Kioskterminals steuern die Waren-Anlieferung und –Abholung

Das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) aus Dortmund hat gemeinsam mit dem Logistikexperten SSI Schäfer Noell GmbH aus Giebelstadt für rund 900.000 Euro für die Pilotentwicklung inklusive der Entwicklungskosten einen 10 Meter hohen Paketsilo - Tower 24 - entwickelt, in dem bis zu 600 Paketsendungen gelagert werden können. Der erste Pilot wird im Dezember 2002 im Technologiepark in Dortmund an den Start gehen. Die breite Öffentlichkeit wird den Pilot-Tower ab Anfang Februar 2002 nutzen können.

Analysten sind bislang skeptisch, wenn es um den Lebensmittelhandel im Internet geht. Zwar versuchen und versuchten sich etliche Anbieter auch in Deutschland mit der Auslieferung von bestellten Lebensmitteln aus ihrem Online-Shop. Die Hauptprobleme sind dabei die Logistik, Temperaturprobleme und natürlich auch die hohen Kosten. Solange für die Internethändler eine durchgängige Kühlkette in Deutschland flächendeckend nicht gewährleistet ist, können Frischeprodukte nur in einem begrenztem Radius angeboten werden.

Daher beschränken sich die Internet-Lebensmittel-Angebote meist auch nur auf die Ballungsgebiete und Städte, wenn sie nicht sogar wieder eingestellt worden sind. Das Trockensortiment ist für die Kunden meist nicht besonders attraktiv; so machen in der Regel Frischeprodukte im Lebensmittelhandel aus dem Internet 40 bis 50 Prozent des Umsatzes aus. Der inzwischen eingestellte Le Shop hatte daher von Anfang an seinen Schwerpunkt auf Obst und Gemüse von regionalen Erzeugern gelegt und damit auf die Bedürfnisse ihrer Hauptzielgruppe, Familien mit Kindern, gelegt, deren Bestellvolumen höher ist als der von Singles. Laut Lars Siebel vom Fraunhofer IML hat es sich nämlich als Trugschluss erwiesen, dass das Internet ideal für Singles sei; denn „Singles gehen eher aus und ihre Bestellsummen sind vergleichsweise gering. Lukrativer sind dagegen kleine bis große Familien und Büros.“

Online-Lebensmittelhandel kann profitabel sein
Eine Machbarkeitsstudie hat ergeben, dass trotz der vielen Rückschläge und Pleiten der Online-Lebensmittelhandel unter bestimmten Bedingungen profitabel sein kann. „Die Zeit ist reif“, meint deshalb auch Lars Siebel, wie beispielsweise die britische Supermarktkette Tesco beweist, die aus mittlerweile 300 Geschäften bis zu 90 Prozent der britischen Bevölkerung beliefern kann.
Das Thema Logistik ist eines der Kernprobleme. Es wird allerdings unterschiedlich bewertet. So scheitern nach Helmuth Lüchau, Geschäftsführer des Otto-Supermarktes, „viele Online-Händler, weil sie das Thema Logistik zu sehr in den Vordergrund stellen. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren ist das Marketing, die Logistik ist lösbar. Dennoch tun sich viele Lieferdienste schwer, genügend Kunden zu gewinnen, da sie diese Frage im Vorweg vernachlässigt haben“. Lars Siebel vom Fraunhofer IML macht dagegen für die Misserfolge einiger Online-Händler auch die Logistik verantwortlich. „Viele haben die Logistik-Kosten unterschätzt und zudem viel zu große Ressourcen aufgebaut, die nicht einmal zu 50 Prozent ausgelastet sind“.

