Gazprom Media – kremlnahes Medienimperium auf Einkaufstour

Die Media Holding des Energieriesen Gazprom ist zum größten russischen Medienkonzern aufgestiegen. Nachdem der Konzern zunächst vor allem Radio- und TV-Kanäle sowie Zeitungen übernahm, erwarb er zuletzt die Mehrheit an der russischen Facebook-Alternative Vkontakte und brachte eine TikTok-Alternative auf den Markt.
Gazprom Media hat mit der "Yappy App" eine Alternative zur chinesischen Kurzvideo-Plattform TikTok auf den Markt gebracht. (© Screenshot absatzwirtschaft)

Von Andreas Rossbach

Aleksander Zharow, der ehemalige Leiter von Roskomnadzor, Russlands staatlicher Medienaufsichtsbehörde, verkörpert gerne den Visionär. Auf einem Innovationskongress Ende letzten Jahres in Moskau sagte der heutige CEO der Gazprom Media Holding: „Das klassische Konzept ‚Content is King‘ wird heute durch ein neues Paradigma ersetzt (…), heute ist der ‚Kunde König‘.“ Kunden hat die 1998 gegründete Gazprom Media mit Hauptsitz in Moskau viele: Nach eigenen Angaben lag die Zahl der Nutzer*innen der russischen YouTube-Alternative RuTube, die seit  Ende 2020 zu 100% in Besitz von Gazprom Media ist, Ende letzten Jahres bei 14,2 Millionen, fast viermal höher als in 2020. Hinzu kommen noch hunderte Millionen Zuschauer*innen der neun TV-Kanäle, etwa NTV, Match TV und TNT, sowie mehrere Millionen Hörerinnen der insgesamt elf Radiomarken, darunter ist überraschenderweise auch der beliebte kremlkritische Sender Echo Moskau.

Seit Ende 2021 gehört nun auch die russische Facebook-Alternative VKontakte mit fast 100 Millionen aktiven Nutzern*innen mehrheitlich zum Medienimperium von Gazprom. Im selben Jahr brachte die Holding mit der „Yappy App“ eine Alternative zur chinesischen Kurzvideo-Plattform TikTok auf den Markt. Zielgruppe der App sollen nach Angaben der Gründer vor allem die Generationen Y und Z sein, also 14-34-Jährige, „die einen aktiven Lebensstil sowie eine Leidenschaft für Selbstverwirklichung haben und denen persönliche Anerkennung und materieller Erfolg wichtig sind“.

Die Entwicklung einer solchen App hatte der Medienkonzern bereits Ende 2020 angekündigt. TikTok selbst zählt neben Twitter, Facebook, Google und Apple zu rund einem Dutzend ausländischer Tech-Unternehmen, denen nach einem neuen Gesetz in Russland Sanktionen drohen, sollten sie dort in naher Zukunft keine Niederlassung eröffnet haben. Einige der Konzerne auf der Liste wurden in der Vergangenheit bereits von der russischen Justiz zu Strafzahlungen verpflichtet.

Klassische und soziale Medien als Machtinstrument

Kurz nachdem Wladimir Putin 2000 an die Macht gekommen war, sicherte sich der Staat – wie schon zu früheren Zeiten – die Medien als Machtinstrument. Besonders anschaulich lässt sich das am Schicksal des ehemals unabhängigen TV-Senders NTW in den Nullerjahren sowie am aktuellen Beispiel von sozialen Netzwerken zeigen.

Beispiel 1: Etwa ein Jahr nach dem Zerfall der Sowjetunion, also 1993, war NTW das Aushängeschild kritischer TV-Berichterstattung und besaß russlandweit hohe Einschaltquoten. Im Jahr 2000 stürmten bewaffnete und maskierte Einheiten die Redaktionsbüros des Senders. Gegen den NTW-Eigentümer, den OIigarchen Wladimir Gussinski, wurden zahlreiche Vorwürfe erhoben – unter anderem der Verstoß gegen das Bankgeheimnis – und wieder fallengelassen, nachdem er seine Anteile am Sender 2001 an die Media Holding des Gasriesen Gazprom verkauft hatte. 2007 erhielt Gazprom Media schließlich 100 Prozent an NTW, daran hat sich bis heute nichts geändert.

Nach der Übernahme durch Gazprom änderte sich die politische Ausrichtung der TV-Redaktion allmählich in Richtung Regierungskonformität. Dutzende Journalisten verließen den Sender aus Protest gegen Zensur und die Einmischung des Staates. Heute ist NTW, empfangbar für mehr als 100 Millionen Russen, neben dem Perwyj Kanal (Erster Kanal) und Rossiya 1, der Fernsehsender mit den landesweit dritthöchsten Einschaltquoten. Diese drei Sender beeinflussen die politische Meinungsbildung in Russland maßgeblich und genießen das Vertrauen der Zuschauer*innen: Die Hälfte aller Russen, so ergab eine aktuelle Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum, vertrauen den Informationen dieser Kanäle.

