Billigmode, Mikroplastik, Ausbeutung

In der Modebranche läuft einiges schief. Die Bekleidungstechnikerin und Nachhaltigkeitsaktivistin Thekla Wilkening erklärt im Interview, warum das so ist – und was Unternehmen, aber auch Verbraucher*innen tun können, damit sich etwas ändert.
Thekla Wilkening
Thekla Wilkening ist Nachhaltigkeitsaktivistin und CCO bei der Crowdfungind-Plattform Startnext. (© Denys Karlinsky)

Frau Wilkening, es heißt, die Modeindustrie ­verursache mehr Treibhausgase als internationale Flüge und die Schifffahrt zusammen. Was läuft da eigentlich falsch? 

Es ist zu viel – und es ist zu günstig! Nehmen wir zum Beispiel den Ultrafast-Fashion-Händler Shein: Er bringt mehr als 6000 neue Artikel auf den Markt, jeden Tag. Teilweise sind die Sachen günstiger als ein Coffee to go. Die realen Kosten, also etwa auch ökologische Schäden, die das Unternehmen verursacht, sind in diesen Preisen aber nicht enthalten. Selbst wenn sie mitberechnet würden, wären die Textilien immer noch für alle bezahlbar, aber eben nicht mehr günstiger als eine Tasse Kaffee.

Dazu kommt die Überproduktion: Laut Greenpeace wurden 2020 weltweit etwa 200 Milliarden Kleidungsstücke hergestellt. Das ist so viel! Etwa 60 Prozent davon bestehen aus Polyester, einer Faser aus Erdöl. Sie sind in der Herstellung energieaufwendig, umweltschädlich, nicht biologisch abbaubar, verursachen Mikroplastikabrieb und eignen sich nur bedingt fürs Recycling. Sie sind schlecht für die Umwelt und das Klima.

6000 Teile täglich – das muss erst mal jemand kaufen! Dabei wollen wir doch eigentlich alle nachhaltig und besser leben. Warum ist Billig-Fashion trotzdem so beliebt?

Wir tun nicht das, was wir meinen zu tun. Wir gehen – meist aus falscher Bequemlichkeit – den Weg des geringsten Widerstands. Und das Shoppen von günstiger Kleidung ist so bequem! Wir müssen nicht mal darüber nachdenken, ob wir es überhaupt brauchen, weil es so billig ist. Und: Mode verspricht schnelles Glück. Das kognitiv mit den Umweltbelastungen und Menschenrechtsverletzungen, die sie verursacht, zusammenzubringen, ist gar nicht so leicht. Was helfen würde, wäre, Kaufentscheidungen nicht impulsiv zu treffen, sondern etwas Zeit vergehen zu lassen, um unsere Überzeugungen leichter mit unserem Handeln übereinzubringen. 

Über die Kaufentscheidung schlafen ist das eine – aber was müssen die Unternehmen tun? 

Der Preis wird immer ausschlaggebend für die Kaufentscheidung sein. Das ist ja auch in Ordnung, aber nur, wenn es der reale Preis samt externen Kosten ist. Ich sehe das als geteilte Verantwortung: Die Unternehmen verkaufen, was wir kaufen – und wir können aufhören, Produkte zu kaufen, die nicht fair oder umweltfreundlich produziert wurden. Die Unternehmen haben die Verantwortung, ihren Stakeholdern gegenüber, also auch Kund*innen, transparent zu sein. Das tun sie nicht ausreichend. Also fordert die Bevölkerung ordnungspolitische Maßnahmen wie das Lieferkettengesetz ein und der Staat muss für Transparenz sorgen. Schade eigentlich – das hätten die Unternehmen doch auch alleine schaffen können!

Wie gelingt den Anbietern der Spagat zwischen den Zielgruppen – modeaffinen Teenies und bewussteren Älteren?

Das muss sich nicht ausschließen. Unternehmen könnten ihre Kollektionen etwa für einen Bruchteil des Preises vermieten. Das holt die Modelustigen ab, die schnell mal was Neues wollen, und lässt sich prima mit hochwertiger Kleidung kombinieren. Die einen kaufen sie, die anderen mieten nur. Gerade in Zeiten von Social Media, wo viele ihre Looks nur ein einziges Mal zeigen, bietet sich das doch an.

