Gen Alpha: neugierig auf Geschichten

Eiskönigin Elsa, Feuerwehrmann Sam oder die „Paw Patrol“-Hunde wecken Begeisterung. Wie Verlage Marken dabei unterstützen, neue Charaktere für die junge Zielgruppe zu erschaffen.
Kinder wachsen zwar mit digitalen Medien auf, Bücher gehören für die meisten aber nach wie vor dazu. (© Stevie Jean Gallery Stock)

Buch- und Zeitschriftenverlage, die Stoffe für Kinder entwickeln, wissen nur zu gut um die Magie von Geschichten und die Faszination von Wissen. Viele von ihnen unterstützen Marken dabei, die junge Zielgruppe zu erreichen, zum Beispiel der Carlsen Verlag mit seiner Kindermedien-Agentur Carlsen K. „Um zu entscheiden, was wir einem Unternehmen anbieten können, stellen wir zunächst folgende Fragen“, sagt Agenturleiter Guido Neuhaus und zählt auf: „In welcher Branche ist das Unternehmen unterwegs? Und welche Markenbotschaft will es an wen senden?“

Unterschieden wird bei Carlsen K zwischen drei Zielgruppen: Kleinkinder, Kindergarten- und Vorschulkinder sowie Schulkinder bis zwölf Jahre. Sind die grundlegenden Fragen mit dem Unternehmen geklärt, entscheidet Carlsen K, ob eine Zusammenarbeit infrage kommt. „Manche Branchen sind für uns ausgeschlossen, die Tabakindustrie beispielsweise“, sagt Neuhaus. „Und auch wenn die Botschaft, die das Unternehmen vermitteln möchte, nicht kindgerecht ist, lehnen wir das Projekt ab.“ Themen und Botschaft müssen also zur Haltung des Kinderbuchverlags passen. „Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Unternehmen vermitteln möchte, wie wichtig Bienen für unser Ökosystem sind oder warum es auch mal Secondhand-Kleidung sein darf“, sagt Neuhaus.

Die Rolle von Printprodukten

Im Fall einer Zusammenarbeit geht es für Carlsen K im nächsten Schritt um das Ziel des Unternehmens. Zu 80 Prozent besteht das darin, ein Produkt oder das Unternehmen selbst Kindern vorzustellen. „Wir übersetzen dann Komplexes in eine kindgerechte Sprache und präsentieren es in einem spannenden und klar strukturierten Kindersachbuch oder im Rahmen einer fesselnden Geschichte“, sagt der Leiter der Kindermedien-Agentur.

Die Bedeutung der Sprache hebt auch Steffen Volkmer hervor, Senior Editor und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit beim Panini Verlag, der unter anderem Magazine in Lizenz von diversen Markeninhabern entwickelt: „Speziell bei den Jüngeren ist es wichtig, klar und einfach zu erzählen und so die Geschichte verständlich zu machen“, sagt er und ergänzt: „Dann stärkt das Magazin die Marke wesentlich.“ Aber spielen Printprodukte überhaupt noch eine entscheidende Rolle? Sind sie nicht längst abgehängt von digitalen Medien? Laut dem „Kinder Medien Monitor 2021“ ist das nicht der Fall. Der Reichweitenstudie zufolge lesen immerhin 72 Prozent der Kinder zwischen vier und dreizehn Jahren Zeitschriften oder Bücher mindestens mehrmals pro Woche – auf Papier.

Eine Welt rund um die eigene Marke erschaffen

Soll die Markenbotschaft im Rahmen einer Geschichte übermittelt werden, dann ist das passende Storytelling bei der Zielgruppe von tragender Bedeutung. Davon berichtet Jörg Risken, Publishing Director Magazines bei Egmont Ehapa Media, die zu den Herausgebern des Kinder-Medien-Monitors zählt: „Um eine Marke zum Leben zu erwecken, setzen wir auf Basis dessen, was die Marke im Kern ausmacht, unsere Kompetenz ein: das Story­telling.” Dabei spielten je nach Markenpositionierung verschiedene Komponenten eine Rolle: Teamplay, Spannung und ein attraktiver Mix an Charakteren. Letzterer bestehe darin, dass die Held*innen der Geschichte für unterschiedliche Typen stehen, also beispielsweise eine Figur die Draufgängerin verkörpert und eine andere den Technik-Nerd. Solch verschiedene Charaktere böten ein hohes Identifikationspotenzial.

Eine gut geplottete Geschichte kann über sich hinausweisen – und eine ganze Welt erschaffen. So wie die kanadische Erfolgsserie „Paw Patrol“: In Millionen von Kinderzimmern werden die Abenteuer der sechs Retterhunde und ihres zehnjährigen Trainers Ryder mittlerweile nachgespielt und weiterentwickelt. Diese Kraft von Geschichten beeindruckt auch Unternehmen. Einige von ihnen treten mit dem Wunsch an Carlsen K heran, ein Universum rund um die eigenen Produkte zu erschaffen und darin Geschichten zu erzählen. Das Ziel dahinter: Die Marke so aufladen, dass Kinder sich darin auch spielerisch bewegen. Guido Neuhaus führt aus: „Lego ist das beste Beispiel dafür, wie so was funktioniert: Durch die Animationsserie ‚Ninjago‘ wurde aus dem Baustein-Lieferanten der Erschaffer eines Universums, das sich mit den Steinen bauen lässt.“

„Pferde gehen eigentlich immer“

Seit jeher haben Autor*innen Welten erschaffen. Man denke nur an Hogwarts und die Winkelgasse bei „Harry Potter“ oder das Auenland und Mordor bei „Herr der Ringe“. Und sicherlich: Manche Geschichten funktionieren über Generationen. Aber eben längst nicht alle. Wie sollte also heutzutage am besten für die Jüngsten erzählt werden? Von welchen Abenteuern lassen sie sich in den Bann ziehen?