Eines der Lösungsmodelle ist das Konzept der Heimzustellung; nach einer Umfrage der Universität Dortmund unter 1.260 Internetnutzern sprach sich die Mehrheit, nämlich 64 Prozent, für die Heimzustellung aus. Um das Hauptproblem der Lieferung bei Abwesenheit des Empfängers zu lösen, gibt es die Boxen der Dortmunder Condelsys oder die Zbox der Zbox.com aus San Francisco, die wie ein Briefkasten an der Haustür des Empfängers installiert werden. Durch einen öffentlichen und einen privaten Code können sie von jedem beliebigen Lieferanten bedient werden. Ist die Box jedoch voll, kann kein weiterer Lieferant seine Ware hinterlegen. Ein Nachteil sämtlicher Heimzustellungssysteme ist, dass keine Empfangsbestätigungen ausgestellt werden. Lieferungen, für die ein Nachweis erforderlich ist, können folglich nicht in den Boxen hinterlegt werden. Der Hauptnachteil ist jedoch, dass die Logistikprozess überhaupt nicht optimiert werden und immer noch ein sehr hoher Aufwand besteht, um die Sendung an die Haustür zu bringen und sich damit die Kostensituation überhaupt nicht reduzieren läßt.

Heimzustellung zu teuer
Eine Alternative zur Heimzustellung sind die etwa 1.200 „Pick Points“ bzw. die Shopping-Box-Schließfächer. Die Kunden werden per SMS oder per E-Mail informiert, wenn eine Ware in einem „Pick Point“ – meist in Tankstellen – hinterlegt worden ist. Das System hat den Vorteil, dass die Lieferanten Zeit und Geld sparen, weil sie nur einen Punkt anfahren müssen, um mehrere Sendungen auszuliefern – mit dem Nachteil, dass der Empfänger etwa 1,50 bis 3 Euro pro Sendung bezahlen muss.
Nach Professor Uwe Clausen vom Fraunhofer IML werden sich die Abholsysteme mit Sicherheit langfristig durchsetzen; denn trotz aller Bequemlichkeits-Vorteile seien die Anschaffungskosten für die Heimzustellungs-Box für die breite Masse einfach zu hoch. Dass die Kunden für die Auslieferung zahlen müssen, ist ein erheblicher Nachteil der Pick-up-Systeme.

Vor diesem Hintergrund entwickelte das Fraunhofer IML ein Konzept für eine dezentrale Pick-up-Stelle, die sowohl den Bedürfnissen des Händlers, des Logistikdienstleisters und besonders den Anforderungen des Endkunden entspricht. Dabei stand auch die Frage, wie der Einzelhandel in den Innenstädten am elektronischen Handel beteiligt werden kann, am Anfang der Konzeption. Am Beispiel der Stadt Dortmund wurden die Bedingungen ermittelt, die einen Vertrieb von Konsumgütern einschließlich frischer Lebensmittel übers Internet erlauben. Im Mittelpunkt stand eine durchgängige Lösung für Handel, Dienstleistung, öffentliche Hand und den privaten Kunden.
So entstand das automatisierte Warenübergabesystem „Tower 24“ – mit 4 m Durchmesser und rund 10 m Gesamthöhe, wobei rund 4 Meter auch unter der Bodenoberfläche realisiert werden können. Der Tower läßt sich in mehrere Temperaturbereiche unterteilen: Normaltemperatur (klimatisiert auf 20 Grad Celsius), einen Frischebereich mit 2 bis 7 Grad Celsius und optional einen Tiefkühlbereich mit -18 Grad Celsius.

Kein Personal erforderlich
Der Tower – ähnlich einer übergroßen Litfasssäule – bietet Platz für bis zu 300 Standardbehälter mit 600×400 mm Grundfläche oder 632 doppelttief gelagerte kleinere Normbehälter mit den Maßen 300×400 mmm. Versorgt werden die ringförmig angeordneten Behälterplätze von einem Zwei-Säulen-Regalbediengerät (RBG), das zentral angeordnet ist und zusammen mit einem Bodendrehtisch arbeitet. Der auf dem RBG eingesetzte Hubwagen verfügt über zwei Hochleistungs-Lastaufnahmemittel auf gleicher Durchmesser-Achse, so dass auch kombinierte Ein- und Auslagerungen in gegenläufiger Richtung gefahren werden können.
Den funktionalen Mittelpunkt und den Nutzwert des Systems bilden die Bündelung der Warenströme in Kundennähe, die Minimierung der Zustellzeiten und damit die erheblichen Kosteneinsparungen pro Warensendung und die kostenfreie Warenabholung durch den Empfänger. Da kein Personal erforderlich ist, können die Betriebskosten auch bei einer 24-Stunden-Verfügbarkeit sehr niedrig gehalten werden. Die durchschnittliche Verweildauer einer Sendung wird gegenüber herkömmlichen Schließsystemen auf die Hälfte bis ein Drittel geschätzt, was zu einer erheblich größeren Umschlagshäufigkeit führt. Durch eine intelligente Kühlung ist der Energieverbrauch minimal und die Wartungskosten werden durch maschinelle Reinigung der Lagerfächer gesenkt.

