Müssen sich Marken von Influencer*innen emanzipieren?

Früher waren Influencer*innen von Brands abhängig – heute ist es umgekehrt. Oder? Vier Expert*innen erklären, wie sich Marken innerhalb der Branche stärken und wieder ein bisschen unabhängiger machen können.
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Inhalte mit dem Hashtag #deinfluencing werden auf Instagram und TikTok immer beliebter. (© Imago)

Ist der Erfolg von Marken mittlerweile von Creator*innen abhängig? Diese Frage beantwortet Hans Neubert mit einem Ja. Er ist Co-Gründer und Vorstandsvorsitzender der Bundesgesellschaft für Digitale Medien und erklärt: “Diese Abhängigkeit hat sich in den letzten Jahren verstärkt, vor allem, weil Creator*innen immer öfter nicht nur die Rolle von Meinungsmachenden und Influencer*innen im klassischen Sinne einnehmen, sondern die Aufgaben von Media-Agenturen übernehmen.” Ihr Einfluss habe sich dadurch auf verschiedene Bereiche von Unternehmen ausgeweitet: Influencer Marketing, Performance Marketing, Produktentwicklung, Marktforschung und die digitalen Medien einer Marke im Allgemeinen. 

Geht man einen Schritt zurück, erkennt man, dass die Dynamik in der Vergangenheit anders war. Der Beruf der Influencer*innen war mit Social Media geboren – sie haben damit begonnen, für Marken zu werben und ihr Berufsstand war von den Kooperationen abhängig, da sie anfangs die einzige Einkommensquelle darstellten. Damals noch anders als heute, nämlich sehr viel “werblicher”, wie man sagt.  

Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet: Die Zusammenarbeit wird deutlich nativer in den täglichen Content eingebunden. “Influencer Marketing ist der am schnellsten wachsende Kundenakquisitionskanal für digitale Marken. Im Jahr wächst dieser Bereich immer noch um 30 Prozent und hat damit alle anderen Marketingkanäle abhängt”, sagt Martin Landén, Head of Social Shopping bei Klarna. Die gesamte Branche hat sich professionalisiert und steckt längst nicht mehr in den Kinderschuhen. Vor allem Creator*innen mit weniger Reichweite, aber dafür mit einer starken Community, werden immer gefragter.  

Um die Zusammenarbeit mit Nischen-Creator*innen zu unterstützen, hat Klarna die sogenannte Creator Plattform ins Leben gerufen. Diese bietet eine Art Affiliate-Programm und die Möglichkeit, eigene kuratierte Shops zu bauen. Seit Ende letzten Jahres setzt das schwedische Unternehmen auf diese Zusammenarbeit mit Creator*innen und Brands – und ist bislang zufrieden. “Wir sehen die Creators Plattform als eine Möglichkeit, neue Kundengruppen über Creators anzusprechen”, erklärt Martin Landén. Sie bilden also eine wichtige Schnittstelle, die es schafft, dass sich Marken trotz Influencer Marketing breit aufstellen und auch über Klarna wieder neue Zielgruppen erreichen können. 

Creator*innen machen sich unabhängig 

“Mittlerweile haben Creator*innen eigene Marken geschaffen, neue Monetarisierungsmodelle für ihren Content durch die Entwicklung der Plattformen gefunden oder auch eigene Abo-Modelle unabhängig von Social Media entwickelt”, erklärt Hans Neubert. All das war ein wichtiger Schritt in Richtung Unabhängigkeit.  

Diese Weiterentwicklung scheinen viele Brands allerdings verpasst zu haben. “Sie investieren einen Großteil ihrer Marketingbudgets ausschließlich in Social Media und die Zusammenarbeit mit Creator*innen”, sagt Jessica Haltenhof, Director of Influencer Marketing bei der Social-Media-Agentur Social Match. “Ich denke aber, dass ein Mix aus mehreren Marketingzweigen nach wie vor die beste Möglichkeit ist, langfristig erfolgreich zu sein. Wir haben besonders auf Social Media eine totale Reizüberflutung.” 

