Marketinggemeinde, zeig‘ es Madame Fu!

Manche „Klimaneutral“-Label sind Schrott, zeigt eine aktuelle Recherche. Sie waren vielen Konsument*innen aber sowieso total egal, sagt Raoul Roßmann. Also brauchen wir neue, kluge, glaubwürdige und gute Argumente in der Marketingkommunikation für nachhaltige Produkte.
Laut einer Recherche von „Zeit“, „Guardian“ und „SourceMaterial“ sind Verra-verifizierte Waldschutz-Zertifikate zur CO₂-Kompensation zu gut 90 Prozent „ein Haufen Schrott“. (© Unsplash/Mahdis Mousavi)

Raoul Roßmann, Geschäftsführer der Drogeriemarktkette Rossmann, sagt im „Zeit“-Interview mit dem aufschlussreichen Titel: „Das Label ist im Grunde tot“: „Wir haben ohnehin festgestellt, dass das ‚Klimaneutral‘-Label für die Kunden letztlich gar nicht entscheidend ist. Den meisten scheint das egal zu sein.“

In der Kommentarspalte schreibt dazu ein Mensch namens Madame Fu: „So ist es. Es ist übrigens auch sehr nervig, in der Werbung ständig zu sehen, wie „grün“, „nachhaltig“ und „divers“ doch alle sind. Interessiert mich nicht die Bohne. Ich als Kunde will ein anständiges Produkt zu einem fairen Preis, der Unternehmer will sein Produkt verkaufen, und wenn alles richtig läuft, kommen wir zusammen. Und bei weitem nicht alles, was in den Medien gehypt wird, ist auch in der Realität ein relevantes Thema.“

Ächz. Sollten Herr Roßmann und Madame Fu recht haben – wogegen leider sehr wenig spricht, denn Rossmann verfügt über exzellente Kaufdaten und Madame Fu vermutlich über ein gerüttelt Maß an Kauferfahrung – wenn sie also recht haben, dann haben die nachhaltigkeitsorientierten Marketingverantwortlichen ein Problem. Denn dann stimmt ja gar nicht, was all die Expert*innen, Studien und, ja, auch wir Medienschaffenden gerne sagen und schreiben, nämlich: Dass die Menschen diejenigen Unternehmen mit Käufen belohnen, die sich ökologisch, sozial und ökonomisch korrekt verhalten. Oder wenigstens eins von den dreien.

„Zeit“-Enthüllung beschädigt Vertrauen in Zertifikate

Nun kann man irgendwie nur hoffen, dass Madame Fu unter „anständigem Produkt“ eben eines versteht, das anständig produziert ist. Und dass die Kund*innen deshalb nicht auf „Klimaneutral“-Label achten, weil sie all den Siegeln und Labeln sowieso nicht trauen. Zugegeben: Ersteres ist Wunschdenken und Letzteres auch keine gute Nachricht für Planet und Marketing.

Überhaupt war ja das Interview mit Raoul Roßmann bloß die Folge einer bemerkenswerten Recherche von „Zeit“, „Guardian“ und „SourceMaterial“. Laut der sind Verra-verifizierte Waldschutz-Zertifikate zur CO₂-Kompensation zu gut 90 Prozent „wertlos“ und „ein Haufen Schrott“. Verra ist der weltweit führende Zertifizierer von CO₂-Kompensationen. Die Erkenntnisse haben weitreichende Folgen für viele Marken: Sie können sich ihr „Klimaneutral“-Label von der Backe schmieren, denn die von ihnen bei Verra zertifizierten Waldschutz-Projekte kompensieren gar kein CO₂ und somit sind ihre Produkte auch nicht klimaneutral. Diese Enthüllung dürfte bedauerlicherweise auch das (Rest-)Vertrauen in andere Kompensationszertifikate beschädigen.

Konsequenz fürs Marketing? Siegel taugen nicht als Kaufargument für nachhaltige Produkte. Es wird andere Anreize geben müssen – nicht zuletzt, um Konsument*innen wie Madame Fu zu überzeugen.

Wie Rockstars in den 80ern

Kommen wir zu einem anderen Nachhaltigkeits-Sündenfall: zur Entlassungswelle in der Tech-Branche. Amazon kündigt 18.000 Leuten, bei Alphabet sind es 12.000, bei Meta 11.000, Microsoft will 10.000 Mitarbeitenden kündigen, Salesforce 8000, Dell will 6650 Jobs streichen. Die Börse reagiert positiv, die betroffenen Leute wahrscheinlich nicht so.

Die Erklärungen für die Kündigungswelle sind atemberaubend: Was derzeit in der Tech-Branche stattfinde, sei ein Fall von „sozialer Ansteckung. Die Unternehmen entlassen, weil alle anderen es auch tun“, sagt zum Beispiel der Stanford-Professor Jeffrey Pfeffer im „Spiegel“. Nach Jahren ungezügelten Wachstums hätten sich die Tech-Unternehmen „in eine gewisse Maßlosigkeit hineingesteigert“, erklärt Fabian Dömer vom Beratungshaus Arthur D. Little gegenüber tagesschau.de. Und Analyst Dan Ives stellt in der SZ fest: „…viele Unternehmen haben Geld ausgegeben wie Rockstars der 1980er-Jahre.“

Während der Corona-Zeit hatten die Konzerne zigtausende Menschen an Bord geholt, jetzt werfen sie sie wieder runter. Das ist aus sozialer Sicht ziemlich eklig und mit Blick auf die ökonomische Nachhaltigkeit ziemlich blöd: Rekrutierung und Onboarding waren teuer, Abfindungen sind es auch. Hinzu kommt der Nimbus-Verlust: Die Tech-Firmen, bislang begehrenswerte Arbeitgeber, wandeln sich zu stinknormalen Hire&Fire-Konzernen. Warten wir mal ab, wann sie über Fachkräftemangel klagen werden.

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft – und Madame Fu! – im Blick!

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“