„Durch den geringeren Programmieraufwand entsteht eine neue kreativere Dynamik“

"Das neue Segment Browser Games muss als eines verstanden werden, das breitere Nutzergruppen begeistert und das für die eigene Community zu nutzen ist", fordern Dr. Martin Fabel und Dr. Florian Dickgreber von der Beratung AT Kearney. Im Gespräch mit absatzwirtschaft-online erklären sie, welches Potenzial das Online Gaming hat und wie nah Gaming an vielen Kerngeschäften ist.

Dr. Florian Dickgreber (im Bild links) und Dr. Martin Fabel (im Bild rechts) sind beide Principal im Bereich Communications / Media bei der Beratung AT Kearney.

Herr Dr. Dickgreber, Herr Dr. Fabel, die Games Convention ist vorbei, und was der Besucher dort schnell lernte ist: Online Gaming ist nicht gleich Online Gaming. Welche Gattungen unterscheiden Sie?

MARTIN FABEL: Aus unserer Sicht sind drei Segmentierungsarten besonders hilfreich, nämlich die Unterscheidung nach Spielzeitlänge, nach Inhalten und nach Programm-Charakteristik. Bei der Spielzeitlänge unterscheidet man nach Einzel-Sessions und persistenten Spielewelten. Inhaltlich reichen heutige online Games von Strategie- und Managementsimulationen über Adventures und Rollenspiele sowie Sport- und Rennspiele bis hin zu Casual- und Social-Games. Hinsichtlich der Programm-Charakteristik sind die Spiele entweder Client-basiert – das heißt vor Spielbeginn muss eine Software installiert werden – oder sie laufen komplett ohne Installation über den Browser.

Ihre Segmentierung spricht für einen schwer zu greifenden und auch zu kommunizierenden Markt.

MARTIN FABEL: Stimmt. Im Ergebnis führt dies zu wahren Wortungetümen wie „Browser based Casual Skill Games“ (zum Beispiel Partypoker), „Browser based MMO Games“ (zum Beispiel Travian, oGame), „Client based MMO Games“ (zum Beispiel Everquest, World of Warcraft) und „Client based Multiplayer Games“ (zum Beispiel Counter Strike, Halo 3).

Im Bereich der sogenannten Browser Games sehen Branchenbeobachter die meiste Dynamik. Gilt das für alle Segmente? Und: Wie gestalten Anbieter in diesem Markt ihre Geschäftsmodelle?

FLORIAN DICKGREBER: Die höchste Dynamik sehen wir bei den Browser-based MMO Games. Im Gegensatz zu den klassischen Client-based MMO Games wie World of Warcraft, die sich an Hardcorespieler richten und dieses Segment auch bereits sehr gut erschlossen haben, wird hier ein Spielersegment angesprochen, das noch sehr viel Potenzial hat. Die Spiele sind für Casual Gamer, die aber beispielsweise eine Game-Vergangenheit haben, einfach zugänglich und einfach spielbar beziehungsweise erlernbar. Der Spieletypus Strategie- und Adventure-Spiele spricht auch dieses Segment besonders an.

Zahlen die Kunden für die Spieldauer?

FLORIAN DICKGREBER: Zunächst einmal arbeiten die Anbieter mit dem Geschäftsmodell Free-to-Play – das heißt, Sie spielen ohne Grundgebühr. Wollen Sie ihren Charakter aber beispielsweise mit besonderen Eigenschaften oder Fähigkeiten ausstatten, müssen Sie diese käuflich erwerben. Zweites Standbein dieses Geschäftsmodells ist die noch junge Online-Werbung – die aber natürlich nicht für jeden Spieletyp geeignet ist.

Können Sie schon Aussagen machen, welche Werbeformen sich hier durchsetzen?

