren.

Dazu verweist Frosch noch auf einen anderen Aspekt: Nach Angaben des Unternehmens verzichte man mittlerweile weitgehend auf Printwerbung und sieht die Website als Hauptinformationsquelle für Kund*innen: „Deshalb möchten wir dort farbenfroh und mit vielen Bildern über unsere Produkte und Initiativen informieren – was natürlich generell mehr Kapazität benötigt als eine schlichte Website mit nur wenigen oder gar keinen Bildern.“

Bei Frosch erklärt man, auf jeden Fall farbenfroh sein zu wollen. Nun lässt sich vermutlich darüber streiten, wie wichtig es ist, dass der Lavendel-Weichspüler ebenso animiert ist wie 18 weitere Produkte der Marke. Entscheidender ist aber vermutlich, dass eine Marke nicht auf jedes Video anspringt, das ihr die zuständige Kreativagentur anbietet. Auf schicke Animationen, auffallende Farbvielfalt und Video-Storytelling kann man an mancher Stelle auch verzichten. Diese Elemente sollten vor allem dann eingesetzt werden, wenn sie echten Nutzen stiften. Zumindest wenn man das Thema Nachhaltigkeit konsequent durchsetzen will. Wenn Inhalte gut komprimiert sind, freut das auch die Nutzer*innen. Das spart Ladezeit und in der mobilen Nutzung wird auch das Datenvolumen geschont.

Es geht besser: nachhaltig, aber trotzdem bunt

Ganz weglassen muss man Bilder und Animationen aber natürlich nicht: Dass es auch mit diesen Formaten funktionieren kann, zeigt die bereits genannte Website der Naturkosmetikmarke i+m. Die Seite ist bunt, bilderreich und vielfältig – aber trotzdem effizient. Das Unternehmen ist in der Selbstbeschreibung auf der Plattform nicht gerade zurückhaltend, beginnt den Text mit den Worten „Wir sind die Guten“. Aber man muss es ihnen lassen: Zumindest in puncto digitale Nachhaltigkeit trifft das den Nagel auf den Kopf.

Ohne Aufwand geht das nicht. i+m arbeitet mit einer Agentur zusammen, die einen Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette wirft: „In unserem eigenen Onlineshop heißt digital nachhaltig unterwegs sein, auch die gesamte Logistikkette im Blick zu haben: nachhaltig zu packen und zu verschicken“, erklärt Luisa Biedermann von i+m. Dass die Marke damit überdurchschnittlich nachhaltig ist, war dem Unternehmen aber nicht einmal bewusst.

Was für Bilder gilt, trifft auch in anderen Fällen zu: Oftmals hilft eine nachhaltigere Seite nicht nur dem Planeten, sondern ist auch für User*innen besser. Gute Inhalte und eine Mobiloptimierung führen ebenfalls zu einer grüneren Seite – und freuen zugleich die Nutzer*innen. Wer schnell zu der gesuchten Information kommt, verbraucht weniger Energie. Und wenn Seiten mobil optimiert sind, bedeutet das, dass sie auf allen Bildschirmen gut lesbar sind. Ewiges Zurechtzoomen fällt dann weg. Das heißt: Gut aufbereitete Seiten zeigen sich vielleicht gar nicht in der Energiebilanz, weil unklar ist, wie viel länger oder kürzer ein*e User*in für eine Aktion braucht. Sie sind aber doch entscheidend, um die Seite nachhaltiger zu machen.

Wie gut Inhalte sind, ist in einer statistischen Auswertung nur schwer zu erfassen und hängt vor allem auch mit dem individuellen Bedürfnis eines Nutzers oder einer Nutzerin zusammen. Wahrscheinlich ist es aber dieser Aspekt, auf den die meisten Marken ohnehin bereits jetzt viel Wert legen. Wenn auch teilweise aus den falschen Motiven: zum Beispiel, weil dort Suchmaschinenoptimierung betrieben wird, die auf das Gleiche einzahlt. Bei den anderen Aspekten hingegen scheint viel Nachholbedarf zu bestehen. Doch gewinnt man den Eindruck, dass selbst nachhaltige Marken nur mäßigen Wert auf eine grüne Seite legen. Wenn selbst sie es nicht schaffen, nachhaltig zu sein, dann ist klar: Für Marken, bei denen Nachhaltigkeit generell eher ein Randthema ist, wird es noch ein weiter Weg hin zu digitaler Nachhaltigkeit sein.

Checkliste für Marken zur digitalen Nachhaltigkeit:

  • Website nachhaltiger gestalten
  • Bilder und Videos komprimieren
  • Animationen, Bilder und Videos mit Bedacht einsetzen
  • Inhalte verständlich und klar strukturieren, Erwartungen managen
  • Hosting und Server mit grünem Strom betreiben
  • Code schlank schreiben
  • Bots von der Seite verbannen
  • Systemschriften statt eigener Schriftarten verwenden
  • Dark Mode nutzen

Dieser Artikel erschien zuerst in der Januar-Printausgabe der absatzwirtschaft.

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.