Guido Neuhaus verweist zunächst auf die archetypische Qualität von Geschichten. „Die Struktur selbst ist kaum Trends unterworfen. Und auch bei den Inhalten gibt es ein paar grundlegende Parameter, die gleich bleiben: Seit jeher sind für Kinder Themen relevant wie Freundschaft, Mut und Ausprobieren.“ Trends gibt es aber natürlich dennoch, zum Beispiel beim Setting: „Momentan sind Ritter nicht gerade angesagt, dafür laufen Dino-Geschichten super“, sagt Neuhaus. „Pferde gehen eigentlich immer. Und Einhörner sind schon seit einigen Jahren superbeliebt.“ Neben den Settings gewinnen auch neue Formen an Bedeutung. Mangas beispielsweise sind zunehmend populär. Auf einen grundlegenden Wandel im Erzählen selbst kommt Jörg Risken von Egmont Ehapa Media zu sprechen: „Weibliche Figuren sind inzwischen präsenter und sie treten stärker auf. Ein Beispiel dafür ist die Eisprinzessin Elsa von Disney, die eben auch nicht das klassische Prinzessinnen-Rosa trägt, sondern Blau.“

Fandom soll nachwachsen

Etablierte Marken wie Marvel, DC und das Lustige Taschenbuch (LTB) von Walt Disney wenden sich momentan verstärkt der jungen Zielgruppe zu. Neu in der erfolgreichen LTB-Reihe sind die Young Comics für Sieben- bis Elfjährige, von Marvel gibt es die Marvel Kids für Sechs- bis Zehnjährige, von DC die DC Kids für dieselbe Altersklasse. „Marvel und DC bringen Produkte für Jüngere auf den Markt, damit das Fandom nachwächst. Auf diese Weise stärken sie ihre Marke – die Superheld*innen“, erklärt Steffen Volkmer von Panini. In den Comics für die Jüngeren kann es schon mal vorkommen, dass sich die Superheld*innen gegenseitig Kurznachrichten schreiben. Oder sie tippen welche an ihre Fans. Auch die Abenteuer, die in den Young Comics erzählt werden, spielen verstärkt in der Lebenswelt der Kinder − etwa wenn es um Donald Ducks Erlebnisse auf dem Schulhof geht.

„Die Geschichten lassen sich durch die Schilderung von Alltäglichkeiten stärker in das eigene Leben übertragen als einige Comics der herkömmlichen ,Lustigen Taschenbücher‘, die eher auf Eskapismus setzen“, erklärt Jörg Risken. „Dadurch bieten wir ein höheres Identifikationspotenzial für die Leser*innen.“

Umwelt schützen − eine Herzensangelegenheit

Und wie steht es um Trends bei den Sachthemen? Laut „Kinder Medien Monitor 2021“ ist selbst für die Jüngsten Nachhaltigkeit besonders relevant, und sie möchten dazu einen Beitrag leisten. Das bemerkt auch Risken bei seiner Arbeit: „Wenn wir in unseren Magazinen über Umweltthemen berichten, bekommen wir deutlich mehr Zuschriften der Leser*innen als noch vor einigen Jahren.“ Dennoch würde er bei Weitem nicht jedem Unternehmen dazu raten, diesen Trend aufzugreifen. „Ob wir das empfehlen oder nicht, hängt ganz von der Markenpositionierung ab. Das Thema Nachhaltigkeit muss von der Marke glaubwürdig transportiert werden können, ansonsten ist davon abzuraten.“

Egal ob Sachthema oder Geschichte, eines ändert sich laufend: die Sprache, in der erzählt wird. Im Optimalfall ist sie modern, ohne sich anzubiedern, denn Trendwörter sind häufig im Handumdrehen „Schnee von gestern” und wirken dann völlig überholt. Ob es einer Marke gelingt, die Generation Alpha zu begeistern, hängt also von vielen Faktoren ab: vom Thema über die Geschichte bis hin zu Form und Sprache. Das ist häufig ein langer Weg, doch die Mühe lohnt sich − immerhin lassen sich ganze Universen erschaffen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der April-Printausgabe der absatzwirtschaft.

(cs, Jahrgang 1978) ist freie Autorin bei der absatzwirtschaft. Nach ihrem Studium hat sie als Redakteurin in einem Verlag gearbeitet. Mittlerweile schreibt sie seit vielen Jahren journalistische Texte und Bücher über die unterschiedlichsten Themen – vom ökologischen Fußabdruck über die Eigenschaften von Röntgenlicht bis hin zu Trends im Kids and Family Content Marketing. Sie liebt es, bei ihrer Arbeit immer wieder Neues zu erfahren − und davon zu erzählen.