FLORIAN DICKGREBER: Kurzfristig messen wir dem klassischen Display-Advertising im unmittelbaren Umfeld der Browser-Games ein wesentlich größeres Potenzial bei, als dem technisch sehr aufwändigen InGame-Advertising, an das sonst gerne zuerst gedacht wird. Das Wachstum der Browser-based Games und damit die Attraktivität für Werbung wird zudem dadurch getrieben, dass durch verbesserte Technologien auch dynamische Spiele wie Sport- oder Racing-Games möglich werden.

Eine Prognose aus Ihrem Hause geht davon aus, dass Browser Games das Potenzial haben, das gesamte Online-Segment der Konsolen zu kannibalisieren. Was führt Sie zu dieser Einschätzung?

MARTIN FABEL: Die Konsolen sind heute in der Regel mit Internet Browsern ausgestattet. Es ist technologisch nicht einfach – wenn auch nicht unmöglich – Browser-basierte Games nicht zuzulassen. Eine Kannibalisierungsgefahr besteht insofern, als die Konsolenbetreiber selber in ihren Online Stores Spiele vertreiben, die sich an Casual Gamer richten. Dies wird dadurch noch verstärkt, dass Browser-based Games auch vom Arbeitsplatz oder unterwegs spielbar sind – die Konsolenversionen für Casual Gamer aber häufig nicht. Hinzu kommt, dass wir einen Trend zur aufwändigeren Gestaltung von Browser Games sehen, so dass perspektivisch die Grenze zwischen Console Games mit mehreren Hundert Millionen Dollar Entwicklungsaufwand und aufwändigeren Browser Games zumindest für diejenigen Nutzer zunehmend verschwindet, für die dieser Aspekt nicht im Mittelpunkt steht.

Werden sich die „Spielregeln“ des Marktes verändern? Und wenn, wie?

FLORIAN DICKGREBER: Durch den geringeren Programmieraufwand der Browser-based Games entsteht eine neue kreative Dynamik, da auch kleinere Entwicklungshäuser in der Lage sind, solche Spiele zu produzieren. Das kommerzielle Risiko ist deutlich niedriger. Kann eine Community für ein Spiel begeistert werden – und nicht nur für das Spielen, sondern gegebenenfalls auch für die (Weiter-) Entwicklung eines Spieles – so sind plötzlich viel mehr Überraschungserfolge möglich.

Damit entstehen dann für die großen Publisher offenbar auch größere Risiken…

FLORIAN DICKGREBER: Die Publisher haben teilweise die Entwicklung bereits erkannt und aufgegriffen. Die Ansprache der neuen Zielgruppen war auch ein Hauptthema auf der diesjährigen Games Convention. Hinsichtlich des Geschäftsmodells ist aber noch einiges an Umdenken erforderlich. Der Shift zum Free-to-Play Modell macht kontinuierliche Updates und „Sende-Folgen“ der Spiele notwendig, um die Erlöse zu sichern. Damit besteht kein grundsätzliches Risiko für die Publisher, aber sie werden sich in Zukunft noch mehr mit den permanenten kreativen Entwicklungen und der wahrgenommenen Game Experience befassen müssen.

Was müssen andere Branchen wie die Medienindustrie, die Werbebranche und die Telekommunikationsindustrie tun, um sich ihren Anteil am erwarteten Wachstum zu sichern?

MARTIN FABEL: Browser Games richten sich an Casual Gamer – diese müssen auf die Spiele aufmerksam und für die Spiele begeistert werden. Medien und Telekommunikationsindustrie können ihre eigenen Communities nutzen, um Spiele anzubieten – unter eigenem Label und gefeatured. Auf jeden Fall muss das neue Segment Browser Games als eines verstanden werden, das breitere Nutzergruppen begeistert und für das ich die eigene Community nutzen muss. Noch zu wenige Medienhäuser haben erkannt, welches Potenzial das Online Gaming hat und wie nah Gaming an ihrem bisherigen Kerngeschäft ist – nämlich kreativ entwickelte, spannende Geschichten für ihre Kunden erfahrbar zu machen, nur eben mit den elektronischen Mitteln des 21. