Die Interaktionsmöglichkeiten von Menschen und Marken sind zahlreicher und unmittelbarer geworden. Kunden sind besser informiert als zuvor und kombinieren die verschiedenen Kommunikationskanäle. Wie müssen Marken darauf reagieren?
ANDREAS KIESEWETTER: Die Marke ist Geschichte – die digitale Marke ist Zukunft! Dies ist natürlich eine provokante Äußerung, und sie ist nur zum Teil richtig. Die Marke ist heute das wichtigste Gut und der absolute Mehrwert für die Kommunikation mit Menschen. Ein durchschnittlicher Verbraucher wird am Tag mit etwa 7 000 Markenbotschaften sowie Markenbildern konfrontiert, er kann aber nur zwei bis drei Marken positiv verankern und sie lernen. Der Markt ist nicht mehr der reine einkanalige Massenmarkt. Heute zählt Face-to-Face beziehungsweise People-to-People – unabhängig davon, ob ich im Konsumgüterbereich tätig bin oder in der Investitionsgüterbranche. Kampagnen, Kommunikationskonzepte und auch Marketingpläne müssen crossmedial und über alle Kanäle funktionieren und auch zielgruppengerecht kommuniziert werden. Eine Printanzeige muss mit Mailings, Online-Marketing, Telefonmarketing bis hin zu Events und Social Media-Maßnahmen ergänzt werden. Was bisher an 100 Prozent Mediabudget für Printanzeigen ausgegeben wurde, ist heute ein Mix aus Online-Tools, Print-/Sonderwerbeformen und verschiedenen Marketing-Tools wie Outdoor-Flächen, Viral Marketing, Events, Youtube-Kampagnen und anderes mehr. Die Marke ist im digitalen Zeitalter angekommen und es geht nicht mehr um „wollen“, sondern „müssen“.
Die Verfügungsmacht über die Kommunikationskanäle hat sich mit der massenhaften Nutzung des Internets verändert. Markenbotschaften werden weiterhin durch Werbung verbreitet, aber Unternehmen werden auch selbst zu Publizisten, etwa auf Websites und in Blogs. Worin liegen in diesem Kontext die größten Chancen für die Markenkommunikation? Und hat sich auch die Bedeutung von Fachpublikationen verändert?
KIESEWETTER: Die Markenkommunikation steht vor einer großen Herausforderung: Die Botschaft wird zu Botschaften, der Markt wird zu einzelnen Kundenmärkten. Social Media hat nichts mit dem Budget oder der Technik zu tun. Sondern es stellt sich die Frage: Wie glaubwürdig, authentisch und zeitnah kommuniziere und reagiere ich als Unternehmen, als Marke? Proaktives Marketing und Informationen sind der Schlüssel zum Markt. Facebook, Twitter und Xing sind nur ein kleiner Auszug von vielen Communitys mit hoher Marktdurchdringung und auch mit dementsprechender Marktmacht. Facebook-Fans einer Marke werden zu Botschaftern. Aber: Enttäuschte Fans werden zu Kritikern und sogar Feinden der Marke und können über die Social Media-Plattformen der Marke enormen Schaden zufügen. Ein bisschen Facebook Probieren geht für Marken überhaupt nicht – hier braucht es Fachkompetenz, eine Strategie und Konzepte sowie die volle Beachtung der Unternehmensseite. Die Fachpublikationen müssen sich neu erfinden, denn es reicht nicht mehr, als reines Sprachrohr oder als Plattform der Marken oder des Unternehmens aufzutreten. Richtiger Journalismus, eng verzahnt mit den Communitys sowie einer zeitnahen Informationspolitik, verändert den Markt. Fachpublikationen ohne Social Media oder sonstige Online-Foren und -Medien sind die Dinosaurier der Branchen – und die sind ja bekanntlich ausgestorben.
Ihre Agentur hat das Schweizer Start-up Unternehmen „MySwissChocolate.ch“ sehr erfolgreich beim Markenaufbau unterstützt. Der Schwerpunkt des Kommunikationskonzeptes lag auf Online-Marketing und einer begleitenden Pressekampagne. Wie effizient waren die einzelnen Maßnahmen?
