Bye bye Werbetexter? Das halten Kreative von generativer KI

Mit dem Start von ChatGPT ist eine nicht endende Debatte entbrannt. Und inzwischen ist sicher: die gehypte generative künstliche Intelligenz (KI) wird in der Kommunikationsbranche vieles verändern. Acht Meinungen von Kreativen und Entscheider*innen aus der Branche.
ChatGPT soll die Textgenerierung revolutionieren. (© Imago)

Wie schätzen Kreativschaffende und Agenturentscheider*innen die neuen Möglichkeiten durch generative KI ein? Was halten Sie grundsätzlich von Chat GPT? Wird durch die KI die Kreativität von Menschen eher gefördert oder ausgebremst? Bei welchen Aufgaben könnten Sie sich den Einsatz von KI für ihr Business vorstellen? Und ganz wichtig: wo lauern Gefahren?  

„Prompt Creative Director“ sind gefragt

Hallo ChatGPT, bye bye Werbetexter? Noch nicht. In seiner jetzigen Version ist ChatGPT ein leistungsstarkes Werkzeug, um insbesondere im Bereich Content zu unterstützen. Bei guten Prompts können präzise Texte entstehen – von kurz bis lang oder bis hin zu Ideen für Headlines. Dies steigert die Produktivität wie nichts zuvor. Wir haben bereits festgestellt, dass KI unsere Arbeitsabläufe beschleunigt. Auch wenn ChatGPT in vielerlei Hinsicht übermenschlich ist, ist es immer noch KI und als solcher fehlt ihr die emotionale Intelligenz und das originelle Denkvermögen, das Kreative mitbringen. Unsere derzeitige Strategie besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen der Nutzung der Stärken von ChatGPT und dem Einsatz menschlicher Kreativität zu finden. Aber die Technologie entwickelt sich rasant, deshalb wird das Vertrauen in sie schnell zunehmen. Da sich die Technologie jedoch schnell weiterentwickelt, könnte sich unsere Abhängigkeit von ihr noch verstärken. In der Tat sehe ich, dass wir innerhalb der nächsten sechs Monate einen „Prompt Creative Director“ einstellen werden.

Guillaume D. Champeau, Chief Creative Officer bei Tres Bien



Ohne kluges Briefing kein gutes Ergebnis

Schon jetzt wird KI in Kreativprozessen eingesetzt und es ist gar keine Frage, dass viele interessante Anwendungen künftig mehr und mehr zum normalen Arbeitsprozess dazugehören. Umso wichtiger: Das Briefing wird nun zur eigentlichen Kreativleistung. Denn ob wir nun menschliche Mitarbeitende oder eine künstliche Intelligenz briefen: Die richtigen Parameter sind entscheidend für ein gutes Ergebnis und müssen sitzen. Dabei ist nicht zu unterschätzen, dass die Qualität des Ergebnisses zu einem gewissen Anteil auch „auf dem Weg“ und durch die Schritte in Richtung Ziel entsteht: Die Beschäftigung mit einem bestimmten Thema, die Gedanken, die beim geistigen Umkreisen entstehen, fallen durch die Idee auf Knopfdruck einfach weg. Und mit ihr die geistige Auseinandersetzung mit dem Thema und zufällige Ideen. Unser Hirn benötigt aber „Reifezeiten“ für wirklich neue Ideen. Sonst ist die Gefahr zu groß, immer wieder Ähnliches wiederzukäuen, denn das ist ChatGTP ja auch: eine Art digitale Kuh mit riesigem Pansen.

Irmgard Hesse, geschäftsführende Gesellschafterin von Zeichen & Wunder


Bei aller Euphorie ist blindes Vertrauen nicht angebracht

Im News-Dauerloop: ChatGPT. Wir werden Zeugen einer Disruption ungeahnten Ausmaßes. Fasziniert kritisch blicken wir auf eine Entwicklung, die genauso unaufhaltbar ist, wie die Einführung des Smartphones. KI hat ein neues Level erreicht. Das Gute: Fast alle Expertisen finden Zugang zur unterstützenden Intelligenz. Kreativ-Brainstormings allein mit einer künstlichen Intelligenz? Klar. Ebenso SEO-Optimierung, Performance Headlines und Programmierung. Bei aller Euphorie ist blindes Vertrauen jedoch nicht angebracht. Es gilt es die aktuellen Herausforderungen zu berücksichtigen. Etwa der zeitlich begrenzte Datensatz (Aktualität), die Verifizierung von erstellten Inhalten (Echtheit), und vieles mehr muss man sich anschauen. Momentan gilt es zu lernen und auszuprobieren. Und in ein paar Jahren fühlt sich die Nutzung von KI so natürlich an, wie die heutige Nutzung des Smartphones.

Holger Reuss, Director CX bei Oddity


Impuls für großartige Ideen bleibt weiter der Mensch

Eins vorab: Dieses Statement wurde nicht mit ChatGPT geschrieben oder überarbeitet! Auch wenn die Versuchung groß ist, das Tool zu benutzen. Denn ich möchte, dass hinter diesem Zitat zu 100 Prozent mein geistiger Output steht – ohne künstliche Hilfsmittel. Aber zurück zur Frage. Die aus meiner Sicht spannendste Frage für die Zukunft ist, ob eine Kreativ-Leistung, die digitalisiert hergestellt werden kann – also kein handwerkliches Unikat mehr ist – ihren Wert halten kann? Also ihr einzigartiges schöpferisches Momentum. Ich glaube fest daran, dass die ersten Impulse für großartige Ideen und einzigartige Konzepte auch weiterhin von kreativ denkenden Menschen kommen werden (und müssen!). Mit kreativ meine ich, Dinge einzigartig und in einer nie zuvor gesehenen Weise zu kombinieren, um dadurch Probleme zu lösen. KI wird schnell zu einem aus dem (Arbeits)-Alltag nicht weg zu denkenden Tool in diesem Prozess sein. Aber niemals der Funke, der eine Idee zum Brennen bringt. 

