Mach mit, Kunde!

Kundenbeteiligung in Marketing-Kampagnen ist seit Jahren en vogue. Nun dringt Crowdsourcing auch in andere Bereiche der Wertschöpfung vor. Die Unternehmensöffnung gelingt aber nur, wenn man die Prozesse im Griff hat und zur Veränderung bereit ist.
Junge Unternehmen wachsen in eine Social- und Sharing-Community hinein (© Fotolia 2014)

Jahr für Jahr wird die Ära von Mass Customization ausgerufen. Und tatsächlich zeigen sich immer wieder neue, spannende Versuche, den Kunden in Produktionsprozesse eingreifen zu lassen. Das fängt bei einfachen Konfiguratoren wie zum Beispiel jenem von Nike an: Bei NikeID kann ein Turnschuh personalisiert werden – indem der Nutzer Farbakzente setzt und seine Initialen ergänzt.

Gleichzeitig treten ehrgeizige StartUps beständig mit immer neuen Personalisierungsansätzen an den Markt. Chocri mischt individuelle Schokolade, gleiche mehrere Firmen wie Sontagmorgen.com bieten personalisierte Tee- oder Kaffeemischungen an – Ende 2012 kaufte sich Branchenriese etwa beim Startup MyBeans ein.

Junge Unternehmen werden heute mit genügend Risikokapital ausgestattet um ihre Ansätze gleich fröhlich im TV zu bewerben. Sie profitieren von der Gunst der späten Geburt, weil sie in eine Social- und Sharing-Community hineinwachsen, die es gewohnt ist, Inhalte im Web nicht nur zu konsumieren sondern auch zu erstellen. Und sie nutzen virtuos das Wissen und die Technik, die die Entwicklung des eCommerce hervorgebracht hat. Sie kopieren das Marketing von Zalando, lernen von der Usability von eBay und nutzen dabei skalierbare Technik wie Cloud Computing. Und trotzdem werden in ein paar Jahren nur ein paar davon überleben. „Die Sterberate bei MC-Startups ist vergleichbar mit der bei Startups generell“, weiß Dr. Frank Piller, einer der führenden Köpfe in der MassCustomization-Szene.

Mangelnde Skalierung, fehlender Mehrerlös

Vorbild für die meisten ist natürlich der Platzhirsch MyMuesli. Nur wenige Branchenbeobachter hätten den Passauern vor sechs Jahren ein stabiles Geschäftsmodell unterstellt. Sie wurden eines Besseren belehrt. Im Jahr 2011 machte das Unternehmen einen Bilanz-Gewinn von knapp 1,2 Millionen Euro.

Das Erfolgsgeheimnis der Passauer ist recht simpel. Sie sind nicht dringend auf sehr schnelles Wachstum angewiesen. Sie haben ihr Produkt mitten in der Öko-, Bio- und Gesundheitswelle positioniert und das rechtfertigt einen höheren Preis, der etwa doppelt so hoch ist, wie die Standardmischung im Supermarktregal. Vermutlich könnten auch Branchenriesen wie Kelloggs oder Kölln für fünf Euro pro Packung individuelle Mischungen basteln.

Auch MyMuesli hat sich in der möglichen Marktentwicklung verschätzt, aber nicht so dramatisch wie andere. Man hatte gehofft, es würden sich Bestsellermischungen heraus kristallisieren, die dann vorkonfiguriert und somit kostengünstiger produziert werden könnten. Der angestrebte Mehrgewinn sollte die Individualprodukte quersubventionieren. In der Praxis fand das nicht statt: „Wir haben 100 000 Bestellungen analysiert und nur 42 davon waren identisch“, erläutert Max Wittrock, einer der Gründer. Was hingegen besser funktioniert sind Vorschläge Dritter, also Saisonmischungen oder solche mit prominenten Testimonials.