Auch die russische Facebook-Alternative VKontakte mit fast 100 Millionen aktiven Nutzern*innen gehört mehrheitlich zum Medienimperium von Gazprom. © Screenshot absatzwirtschaft

Beispiel 2: Im Dezember 2021 machte der Tech-Konzern VK Wladimir Kirijenko, den Sohn eines engen Vertrauten Wladimir Putins, zum CEO des wichtigsten Online-Netzwerk des Landes VKontakte. Die Personalie ist nach Einschätzung von kritischen Beobachtern ein weiterer Schritt in den Bestrebungen der Regierung, ihre Kontrolle über die sozialen Netzwerke in Russland auszuweiten. Der Gründer von VKontakte und der im Ausland deutlich bekannteren Messenger-App Telegram, Pawel Durow, hatte Russland 2014 verlassen, nachdem er gezwungen gewesen war, sein Unternehmen VKontakte einem Putin-Vertrauten zu überlassen. Er ist bisher nicht wieder in sein Heimatland zurückgekehrt.

Die russische Regierung weitet unterdessen ihre Kontrollmaßnahmen im Internet weiter aus – und begründet das mit dem Schutz von Minderjährigen und der Bekämpfung des Extremismus. Nach Ansicht von Oppositionellen und NGOs geht es der Regierung jedoch vor allem darum, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Wie weit der Arm des Kremls reicht, zeigt sich auch am Beispiel der Parlamentswahlen im vergangenen September: Noch vor der Abstimmung hatten die US-Konzerne Apple und Google auf Druck der russischen Behörden die ‚Smart Voting‘-App der Opposition rund um den prominenten Kremlkritiker Alexej Nawalny aus ihrem Angebot entfernt.

Echo Moskau – kritische Radiostimme im Hause Gazprom?

Der kritische Radiosender Echo Moskau ging im Jahr 2000 gemeinsam mit dem Fernsehsender NTW mehrheitlich in den Besitz des Gazprom-Konzerns über. Damals glaubten viele, der Sender werde bald geschlossen; doch das ist bis heute nicht geschehen. Echo Moskau spielt sogar weiterhin eine wichtige Rolle im politischen Leben Russlands, da es als für alle Positionen offene Gesprächsplattform gilt. Der Radiosender interviewt oppositionelle Politiker und verbreitet auch solche Stimmen, die in den großen Kanälen nie zu hören sind, wie etwa den Oppositionellen Alexej Nawalny. Es kommen aber auch weniger kritische Stimmen zu Wort, etwa der Journalist Maxim Schewtschenko.

1990 gegründet, ist Echo Moskau der älteste unabhängige Rundfunksender Russlands. Die Gründungsväter Sergej Korsun und Sergej Buntman wollten mit dem Kanal eine „für die UdSSR grundlegend neue Form des Sprechradios ins Leben rufen, die auf den Prinzipien des freien Journalismus gegründet und frei von Propaganda und Gehirnwäsche ist“, heißt es in der damaligen Selbstbeschreibung des Senders.

Heute kann Echo Moskau in mehr als 30 russischen Städten empfangen werden. Auf der Website finden sich viele populäre Radiobeiträge in Video- und Textform und Blogbeiträge. Der Sender erreicht täglich Millionen von Zuhörer*innen in vielen Regionen Russlands und findet sich stets unter den Top 10 der Moskauer Radiostationen wieder. Alexej Wenediktow, seit 1998 Chefredakteur, gilt als Urgestein des kremlkritischen Journalismus. Er bringt die Probleme der unabhängigen Medien in Russland auf den Punkt: „Unter Putin wurden Gesetzesänderungen eingebracht, die die Presse bestrafen. Das Gesetz über den Terrorismus, Medien als ausländische Agenten, der Steuerkodex, das Gesetz über die Werbung, das Gesetz über die Wahlen. Zudem hat die Zahl der ermordeten oder angegriffenen Journalisten zugenommen, die Zahl der aufgeklärten Fälle aber eher nicht.“

In den letzten Jahren ist Echo Moskau aufgrund mehrerer Skandale in Kritik geraten, die die Unabhängigkeit des Mediums seither in Frage stellen. So gab es beispielsweise in Einzelfällen Hinweise auf heikle Inhalte, die laut Aussagen kritischer Beobachter vor ihrer Veröffentlichung mit staatlichen Stellen abgestimmt worden seien. Renommierte Journalisten, unter anderem der Mitgründer Sergej Korsun, haben den Sender daraufhin verlassen. Korsun begründete seinen Schritt mit den Worten: „Der Organismus funktioniert noch, doch das Gehirn ist schon tot.“ Für viele Probleme und Ambivalenzen der russischen Medienlandschaft kann gerade Echo Moskau als exemplarisch gelten.