Heute: Meckern auf mittelhohem Niveau

Die LBBW greift in die Historienkiste, HR-Profis lieben Excel, Otto liebt Lebensläufe - und Kununu und der Zeit Verlag brauchen dringend einen neuen Layoutenden.
Employer Branding bei LBBW und HR - Management
Ob es wirklich eine gute Idee war, die Gründerin der LBBW zum Leben zu erwecken? Unsere Autorin Anja Sturm meint: Nein!  (© LBBW)

Halloween ist vorbei, doch gruselig geht es weiter. Denn heute möchte ich mal ein paar Denkanstöße geben. Als Journalistin muss man ja höllisch aufpassen, dass einem kein X für ein U vorgemacht wird – oder dass man aufgrund der täglichen Flut von Erfolgspressemeldungen nicht den Eindruck bekommt, die HR-Welt sei tipitopi in Ordnung. Auch so manche LinkedIn Bubble gaukelt einem schnell mal vor, dass Employer Branding flächendeckend auf Highflyer-Niveau zelebriert und Mitarbeiterentwicklung ausschließlich mittels „IT at its best“ gemanagt wird. Sie ahnen, worauf ich hinauswill? Genau. Die Wahrheit sieht anders aus. Zwei Beispiele gefällig? Gerne. 

Employer Branding anno Piependeckel 

Fangen wir mit dem plakativeren Beispiel an. Die LBBW, also die Landesbank Baden-Württemberg, sucht händeringend neue, gerne auch jüngere Mitarbeitende. Dafür hat sie laut eigenem Bekunden „nach 200 Jahren unsere Gründerin Katharina Königin von Württemberg zum Leben erweckt“. Die Dame hat 1818 im zarten Alter von 30 Jahren die LBBW gegründet und ist deshalb, so die Annahme der LBBW, bestens geeignet, auch heute noch junge Leute mit ihrem Unternehmergeist anzustecken. Gedacht, getan. 

Mittels Künstlicher Intelligenz wurde ein Avatar der jungen Katharina entwickelt, der nun mit Hochflechtfrisur und Rüschenbluse derer Königin eigenes LinkedIn-Profil schmückt. Intrinsisch betrachtet, also wenn man so richtig dolle stolz auf die Historie der LBBW ist, ist das ganz sicher eine pfiffige Idee. Wir ahnen deshalb auch, dass es keine große Sache war, die Kampagne vom CEO durchwinken zu lassen. Allein: Die Empfängerinnen und Empfänger der Botschaft, zumal die jüngeren, dürften sich von der Dame anno Piependeckel und ihren Ausführungen wenig bis gar nicht beeindrucken lassen.

Auf LinkedIn grüßt Katharina mit folgenden Worten: „Mein Name ist Katharina von Württemberg. Ich bin Königin von Württemberg und habe 1818 die LBBW gegründet. Ja, richtig gelesen: Ich habe eine Bank gegründet. Und eine Universität, ein Gymnasium sowie das Stuttgarter Katharinenhospital. Und als seeeehr erfahrene female Leaderin und Gründerin weiß ich, wie man die Leute zusammenbringt, die wirklich was bewegen wollen.“ 

Verstehen Sie mich nicht falsch, liebe LBBW. Es tut mir im Herzen weh, das hier schreiben zu müssen. Denn Sie haben Katharina tatsächlich mit sehr viel Liebe zum Detail auferstehen lassen. Doch ich fürchte: An der Zielgruppe rasselt Ihre Königin messerscharf vorbei, und die Aufmerksamkeitsspanne der Gen Z dürfte Katharina seeeehr deutlich überziehen. Keine Hook, nirgends. Die Agentur hinter der Kampagne ist übrigens Scholz & Friends. Aber das macht die Sache leider auch nicht besser. 

