Neues Wachstum trotz Restriktionen

DSGVO, Klimaziele, BGH-Urteile – all das sind Beschränkungen und Restriktionen jüngster Zeit, denen Marken und Unternehmen sich stellen müssen. Doch wie genau navigiert sich eine Marke heute in einer Welt, in der es immer mehr Regeln gibt? Und wie schafft sie darin neues Wachstum?
Restriktionen können ein enormes Potenzial an Erfindungsgeist hervorrufen. Unternehmen, die diese Chance vor anderen erkennen, sind die Vorreiter ihrer Branche. (© Unsplash/Markus Spiske)

Von Alexander Kiock, Managing Director, Diffferent

„Jedes Verbot ist auch ein Innovationstreiber“, sagte Annalena Baerbock in einem TV-Triell. Dieses Zitat illustriert, dass Restriktionen nicht unbedingt negativ für Unternehmen und Marken sind. Not macht bekanntlich erfinderisch. Restriktionen können ein enormes Potenzial an Erfindungsgeist hervorrufen. Unternehmen, die diese Chance vor anderen erkennen – und am besten noch vor Eintreten der Auflagen – sind die Vorreiter ihrer Branche. Sie generieren daraus am schnellsten und nachhaltigsten neues Wachstum. Indem sie sich neu ausrichten, neue Businessmodelle entwickeln und neue Wege abseits des Kerngeschäfts finden.

Es ist mitunter bekannt, dass sich gewisse Einschränkungen positiv auf die Kreativität auswirken. So beschränkte sich der Komponist Igor Strawinsky bewusst auf bestimmte Tonlagen und erforschte dadurch spielerisch neue Klangwelten. Und Steve Jobs setzte seinen Mitarbeiter*innen teils sehr harte Deadlines und zwang sie damit, sich auf das Wesentliche – im Fall von Apple auf das Minimalistische – zu konzentrierten. Genau dies macht heute den USP der Marke aus.

Neues Wachstum lässt sich folglich in unterschiedlicher Gestalt bei Marken und Unternehmen beobachten und entsteht nicht selten vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Transformationen oder Restriktionen:

Neues Wachstum durch gutes Trendgespür

Wer ein Gespür für Trends entwickelt und zugleich aufkommende Restriktionen im Blick behält, hat enormes Potenzial für neues Wachstum. In der Automobilbranche gibt es Marken, die zeigen, wie es geht. So stellte sich zum Beispiel Volkswagen auf dem deutschen Markt frühzeitig im Bereich Elektromobilität auf. Die neuen Klimaziele und das drohende Verbot von Verbrennungsmotoren bringen die Marke daher weniger in die Bredouille als die Konkurrenz und verhelfen ihr sogar zu Wachstum.

Ein weiteres Beispiel ist die E-Zigarettenmarke Iqos. Trotz Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen und in der Gastronomie, gab es lange Zeit keine Alternative zur herkömmlichen Zigarette. Im Jahr 2015 rief Philip Morris die eigene Transformation aus – weg von der Zigarette hin zum Tabakerhitzer. Seitdem begegnet das Unternehmen aufkommenden Nichtraucher-Schutzgesetzen oder Tabakwerbe-Verboten ebenso gelassen wie der abnehmenden Zahlen an RaucherInnen. Iqos besetzte das Thema „rauchfreie Zukunft“ und die dazugehörige Nische noch vor der Konkurrenz und verzeichnet seitdem positives Wachstum.

Neues Wachstum durch neue Produktkategorien

Bring Purpose to the Product! So könnte das Motto für Unternehmen lauten, die sich neues Wachstum durch die Einführung neuer Produkte auf die Agenda gesetzt haben. Die Rügenwalder Mühle zum Beispiel: Aus einer ehemaligen Fleischerei ist ein Unternehmen geworden, das für ihr veganes und vegetarisches Angebot bekannt ist.

Durch die Klimabewegung und die daraus resultierende Empfehlung, der Umwelt zuliebe die eigene Ernährung umzustellen, ist der Fleischverbrauch bei vielen KonsumentInnen zur persönlichen Restriktion geworden. Ergo stieg die Nachfrage nach pflanzlichen Ersatzprodukte in den vergangenen Jahren an. Da sich Rügenwalder Mühle rechtzeitig neupositioniert und seine Produktsparte noch vor der großen Nachfragewelle etablierte, profitiert das Unternehmen nun aus einer starken Marke heraus.

Neues Wachstum durch neue Geschäftsmodelle

Weniger Möglichkeiten führen zu mehr Ideen und damit zu zukünftigen Wachstumsfelder. Wie neues Wachstum durch und wegen drohender Restriktionen gelingen kann, zeigt der Energiesektor. Im Hinblick auf den bevorstehenden Stopp von Kohleabbau sowie der Erdölförderung ist es für Privatpersonen und Betriebe sinnvoll, auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Diesen Prozess und die damit verbundene Fragen zur Antragsstellung, Speicherung und Installation von Photovoltaikanlagen möchte Solarwatt seinen B-to-C-Kund*innen erleichtern. Deshalb hat das Unternehmen sein bisheriges B2B-Geschäftsmodell um den neuen B2C-DirektkundInnen Revenue-Stream erweitert. Damit einher geht neues Wachstum, das einen wertvollen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leistet und grüne Energiegewinnung möglich macht.

Wachstum – aber nicht auf Kosten anderer

Es passiert leider immer wieder, dass Unternehmen in Grauzonen rutschen, die zwar zu finanziellem Wachstum führen, welches aber auf dem Rücken anderer – etwa der Mitarbeiter*innen – ausgetragen wird. So geschehen bei Uber und Lyft. Um ihren Service günstiger als traditionelle Personenbeförderungsunternehmen anzubieten, nutzen sie eine gesetzliche Lücke und stellen ihre FahrerInnen nicht fest an, sondern lassen sie als selbständige UnternehmerInnen agieren. Damit sparen sich Uber und Lyft die Lohnzusatzkosten. Die Fahrer*innen haben das Nachsehen, denn sie werden von gesetzlichem Schutz ausgeschlossen und haben zudem eine geringer Verhandlungsmacht gegenüber ihrem Arbeit- bzw. Auftraggeber. Dies funktioniert so lange, bis einzelne Länder ihre Gesetzgebung anpassen und damit die Lücken schließen. Solche Geschäftsmodelle sind explizit nicht mit neuem Wachstum gemeint.

Das Neue im neuen Wachstum

Neues Wachstum zeichnet sich durch kreative Lösungen aus. Lösungen, die sich frühzeitig ihre Lücken suchen und damit Vorreiter ihrer Disziplin werden. Denn Unternehmen, die neue Chancen vor anderen erkennen, können ein enormes Potenzial an Innovation entfalten und daraus schnell und nachhaltig neues Wachstum generieren.

Das Neue an diesem Wachstum ist, dass es sich einer komplexen Welt bewusst ist. Es ist nicht primär auf schnellen oder linearen Profit aus, sondern ist stark zukunftsorientiert, nachhaltig, digital und weiß um die soziale Verantwortung. Es hat enormes Potenzial, innovative Erlösmodelle zu finden und aus einer starken Marke heraus Wachstum zu generieren.

Alexander Kiock leitet die Strategieberatung Diffferent mit rund 120 Mitarbeiter*innen an den Standorten Berlin und München zusammen mit seinen Geschäftspartnern Jan Pechmann, Dirk Jehmlich und Sascha Mahlke.  Daneben ist  Kiock als Chief Strategy Officer der Syzygy AG tätig.