Die Abfüllung der Müsli-Mischungen läuft weithin automatisiert. Dafür sorgt vor allem eine starke IT. Alle eingehenden Aufträge werden von einer Mischmaschine abgearbeitet, nur die Verpackung geschieht noch von Hand. Die Mischmaschine erhält die Konfigurationsaufträge direkt aus der Bestellsoftware. Im Durchlauf verfolgt eine Software die per Barcode gekennzeichneten Dosen genau und ordnet sie der jeweiligen Versandanschrift zu.

Eine umsatzsteigernde Skalierung der Produktion gelingt eher linear als exponentiell und birgt das Risiko, dass die Kundenaqkuisitionskosten den Gewinn auffressen. Wittrock und seine Kollegen beschreiten daher einen anderen Weg, sie expandieren ihr KnowHow auf neue Produktwelten – aktuell zum Beispiel Tee – und sie dehnen die Produktion in weitere Bereiche der Wertschöpfung aus, zum Beispiel in die Herstellung von Rohstoffen.

StartUp trifft Platzhirsch

Wo genau die Demarkationslinie zwischen Massenfertigung und Handwerk verläuft, lässt sich derzeit hübsch im schwäbischen Waldenbuch beobachten. Dort sitzt einer der Großen in der Schokoladenbranche, nämlich Ritter Sport.

Die Marke gibt sich äußerst kundennah und pflegt den intensiven Dialog über die sozialen Medien. Schon 2010 ließ man die Community eine Blog-Schokolade entwerfen und produzierte diese auch. Cookies & Cream wurde zum schwäbisch-bodenständigen Gewinner gekürt. Dass die Community auch gerne die Döner-Schokolade gesehen hätte – Unterzeile „mit ein bisschen scharf“ – wurde mit einem Schmunzeln ausgesessen.

Im gleichen Jahr stieg man beim Berliner Startup für individuelle Schokolade Chocri ein. Beide Ansätze koexistieren friedlich nebeneinander, haben aber nicht allzu viele Berührungspunkte. „So lange bei unserem Produkt der Anteil an Handarbeit so hoch ist und die Ansprüche unserer Kunden so individuell ausfallen sehe ich hier auf lange Sicht keine Perspektiven“, erläutert Chocri-Marketingleiter Alexander Ertner auf die Frage, ob Ritter auch Mass Customization plane.

Umgekehrt hat Chocri von den Schwaben durchaus profitiert. Eine Dreiviertelmillion floss in neue Produktionstechnik. Der wichtigste KnowHow-Austausch aber fand bei den Themen Marketing und Controlling statt.

Fazit

Die Möglichkeiten der Nutzerpartizipation sind im Zeitalter von Social Media vielfältig und verführerisch. Sie reichen von einfachen Marketing-Mitmachaktionen bis hin zur genaueren Definition ganzer Produkteideen oder gar Geschäftsmodelle. Motorola hat soeben eine Kooperation dem niederländischen Projekt Phonebloks bekannt gegeben, einer Volksinitiative für ein nachhaltig produziertes Smartphone.

Doch nach der guten Idee kommt die tägliche Arbeit und die ist geprägt von einer funktionierenden Technik und von ausgefuchstem Community-Management. Sonst funktioniert Nutzerpartizipation nicht. Seitens der Technik geht es einerseits um eine robuste und skalierbare Produktionstechnik in das sich die Schnittstelle „Individualisierung“ nahtlos integrieren lässt. Zum anderen muss die intensive tägliche Kommunikation mit einer Vielzahl von Kunden durch Social Software unterstützt werden. Die Moderation von Beiträgen, das Auswerten des Feedbacks und die Steuerung von Bewertungen und Votings sind nur drei von einer Fülöle von Aufgaben im Crowdsourcing-Projekt.

Doch auch die beste Technik reicht, nicht, wenn das Thema Crowdsourcing im Unternehmen nicht gelebt wird. Die Abteilungen und die beteiligten Stakeholder müssen an die Idee glauben und authentisch mit den Nutzern kommunizieren, dann erhalten sie zum Dank sehr wertvolle Einsichten in Kundenbedürfnisse und stärken langfristig die Kundenbindung.

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