Karolina Orawski, Partnerin bei Elevate


KI ist eine Chance, um Prozesse zu beschleunigen

Chat GPT verändert Ablaufprozesse rasend schnell. Ich selbst spüre, wie Rechercheaufgaben, Grundlagenarbeit aber auch erste Planungen in überraschender Präzision ausgespuckt werden. Die Vorschläge reichen zwar noch lange nicht an die von uns avisierte Qualität, sind teils fehlerhaft, streuen immer mal wieder falsche Informationen ein und es bleibt eine offene Frage, welche nächsten Evolutionsstufen KI in kreativen Prozessen überhaupt noch erklimmen kann. Jedoch sind die Ergebnisse schon jetzt schlicht weg gut und können als erste Basis dienen. Was früher mühsam recherchiert und über Google gefunden wurde, sitzt jetzt beim ersten Prompting. Das kann interne Prozesse beschleunigen und die sowieso angespannte Personalsuche im Idealfall entlasten.

Mirco Wüstholz, Co-Founder bei Von Helden und Gestalten


ChatGPT taugt durchaus als Inspirationsquelle

ChatGPT ist hochspannend und überraschend gut. Aber was ich bisher an Arbeitsergebnissen gesehen habe, war aus professioneller Sicht noch nicht sonderlich kreativ. Immerhin: ChatGPT taugt durchaus als Inspirationsquelle. Es ist auch fleißig und schnell. Leider gibt es bei uns kaum Jobs, bei denen Fleiß und Speed genügen. Und das wird sich auch nicht ändern. Wahrscheinlich wird sich aber ChatGPT ändern. Und bald schon belastbare, korrekte Inhalte liefern. Ob ChatGPT aber schöpferische Menschen und ihre Geistesblitze tatsächlich ersetzen kann? Ob es die hohen Anforderungen an Text und Konzeption im Rahmen einer stringenten Markenführung jemals erfüllen wird? Ob es lernen wird, unterschiedliche Zielgruppen zu verstehen und sie treffsicher zu adressieren? Wer weiß. Bis es tatsächlich so weit ist, vertraue ich in dieser Hinsicht lieber weiterhin dem hochkarätigen Textteam unserer Agentur. Erfreue mich an sauber dargestellten Fakten. Und am wirklich kreativen Umgang mit Sprache. Unberechenbar und überraschend.

Anya Bergmann, Creative Director & Head of Content bei Sassenbach Advertising


KI hat viel Potenzial – aber es gibt Risiken, die wir im Auge haben müssen

Künstliche Intelligenz revolutioniert zunehmend die Marketing- und Kreativbranche und ermöglicht es Unternehmen, ihre Zielgruppen effektiver und effizienter zu erreichen. KI-Algorithmen helfen bei der Kundensegmentierung, KI kann große Datenmengen analysieren und Unternehmen wertvolle Einblicke in das Kundenverhalten, Markttrends und Kaufmuster gewähren. Und sie kommt bei der Content-Erstellung zum Einsatz. Allerdings birgt die rasante Entwicklung von KI im Marketing und in der Kreativbranche auch Gefahren. Eine dieser Gefahren ist eine potenzielle Verzerrung von KI-Algorithmen, da sie nur so gut sind wie die Daten, auf denen sie basieren. Außerdem kann KI bei der Erstellung von Inhalten zu einem Verlust an menschlicher Kreativität und Authentizität in Marketing und Werbung führen. Will heißen, KI hat viel Potenzial – aber es gibt Risiken, die wir im Auge haben müssen.

Bernhard Prüger, Head of Global Field Marketing bei Monotype DACH


Kreative werden durch Kreative, die KI nutzen, ersetzt

Sich jetzt die Frage zu stellen, ob sich der Einsatz von KI in der Kreativbranche durchsetzt, ist zu spät. Sie ist nämlich längst da. Und Teil unserer täglichen Arbeit. Die eigentliche Frage, die sich Kreativen wirklich stellt, ist doch: Wird ChatGPT (beziehungsweise der Einsatz von künstlicher Intelligenz) uns Kreative ersetzen? Und die Antwort ist super easy: Ja, das wird sie. Und zwar wird sie Kreative durch Kreative, die KI nutzen, ersetzen. Deshalb geht es im Kern darum, ob ich es zulasse von jemandem ersetzt zu werden, der oder die ChatGPT nutzt. Der größere Teil der Kreativbranche ist sicherlich besser damit beraten, ChatGPT als das zu sehen, was es ist: ein digitales Tool. Ein weiteres Werkzeug, das den eigenen Horizont erweitert und mit dem es sich lohnt, zu experimentieren. Und wie mit jedem anderen Werkzeug muss zuerst der richtige Umgang damit erlernt werden. Erst dann kann man sich ein Bild davon machen, welcher Anwendungszweck für kreative Prozesse der richtige ist. Denn ein Selbstläufer sind die Texte aus ChatGPT sicherlich nicht.

Raoul Ernesto Baumgärtner, Creative Director bei Panama