KIESEWETTER: Wie jedes Start-up Unternehmen sind die Budgets knapp und die Leidenschaft der Unternehmer ohne Grenzen. Genau dies war auch die Grundlage des Erfolgs. Social Media war der Erfolgsgarant zum Markt – allein 40 000 Facebook-Fans in einem Jahr sind rekordverdächtig. Und Sie dürfen mir glauben: Bisher wurden alle Facebook-Fans von den zwei Unternehmern rund um die Uhr online betreut – hier war es eindeutig Chefsache. Zwischenzeitlich ist auch noch eine Mitarbeitern für Social Networks eingestellt worden. Weitere Maßnahmen im Online-Marketing waren Bannerschaltungen in den unterschiedlichsten Portalen, hier hatten wir einen bescheidenen Erfolg. Der Bekanntheitsgrad wurde wohl ernorm erhöht, aber der Abverkauf der Onlineprodukte stieg nur marginal. Mailings oder auch Beileger bei Amazon haben wohl Umsatzschübe gebracht, aber das Verhältnis zu den Erträgen zeigt, dass wir dies eher nicht wiederholen sollten. Die Presse- und Medienarbeit (Publikumspresse, Fachzeitschriften, Special Interest, Rundfunk, TV, Online …) war demgegenüber sehr erfolgreich, denn wir hatten tolle Botschaften (Produkte sowie ein Guiness-Weltrekord), wir haben zudem medienwirksame Unternehmer und eine hervorragende Website. Spezielle Veranstaltungen, Pressetermine, Redaktionsbesuche, PR für Print und Online und – ganz wichtig – das „Erleben der Produkte“ über Online-Gutscheine waren super wirksam. Aber was auch ganz wichtig ist für die Nachhaltigkeit der Marke – die Versprechen der Marke müssen stimmen und auch eingehalten werden. Das betrifft die Top-Qualität der Produkte, die Zuverlässigkeit und Schnelligkeit, einen absolut einfach zu handhabenden Webshop, einen überzeugenden Service und die hohe Individualität für die Zielgruppen.
In welchen Bereichen kann generell mit einem geringen Budget eine große Wirkung erzielt werden?
KIESEWETTER: Online-Marketing ist für ein relativ überschaubares Budget äußerst wirkungsvoll, hat eine hohe Streuweite und einen hohen Informationsgehalt. Social Media, aber auch das extrem wichtige Marketinginstrument „Youtube“ werden unser Kommunikationsverhalten in den kommenden Jahren am stärksten beeinflussen und verändern. Dies ist auch die Chance der Neuen, Jungen und der Marken mit knappen Budgets, denn hier sind Leidenschaft, Schnelligkeit und Konsequenz gefragt, und dies hat nichts mit dem Budget zu tun. Wenn man es objektiv sieht – back to the roots – so haben die Global Player in ihren Garagen angefangen. Die Idee und der direkte Kontakt mit dem Markt, besser gesagt: den Menschen sind die Grundlagen der Marken in der Zukunft.
Haben Sie weitere Tipps für Existenzgründer, wo diese auf dem weiten Feld der Kommunikationskanäle mit ihrer werblichen Ansprache beginnen sollten?
KIESEWETTER: Natürlich kann man nicht alle Märkte und Zielgruppen werblich harmonisieren. Ein Business-to-Business-Markt hat im Vergleich zum Business-to-Consumer-Markt andere Instrumente und Marktmechanismen. Social Media, Youtube und auch weitere Dialoginstrumente sind aber übergreifend und unabhängig von Größe und Budget. Besonders Youtube ist die große Chance für kleine Unternehmen und Existenzgründer. Produkte, Prozesse, Anwendungen, Erlebnisse, Slice of Live, Testimonials – all dies kann über die Youtube-Plattform emotional und informativ kommuniziert werden – weltweit verständlich und einsetzbar. In Amerika werben viele Unternehmen und Marken auf ihren Werbemitteln wie Anzeigen, Filmen und Plakaten nicht mehr mit ihrer Website, sondern mit dem Hinweis auf ihre Youtube-Aktivitäten. Keiner erwartet hier Profifilme, es reicht schon der Film, der mit dem Smartphone aufgenommen wurde. Mobile Websites, virales Marketing und Blogs sind ein geringer Invest, erzielen aber enorme Wirkung und Bedeutung. Dies ist die Chance für die Schnellen mit emotionalen Botschaften – kurz gesagt: für die Marken der Zukunft.
Die Fragen stellte Astrid Schäckermann.
Andreas Kiesewetter ist Inhaber und Geschäftsführer der gleichnamigen Markenagentur in Freiburg und Mitglied des dortigen Marketing-Clubs. Er war Marketingleiter bei Tengelmann/Markant, sein weiteres Engagement für Unternehmen und Marken führte ihn zeitweise auch in die USA und nach Fernost. Als Agenturchef arbeitet er vernetzt mit weiteren Markenspezialisten und gibt sein Know-how als Dozent, Referent und Berater weiter.