HR-Management (beinahe noch) mit dem Rechenschieber 

Das zweite Beispiel, wie viel im HR-Management noch im Argen liegt, ist nicht weniger seltsam. Laut einer Studie des FAZ Instituts, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, empfinden 68 Prozent der befragten HR-Managerinnen und -Manager den Arbeitskräftemangel als größte Herausforderung. Auf den Plätzen zwei bis vier folgen Mitarbeiterbindung (54 Prozent), Veränderungsprozesse (27 Prozent) und Skill Management (26 Prozent). So weit, so schlüssig. Nachvollziehbar (und erfreulich) ist auch, dass 69 Prozent in den Kompetenzen ihrer Beschäftigten die wichtigsten Unternehmensressourcen sehen. Umso verblüffender ist, wie unprofessionell mit diesen Kompetenzen umgegangen wird. Denn nur 27 Prozent der HR-Profis erfassen die Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden „nahezu vollständig“. Als Softwarelösung dafür, wenn man es denn Lösung nennen will, nutzen 53 Prozent Standardprogramme wie Excel. Wie man so skillbasiertes Personalmanagement betreiben will, ist mir ehrlicherweise schleierhaft. Da ist es ja schon eine gute Nachricht, dass zumindest niemand mehr einen Rechenschieber nutzt. 

„Das Anschreiben ist toter als tot“ 

Deutlich fortschrittlicher ist da schon Otto unterwegs. Der Handelskonzern rühmte sich kürzlich mit der „Zwei Minuten Bewerbung“ und verzichtet ab sofort nicht nur auf das Anschreiben (das machen die schon „seit Jahren“), sondern nun auch noch auf die bis dato verpflichtenden Antworten auf zwei Motivationsfragen. „Für eine Bewerbung bei Otto reicht ab sofort ein aktueller Lebenslauf“, frohlockt es aus der Pressemeldung. Jennifer Halemba, Head of Recruiting bei Otto, sagt dazu: „Nie zuvor konnten sich Interessierte so leicht bei uns bewerben. Klassische Bewerbungen haben für uns über die Jahre an Relevanz verloren.“ Der Mehrwert dieser Schreiben sei gering, der Aufwand für die Sichtung hingegen riesig. 

Ich weiß, dass heute fast überall jede Sekunde zählt (siehe Hook weiter oben) und ich weiß auch, dass niedrigschwellige Bewerbungsangebote die Zahl der Bewerbungen sicher deutlich erhöhen. Ivan Evdokimov, Project Manager Global Recruiting bei Brenntag, sagte kürzlich auf den Social Recruiting Days in Berlin sogar: „Das Anschreiben ist toter als tot.“ 

Und doch frage ich mich an dieser Stelle dreierlei. Erstens: Ist ein Anschreiben, für jemanden, der den Job frei nach New Work-Erfinder Frithjof Bergmann wirklich wirklich will, tatsächlich zu viel verlangt? Zweitens: Sollte der Zeitaufwand für die Sichtung wirklich als Totschlagargument dienen? Und drittens: Reduziert der starre Fokus auf den Lebenslauf im ersten Bewerbungsschritt die Menschen, die dahinterstecken, nicht allzu sehr auf ein paar Bulletpoints? Ich kann mich jedenfalls noch gut an Zeiten erinnern, in denen HR-Profis mir als Journalistin mit größter Inbrunst der Überzeugung versicherten: „Der Lebenslauf allein sagt gar nichts über einen Menschen aus. Wir schauen uns immer das komplexe Individuum an.“ Oder sehe ich da jetzt irgendwas falsch? 

„Die Zeit“ macht’s möglichst unübersichtlich 

Einen Denkanstoß hab‘ ich noch: Taufrisch erreichte mich am Freitag die Nachricht, dass der Zeit Verlag gemeinsam mit Kununu erstmals eine Top 100-Liste der bei Auszubildenden beliebtesten Unternehmen in Deutschland präsentiert. Und da dachte ich mir: Einmal abgesehen von dem nicht gerade einleuchtenden Namen dieser „Most Wanted Start 2024“-Liste, ist das doch eine tolle News für den Abschluss meiner Kolumne. Doch dann öffnete ich die Liste und war, nett formuliert, etwas erschrocken.

Nicht wegen des Siegers – die Atruvia AG, ein Frankfurter IT-Dienstleister mit über 4000 Mitarbeitenden und einem Kununu Score von 4,95, geht sicher in Ordnung. Erschrocken war ich wegen des Layouts der Liste. Die nämlich sieht aus, als hätte im Briefing gestanden: Bitte ein paar Rockets à la OMR abbilden, es geht hier schließlich um junge Leute, und ansonsten gerne so unübersichtlich wie möglich. Da kann ich nur sagen: Dann vielleicht doch lieber Excel. 

In diesem Sinne: Eine hübsch übersichtliche Woche – und bleiben Sie gut drauf! 

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.