Risiko „Islamic Fashion“: Die Modeindustrie hadert mit dem Nahen Osten

Tommy Hilfiger und Mango haben erfolgreich Ramadan-Kollektionen für Kunden aus dem Nahen Osten auf den Markt gebracht. Der Sportartikelhersteller Decathlon muss ein Jogging-Kopftuch zurückrufen. Islamic Fashion verspricht Milliardenumsätze, aber Designer gehen auch Risiken ein. Sie wagen sich an die Grenzen religiöser und gesellschaftlicher Akzeptanz.
Links das Produkt von Decathlon, rechts die Version von Nike

Von Anne-Kathrin Velten

Eigentlich wollte der französische Sportartikelhersteller Decathlon mit seinem Kopftuch für sportliche Muslima nur Nike Konkurrenz machen. Nach heftigen Protesten ruderte das Unternehmen nun zurück und nahm den Sport-Hidschab vom Markt. Das Laufkopftuch war zunächst nur in Marokko erhältlich. In Kürze sollte es weltweit verkauft werden. Damit wollten die Franzosen „den Sport Frauen in aller Welt zugänglich machen“. Muslima das Laufen zu ermöglichen sei „fast schon ein gesellschaftliches Engagement“, so das Unternehmen. Decathlon werde von dem Wunsch angetrieben „dass jede Frau in jedem Viertel laufen kann, in jeder Stadt, in jedem Land, unabhängig von ihrem sportlichen Können, ihrer Fitness, ihrem Körperbau, ihrem Einkommen. Und unabhängig von ihrer Kultur.“

Politikerin forderte Boykott der Marke

Nach heftiger Kritik ruderte das Unternehmen zurück. Begründung: Es müsse eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen und nehme von der Vermarktung des Renn-Hidschabs in Frankreich Abstand. Die Kritik kam in erster Linie aus der Politik. Aufgabe des Sports sei es, zu emanzipieren und nicht zu unterwerfen, so die Regierungspartei La République en Marche. Die Vorsitzende der Sozialistischen Fraktion in der Nationalversammlung forderte sogar einen Boykott von Decathlon.

Der amerikanische Sportartikelhersteller Nike hatte vor einem Jahr ebenfalls für Schlagzeilen gesorgt, als er sich hinter die Kampagne „Pro Hijab“ stellte. Er hat sein Kopftuch allerdings weiterhin im Sortiment. Denn Islamic Fashion verspricht einen Milliardenumsatz.

Die Kontroverse über Sport-Hidschabs zeigt, wie riskant der Vorstoß in einen Markt ist, der nicht nur von Mode-, sondern auch von religiösen Gesetzen bestimmt wird. Islamische Mode will islamische Praktiken und Traditionen mit dem Wunsch speziell der Frauen nach moderner Kleidung kombinieren. Aufgrund der wachsenden Kaufkraft der vornehmlich islamischen Länder hat das Modesegment in den vergangenen Jahren ein rasantes Wachstum erlebt.

Größtes wirtschaftliches Absatzwachstum unter Muslimen

Weltweit sollen Muslime dieses Jahr 484 Milliarden Euro für Kleidung und Schuhe ausgeben. Dieser Umsatz soll in den kommenden sechs Jahren um fünf Prozent wachsen. Laut dem Nachrichtendienst Al Jazeera sollen bereits 2020 etwa 29 Prozent der Weltbevölkerung muslimischen Glaubens sein. Damit stellen Muslime die Konsumentengruppe mit dem größten wirtschaftlichen Absatzwachstum dar. Von diesem Kuchen wollen viele Modelabels ein Stück abbekommen.

Das britische Kaufhaus Debenhams hat als erstes eine islamische Modelinie auf den Markt gebracht. Anfang 2016 lancierte das italienische Modehaus Dolce&Gabbana eine komplett islam-konforme Kollektion mit fein bestickten langen Gewändern, den Abayas. Tommy Hilfiger und Mango haben im Jahr 2017 Ramadan-Kollektionen für Kunden aus dem Nahen Osten produziert. Die Stücke waren limitiert und um den Fastenmonat Ramadan erhältlich. Die Absatzzahlen zeigten: Es besteht das ganze Jahr über Bedarf. In Amerika wurde eine islamische Modelagentur namens Under Wraps gegründet. Städte von Basra bis Auckland bieten muslimische Modenschauen. Und seit Saudi-Arabien, der konservativste Staat der muslimischen Welt, den Frauen die Möglichkeit gibt, den schwarzen Abayas Farbtupfer zu geben, entdecken alle großen Designer den Markt.

Modest Fashion statt Islamic Fashion

Der Markt ist genauso groß wie das Risiko für Designer und Modeunternehmen, die in diesen eintreten. Sie müssen ihre Produkte zwar vermarkten, sich aber gleichzeitig gegen Kritik wappnen. Diese wird – wie das Beispiel Decathlon zeigt – derzeit besonders in Europa eher lauter als leiser. Darum nehmen Labels immer öfter von dem Begriff „Islamic Fashion“ Abstand und bevorzugen „modest fashion“. Damit wollen sie zum einen den Bezug zu Religion zu vermeiden und gleichzeitig junge Muslime ansprechen, die den Trends folgen und trotzdem ihrem Glauben treu bleiben möchten.

Diese tragen gemäß Umfragen wie beispielsweise von der amerikanische „Cosmopolitan“ ihre Hidschabs ohnehin eher zu besonderen Anlässen. Ansonsten wünschen sie sich schlichte, nicht trend-orientierte oder körperbetonte Mode wie zum Beispiel Maxikleider oder lange Röcke. Diese sollen aber von den gängigen Marken und in deren Geschäften zu finden sein.