Der Tower 24 zeichnet sich durch eine einfache Funktionsweise aus, die sowohl den Lieferanten als auch dem Empfänger der Ware eine Reihe von Vorteilen bietet. So lassen sich 100 Sendungen in weniger als 20 Minuten einlagern, wobei der Lieferant bis unmittelbar vor die Einlagerungsstelle vorfahren kann. Vorherrschend ist das „chaotische Lagerprinzip“, wobei das Lagerverwaltungssystem die jeweils günstigsten Freiplätze bestimmt. Nach abgeschlossener Wareneinlagerung kann der Händler Stapel von 10 Leerbehältern aus dem im Tower optional integrierten Pufferbereich für die Mitnahme abrufen. Außerdem wurde berücksichtigt, dass die Behälter regelmäßig gereinigt werden müssen. Kameras registrieren jedes einzelne Paket für den Systemablauf und die Sicherheitskontrolle und lesen zudem bei Bedarf auch die Schrift auf dem Adressaufkleber für die Benachrichtigung des Kunden.

Warenausgabe wie am Geldausgabeautomaten
Die bequeme Handhabung ist auch für den Endkunden eine wesentliche Voraussetzung für den Tower 24 gewesen. Die Kunden erhalten zusammen mit der Benachrichtigung per SMS oder E-Mail ihre PIN übermittelt, wodurch jeder Abholer eindeutig identifiziert ist. Da mehrere Kunden parallel bedient werden können, sind die Wartezeiten auf ein Minimum reduziert worden – Umfragen haben ergeben, dass Kunden eine maximale Bedienzeit von höchstens 3 bis 5 Minuten akzeptieren. Gegenüber herkömmlichen Schließfachanlagen zeichnet sich der Tower 24 durch ein hohes Maß an Sicherheit aus.

Alle Fächer sind vor Vandalismus und Diebstahl geschützt. Kameras nehmen zudem von jedem Paket ein Foto auf. Jeder Tower 24 ist mit drei Selbstbedienungsterminals zur Anmeldung, Warenanlieferung und Warenabholung ausgestattet. „Die Warenausgabe funktioniert“ – laut Lars Siebel – „wie am Geldausgabeautomaten, nur dass aus der geöffneten Klappe kein Geld herauskommt, sondern die bestellten Sendungen. Und der Kunde kann alles auf einmal mitnehmen oder erst einmal eine der eingetroffenen Sendungen – wie es für ihn gerade am günstigsten ist“. Diese Kioskterminals sind dafür von der Polygon GmbH entwickelt worden.

Geeignete Standorte im Voraus zu definieren, war ein weiteres Kriterium. Eng verknüpft ist die Forderung nach problemloser Installation – ob in Gebäuden oder auf freien Plätzen. Mit seinen 4 Meter Durchmessern beansprucht der Tower 24 nur eine Fläche, die vergleichbar ist mit der von zwei nebeneinander liegenden PKW-Parkplätzen. Der erste Tower 24 wird der breiten Öffentlichkeit voraussichtlich ab Februar 2002 zur Verfügung stehen. Es werden rund 5 bis 6 Monate am Piloten Versuche durchgeführt, um Erfahrungen für das Seriensystem sammeln zu können. Ab Mitte des Jahres 2003 werden weitere Tower 24 realisiert werden. Der Gesamtmarkt in Deutschland wird auf etwa 700 Einheiten geschätzt. Das Interesse ist bereits jetzt vor dem Start des ersten Tower 24 sehr hoch: derzeit werden sowohl mit deutschen als auch mit internationalen Interessenten ernsthafte Gespräche geführt.

Weitere Informationen auch über den Fortschritt des Projektes finden Sie unter http://www.tower24.de sowie unter http://www.iml.fhg.de.


Autor: Eckhard Reimann
eingestellt am 17. Dezember 2002