Kritik als Erfolgsgarant?  

Mit mehr als 893 Millionen Aufrufen stellen Videos mit dem Hashtag #deinfluencing den Gegensatz zu den werblichen Inhalten auf TikTok dar. Aber auch auf Instagram wird Deinfluencing-Content immer beliebter. Darin teilen Creator*innen ihre ehrliche, kritische und teils negative Meinung über ein Produkt. Manchmal stellen sie auch günstigere, aber eben auch bessere Produkte vor.  

Jessica Haltenhof sagt dazu: “Creator*innen versuchen damit, ehrlich ihre Meinung zu Services oder Produkten zu teilen, um ihre Community möglicherweise vor einem Fehlkauf zu bewahren. Vor allem bei nischigen Communities oder vertrauenswürdigen  Expert*innen, die mittlerweile eine große Reichweite aufgebaut haben und ihr Knowledge zu Produkten regelmäßig mit ihren Followern teilen, sind diese Videos sehr beliebt.”  

Nicht nur die Arbeit von Creator*innen hat sich professionalisiert. Auch die Frage danach, was eigentlich als Werbung gekennzeichnet werden muss, ist Gegenstand vieler Debatten. Auf Nachfrage bei “Die Medienanstalten”, Dachmarke der 14 Landesmedienanstalten und unter anderem für die Einhaltung von Werberegeln zuständig, lautet die Antwort, dass Deinfluencing wohl kaum absatzfördernd sein kann. Die günstigere Alternative, die vorgestellt wird, kann allerdings eindeutig Werbung sein. Trotzdem seien alle Fälle individuell zu prüfen. 

Von Abhängigkeit zu Zusammenarbeit auf Augenhöhe 

Jessica Haltenhof sagt, dass Deinfluencing auch eine Chance darstellen kann. “Im Prinzip ist es direktes Käufer*innen-Feedback, wie man es als Brand selten bekommt. Das sollte man ernst nehmen. Haben die Creator*innen mit der Kritik vielleicht recht? Sind die erwähnten Punkte vielleicht schon bekannt und die Brand arbeitet im Hintergrund bereits aktiv an einer Lösung?” Sie empfiehlt, auf jeden Fall auf die Inhalte zu reagieren.  Das sei immer besser, als es zu ignorieren.  

Eine weitere Lösung kennt Sarah Emmerich, Gründerin der Influencer-Marketing-Agentur Emmerich Relations: “Es ist wichtig, nicht nur mit externen Brand Faces zu arbeiten, sondern auch intern welche aufzubauen. Influencer aus den eigenen Reihen sind Gold wert, egal, ob die Gründer*innen oder das Team sichtbar werden.” Als positives Beispiel nennt sie Jacks Beauty Line, wo die Gründerin Miriam Jacks selbst zum Gesicht der Marke wurde. Aber auch sogenannte Corporate Influencer*innen stellen eine Möglichkeit dar, das Unternehmen auf persönliche und nahbare Art zu präsentieren. 

Hans Neubert sagt: “Marken müssen aufhören wie Werbetreibende zu denken und selbst zu Creator*innen werden. Die Influencer-Ära ist längst vorbei und die Community-Ära ist gekommen, um zu bleiben. Man muss es als Marke selbst schaffen, eine ganz eigene Community mit eigenen Inhalten und Formaten aufzubauen.” Unternehmen müssen also genau das tun, was Creator*innen längst getan haben: sich emanzipieren und breiter aufstellen. Die Brand dafür haben sie ja schon, jetzt braucht es nur noch die Community und passende Inhalte. 

(eb, Jahrgang 1993) ist freie Journalistin und kam vom Modejournalismus über Umwege zum Wirtschaftsjournalismus. Sie kann sich schnell für neue Themen begeistern, führt am liebsten Interviews und hasst Stillstand – was das Pendeln zwischen Bayern und Berlin umso leichter macht.