Lasst uns mehr scheitern

Der Weg zum Erfolg ist mit Misserfolgen gepflastert, meint unsere Kolumnistin. Sie fordert: Wir sollten alle ohne Angst scheitern.
Wie Erfolg und Scheitern zusammenhängt
Die Kolumnistin ist Strategin David+Martin und fordert Werber*innen dazu auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden. (© Markus Burke, Montage: Olaf Heß)

Scheitern ist nicht das Gegenteil von Erfolg, sondern die Schmiede, in der die widerstandsfähigsten und innovativsten Ideen geschliffen werden. 

In unserem Streben nach Erfolg schwingt immer auch die Angst vor dem Scheitern mit – ein unvermeidlicher, aber ungeliebter Begleiter auf dem Weg zur wahren Größe. Oder? Diese vermeintliche Streitbeziehung zwischen Scheitern und Triumph kann nicht nur persönlich lähmend sein, sie bremst auch die Innovationskraft eines Landes. In Deutschland fällt das Fehlen einer Kultur des Scheiterns besonders auf, einer Kultur, die dieses Scheitern eben nicht nur zähneknirschend akzeptiert, sondern es als entscheidenden Meilenstein auf dem Weg zum Erfolg verteidigt. 

Unternehmerinnen brauchen länger zur Gründung

Noch drastischer ist dieses Defizit bei Unternehmerinnen, die immer noch für nur etwa ein Drittel der Neugründungen im Land verantwortlich sind. Die Angst vor dem Scheitern leistet zu dieser Statistik ihren Beitrag, denn sie scheint bei Frauen größer zu sein als bei Männern: Laut KfW-Gründungsmonitor brauchen Gründerinnen signifikant länger von der Idee bis zur Unternehmensgründung. Um den Unternehmergeist und vor allem Frauen zu stärken, müssen wir alle an einer Kultur arbeiten, in der Misserfolge als integraler Bestandteil von Wachstum, Lernen und Erfolg gefeiert werden. 

Denn nicht umsonst sind die Lebensläufe visionärer Unternehmer wie Steve Jobs, Elon Musk und Jeff Bezos nie reine Triumphgeschichten, sondern immer auch Geschichten zahlreicher Misserfolge, die letztlich den Grundstein für späteren Erfolg legten.  

Scheitern ist relativ

„Späterer Erfolg“ – hier stellt sich als eine der spannendsten Fragen heraus, wann überhaupt etwas als gescheitert zu gelten hat. Ich habe mit meinen Studien nicht wie geplant in der Wissenschaft Fuß gefasst, sondern bin über Um- und Abwege als Volkswirtin und politische Philosophin in der Werbung gelandet. Bin ich deshalb gescheitert? Diese Frage lässt sich nur beantworten in Abhängigkeit von dem Zeitpunkt, zu dem ich sie mir gestellt habe.

Ja, es gab einen Moment, in dem es nur das Gefühl des Gescheitertseins gab, weil der Weg danach eben noch nicht gegangen war. Heute bezeichne ich es nur noch liebevoll als Umweg, denn ich bin glücklich dort, wo ich gelandet bin. Ein Lebenslauf ist immer ein Deuten in Scheitern und Erfolg im jeweiligen Moment, und damit letztlich relativ. Das sollte uns alle entspannen. Wir spinnen den roten Faden im Gehen, zu keinem Zeitpunkt haben wir die schlussendliche Deutungshoheit über „späteren Erfolg“ und „Scheitern“.  

Grund genug, Risikobereitschaft und Experimentierfreudigkeit in der Kultur zu verankern und vor allem die Fähigkeit, Rückschläge in Wissen zu verwandeln. Dafür müssen wir uns als Gesellschaft auch mit geschlechtsspezifischen Faktoren auseinandersetzen. Vielleicht schreibe ich dann das nächste Mal über drei Visionärinnen, die auf ihrem unternehmerischen Weg über Misserfolge triumphiert haben. Vorreiterinnen des Scheiterns. Das wäre doch schön.