Viele große Unternehmen werben mit nachhaltigen Angeboten: ob es Bio-Baumwolle von C&A ist, langlebige Maßhemden von H&M oder Secondhand auf Zalando. Sind das wichtige Schritte in Richtung nachhaltige Modebranche – oder geht es um Greenwashing? 

So ein Tanker ändert nicht von heute auf morgen seinen Kurs. Das Prinzip „schnell produzieren – schnell verkaufen“ funktioniert noch viel zu gut. Aber die Grenzen sind überschritten, die Menschen wollen Alternativen. Der Weg dahin ist steinig. Neue Konzepte müssen erdacht, getestet und optimiert werden. Das kostet Zeit und Geld – und daneben glitzert immer wieder die Versuchung mit der schnellen Mode. Da geht es den Konsument*innen wie den Unternehmen: Mehr Haltung wäre angesagt. Die kommt aber nicht von allein.

Was machen diese Unternehmen richtig, was falsch? 

Die Unternehmen sichern sich ihren Wettbewerbsvorteil, indem sie etwas anbieten, was es in dieser Form nur dort gibt. Dafür gibt es zwei Strategien: Differenzierung oder Preis. Wir sehen immer wieder, dass die Strategie, den günstigsten Preis anzubieten, in der Mode zum Erfolg führt. Durch die unendliche Masse an produzierten Textilien ergeben sich auch immer wieder neue Wege, wie Unternehmen die Preise senken können, denn jeder Cent skaliert sofort. Wenn alle Stakeholder aufgrund von Kostensenkungen unter Druck gesetzt werden, machen Unternehmen etwas falsch. Wenn sie durch kluge Produktionsabläufe, gute Absatzprognosen und starke Markenkommunikation überzeugen und Verantwortung in Form von Transparenz übernehmen, dann machen sie es richtig. 

Greenwashing kann alles noch schlimmer machen – denn die Verbraucher*innen kaufen vermeintlich nachhaltig, fühlen sich gut und ändern ihr Verhalten nicht. Sie nennen das in Ihrem Buch das „Bio-Pizza Dilemma“. Wie kommen wir da heraus?

Irreführende Markenkommunikation stört das Bauchgefühl. Im Grunde wissen wir doch alle, dass diese unglaublichen Mengen an Textilien überhaupt nicht nachhaltig produziert werden können. Aus diesem Dilemma helfen uns nur klare Anforderungen an die Kommunikationsabteilungen der Unternehmen. Die Aussagen müssen für Konsument*innen vergleichbar sein, so ähnlich wie die Nährwerttabellen auf Nahrungsmitteln.

Wie könnte – und sollte – die Modebranche in zehn Jahren aussehen?

Ich glaube an den hybriden Kleiderschrank: Darin finden sich gemietete Teile, die ich nur temporär tragen möchte, hochwertige gekaufte Stücke, die ich irgendwann weiterverkaufe, und fair produzierte Lieblingsstücke, die mich langfristig begleiten.

Um der Ultrafast Fashion entgegenzukommen, brauchen wir neue Rahmenbedingungen. Die EU-Textiles-Strategy könnte diese schaffen. Ich schließe mich diesen Zielen an: Alle Textilprodukte, die auf den europäischen Markt gebracht werden, sind langlebig, reparierbar und recycelbar, bestehen zu einem großen Teil aus recycelten Fasern, sind frei von gefährlichen Stoffen und werden unter Berücksichtigung sozialer Rechte und der Umwelt hergestellt. So verliert Fast Fashion seinen falschen Glanz und die Verbraucher*innen profitieren von hochwertigen und erschwinglichen Textilien. Auch profitable Wiederverwendungs- und Reparaturdienste werden zum neuen Standard. Auf diesem Weg wird die Textilbranche wettbewerbsfähig, widerstandsfähig und innovativ. Bis dahin gibt es aber noch viel zu tun.

(jag, Jahrgang 1980) ist freie Autorin und in der Marketingwelt zuhause. Seit ihrem Studium begeistert sie das Thema, denn es steht einfach nie still! Was heute ein Trend ist, kann übermorgen Standard sein – oder wieder weg vom Fenster. Als waschechte Münchnerin ist sie ihrer Heimat natürlich (mit Ausnahmen in Frankreich und Regensburg) treu geblieben: #schönstestadtderwelt!