Graues Gold: Nachhaltige Ressourcenlogik im Arbeitsmarkt

Unsere Kolumnistin setzt sich mit der Frage auseinander, wie regeneratives Arbeiten nach der Rente aussehen kann. Ein wichtiges Thema, denn von den Rentner*innen wird es in 15 Jahren vier Millionen mehr geben als heute.
Europa Bending blickt mit ihrer Research- und Transformations-Agentur Sturm und Drang auf die Welt im Wandel. (© privat (Montage; Olaf Heß))

Wie stehen Sie zu gebraucht versus neu, zu alt versus jung? Über lange Jahre galt in unserer Konsumkultur das Neue als besser, innovativer, moderner, glitzernder, digitaler und das Alte als kaputt, grau und überholt. Doch nun beobachten wir eine sehr moderne Rückgerichtetheit oder sollte ich sagen eine vorwärtsgerichtete Neuentdeckung des Alten? Denn das Neue benötigt die mittlerweile begrenzten Ressourcen. Und das Neue ist in einer unsicher gewordenen Zeit auch nicht das Bewährte. Das Neue erlebt einen Bedeutungsverlust und die Erfahrung eine Aufwertung.

Arbeitskräfte „upcyceln“

Auch in der Arbeitsorganisation und Rekrutierung zeichnet sich dieses Umdenken ab. Bis 2035 würde sich das Arbeitskräfteangebot ohne Zuwanderung und ohne Steigerung der Erwerbsbeteiligung um sieben Millionen Menschen verringern, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung errechnet. Es scheint: Der Schwund der Arbeitskraft ist die größte Bedrohung für unseren Wohlstand, aber auch für die „Zeitenwende“ und Multitransformation unserer Systeme in eine digital-regenerative Zeit.

Warum nicht von der nachhaltigen Ressourcenlogik für den Arbeitsmarkt lernen? Können wir auch Arbeitskräfte und ihre Erfahrungen „upcyceln“ und ein regeneratives Arbeiten nach der Rente anbieten? Denn es gibt sie, die Arbeitswilligen in diesem Alter, die ihre Rente aufbessern oder Wissen weitergeben wollen. Als „graues Gold“ werden sie von Schleswig-Holsteins Arbeitsminister Claus Ruhe Madsen bezeichnet. Diese „Ressource mit Patina“ wächst sogar, denn von den Rentner*innen wird es in 15 Jahren vier Millionen mehr geben als jetzt. Nun müssen wir diese veredelten Werte neu integrieren und „altersinklusives Arbeiten“ lernen.

Arbeit als unendliches, permanentes Spiel

Regenerative Kulturen halten sich da an die Regel der „infinite games“: Man müsste Arbeit also nicht vom „Exit“ her denken, wie es die investorengetriebene Start-up-Szene propagiert, sondern als „unendliches, permanentes Spiel“ mit einem adaptiven Ansatz über die Lebensphasen und Generationen hinweg. Zum Beispiel ein flexibles Renteneintrittsalter – in Schweden liegt es zwischen 61 und 69 Jahren. Oder auch das Lebensarbeitszeitmodell mit Teilzeit in der Rushhour des Lebens und dafür im Alter eine längere Arbeitszeit.

Für die aktuellen Herausforderungen im Arbeitsmarkt braucht es nicht (nur) mehr attraktive Incentivierungen für die wenigen jungen Fach- und Arbeitskräfte, sondern mehr altersdiverse, lebensphasenorientierte, wertschätzende Arbeitskulturen in den Unternehmen. Auch das ist nachhaltiger Umgang mit knappen Ressourcen.

Europa Bendig ist Co-Geschäftsführerin der Hamburger Research- und Transformations-Agentur Sturm und Drang. Ihr Spezialgebiet ist die Erforschung von kulturellen Codes und Narrativen, die Marken und Portfolios kulturelle Relevanz geben und Kundenbindung schaffen. Aktuell widmet sie sich in Forschung und Vermittlung vor allem den Themen Gesundheit und Nachhaltigkeit.