Exzess als Self-Marketing

Große Stars verdienen häufig nach ihrem Tod noch einmal so richtig Geld. Insofern sind Koks, Alkohol und Medikamente häufig gute Investments in die eigene Karriere. Gesund zu leben ist dagegen für Rocker kontraproduktiv
Vince Ebert

In den 80er-Jahren fand man im Backstage von Rock am Ring mehr illegale Drogen als im Goldenen Dreieck. Heute muss der Konzertveranstalter einen Alnatura-Laden hinter der Bühne aufbauen. Mit Mondwasser, veganischem Tofu, Heilsteinen und einem faradayschen Käfig gegen Elektrosmog. Immer mehr Künstler machen derzeit auf gesund, nachhaltig und ganzheitlich. Das klingt vorbildlich, ist aber gleichzeitig auch ein wenig langweilig, oder? Was uns an vielen Megastars kickt, ist ja gerade der Exzess.

Stars, die sich selbst zerstören

Die konsequente Selbstzerstörung von Amy Winehouse, Kurt Cobain oder Jimi Hendrix übt auch heute noch eine morbide Faszination auf uns aus. Von dem schweren Alkoholiker Dean Martin ist der Satz bekannt: „Man ist nicht betrunken, solange man noch am Boden liegen kann, ohne sich festhalten zu müssen.“ Der Quartalssäufer Harald Juhnke beschrieb den perfekten Tag mit den Worten: „Leicht einen sitzen und keine Termine.“ Und der Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister brachte es wohl am besten auf den Punkt: „Die Leute wollen nicht ihren Nachbarn auf der Bühne sehen, sondern ein Wesen von einem anderen Planeten. Einen Typen, der Dir im normalen Leben nie begegnen würde.“ Rockstar zu sein ist kein Zuckerschlecken. Die Lebenserwartung in dieser Branche ist ähnlich niedrig wie in manchen afrikanischen Bürgerkriegsgebieten. Es klingt makaber – doch rein wirtschaftlich gesehen ist ein früher Drogentod im Showgeschäft durchaus von Vorteil.

Als Michael Jackson 2009 im Alter von nur 50 Jahren an den Folgen einer Narkosemittelvergiftung starb, schossen seine Plattenverkäufe nach oben. In den drei Monaten nach seinem Tod verkaufte er mehr Alben als in den drei Jahren zuvor. Und das bei gleichzeitiger Senkung seiner Lebenshaltungskosten. Auch Ruhm und Ehre sind in diesem Berufszweig umso größer, je früher man ins Gras beißt. Durch seinen Tod wird man buchstäblich unsterblich und muss darüber hinaus auch nicht in der RTL-Chartshow auftreten. Das nämlich ist richtig frustrierend. Da bist Du als renommierter Altrocker auf zahllosen Drogenpartys dem Sensenmann von der Schippe gesprungen, und dann triffst Du in Köln-Ossendorf auf Oliver Geissen und „den Wendler“. Eine gruselige Vorstellung. Dagegen ist „The Walking Dead“ eine rasante Verwechslungskomödie.

Konsequente Vermarktung

Glücklicherweise gibt es noch eine bessere Alternative: Wenn Sie es als Star trotz Koks, Alk und Medikamenten aus unerfindlichen Gründen geschafft haben zu überleben, dann bleibt Ihnen immer noch die konsequente Vermarktung ihrer Nahtoderfahrungen. Sozusagen das „Keith-Richards-Prinzip“. Oder gerade in Deutschland aktuell: Der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, dessen autobiografischer Roman „Panikherz“ ganz oben auf der Bestsellerliste steht. Auf 500 Seiten kokettiert der Autor, wie er sich mit diversen Mittelchen gesundheitlich, familiär und finanziell ruinierte. So schockierend das ist, so clever spielt Stuckrad-Barre auf der „Ja-ich-bin-ein-Wrack-aber-trotzdem-geil“-Klaviatur. Fast erwartet man am Schluss des Buches ein Product-Placement à la „Die zwölf besten Crystal Meth-Rezepte zum Nachkochen – sponsored by Thermomix“! „Lerne von den Besten“ lautet daher meine Devise.

In meinem nächsten Buch geht es darum, wie ich einmal ohne Udo Lindenberg beim Passivrauchen auf dem Schulklo erwischt wurde. Mit den ganzen Drogen, die ich in meinem Leben nicht genommen habe, kann man eine mittelschwere mexikanische Kartellfamilie durchfüttern! Auf 500 verstörenden Seiten werde ich beschreiben, wie ich nie mit dem Aufhören anfangen musste und was dabei alles hätte schiefgehen können. Einen Arbeitstitel gibt’s auch schon: „Süchtig nach Nichtsüchtigsein“. Freunde, das wird richtig kranker Shit!!!