Gut fürs Klima – und die eigene Reputation

Den Anspruch auf Nachhaltigkeit zu ignorieren, kann sich heute kaum noch ein Unternehmen leisten. In der praktischen Umsetzung allerdings gibt es große Unterschiede – von Maßnahmen, die weh tun, bis zum Schmu.
Grün gestrichene Wand
Eine Strategie für Nachhaltigkeit zu haben, ist für Unternehmen unausweichlich geworden. In der Umsetzung gibt es jedoch Schlupflöcher. (© Unsplash/Zachary Keimig)

Es war ein gewaltiger Schritt: Die Familie Chouinard, Eigentümerin der kalifornischen Outdoor-Marke Patagonia, teilte vergangene Woche mit, dass sie sämtliche Firmenanteile dem Planeten Erde überschreibt – „going purpose instead of going public“, wie es in der Pressemitteilung hieß. Die Aktien werden auf einen Trust und eine Non-Profit-Organisation verteilt; Letztere erhält die kompletten Dividenden, bis zu 100 Millionen Dollar jährlich, und investiert sie in den Kampf gegen den Klimawandel.

Das ist nicht nur eine philanthropische Großtat, sondern auch eine radikale Form von Reputationsmarketing. Ohnehin ist die Outdoorbranche für Nachhaltigkeit bis zur Grenze der Selbstschädigung bekannt: Das deutsche Vorzeigeunternehmen Vaude bietet unter der Marke Vaude Rent komplette Campingausrüstungen zur Miete an, der Online-Händler Bergzeit aus Otterfing bei München betreibt seit Juni auch eine eigene Second-Hand-Plattform. Vorbildlich. Oder?

Vince Ebert ist langjährigen Leser*innen der absatzwirtschaft durch Kolumnen bekannt, in denen er etwa den Kapitalismus verteidigte. Jetzt hat der Physiker und Kabarettist ein Buch geschrieben, in dem er mit Öko-Mythen aufräumen will. „Das Potenzial nachhaltigen Konsums wird dramatisch überschätzt“, heißt es darin zum Beispiel. In Werbekampagnen wimmele es vor achtsamen Protagonist*innen – in Wahrheit aber ernährten sich nur 1,6 Prozent der Deutschen vegan, 5,7 Prozent aller gekauften Lebensmittel seien Bio, der Anteil von Elektroautos liege bei 1,2 Prozent. „Ironischerweise kommt kaum ein Unternehmen auf den Gedanken, dass den meisten Konsumenten die Dauerbeschallung von Weltrettung, Klimaneutralität und Nachhaltigkeit auf die Nerven gehen könnte“, schreibt Ebert.

Da schluckt der nachhaltig orientierte Marketer und fragt sich, ob da etwas dran sein kann oder ob der Autor provoziert, um sein Buch zu verkaufen. Vielleicht stimmt ja beides ein bisschen. Und natürlich kommt es, wie stets, auf die Zielgruppe an. Immerhin, selbst auf der derzeit laufenden Wiesn – dem Münchner Oktoberfest – wird heuer vegane Weißwurst serviert. Ein Geschmackstest des Internetportals Munich Start-up fiel, wie in diesem Video zu sehen ist, durchaus zufriedenstellend aus.

Fragwürdige Klimasiegel – doch es gibt Alternativen

Dass Verbraucher*innen gern ein gutes Gewissen kaufen, bestreitet indes auch Autor Ebert nicht: „Wir streben bei unserem Konsumverhalten mehr und mehr danach, auf der ethisch richtigen Seite zu stehen. Ob das Ganze dann wirklich etwas bewirkt, interessiert uns eher weniger.“ Das scheint leider auch auf manche Unternehmen zuzutreffen.

Reporterinnen der Wochenzeitung „Die Zeit“ erwarben kürzlich testweise Siegel, die ihrem Blumen-Start-up Klimaneutralität attestierten. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass es diesen Blumenladen gar nicht gab. Auch sonst wurden die Angaben der falschen Gründerinnen kaum überprüft; Verpflichtungen zur Reduzierung der CO2-Emissionen gab es nicht. Ein Shitstorm brach merkwürdigerweise trotzdem nicht los – lesen Umweltaktivist*innen den Wirtschaftsteil nicht? Zu hoffen bleibt – Stichwort Reputation –, dass der Artikel hinter den Kulissen Wirkung zeigt. Eine Alternative zum reinen Kompensationslabel bietet zum Beispiel die Initiative „Wirtschaft pro Klima“ des Unternehmer-Verbands B.A.U.M.

Will noch schnell jemand seinen Ruf verbessern? Mit dem Claim „Und jetzt alle“, startet am 26. September das von Bund und Ländern initiierte „Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit“, das eine Plattform für alle Umweltbewegten sein will, ausdrücklich auch für Unternehmen. Versprochen werden unter anderem Netzwerktreffen, Aktionswochen und Innovationswettbewerbe. Registrieren kann man sich hier.

Nachhaltigkeitspreis als praktizierte Kreislaufwirtschaft

Und noch ein Termin: An diesem Donnerstag verleiht die Neumarkter Brauerei Lammsbräu ihren jährlichen Preis für Nachhaltigkeit. Das tut sie schon seit 20 Jahren und es ist insofern bemerkenswert, als hier ein echter Öko-Pionier andere fördert: Umweltschutz ist in Neumarkt seit 1977 Unternehmensziel, 1982 gab es das erste Bio-Bier, 2012 den ersten Nachhaltigkeitsbericht. Natürlich hat die Brauerei schon selbst jede Menge Auszeichnungen erhalten, zum Beispiel den Deutschen Umweltpreis 2001. Von dem Preisgeld kaufte Chef Frank Ehrnsperger damals eine Flaschenwaschanlage, die weniger Energie und Wasser verbraucht. Das Geld, das er so sparte, investierte er in den Preis für Nachhaltigkeit. Wenn man so will, eine Form von Kreislaufwirtschaft. Und übrigens auch gut für die Reputation.

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.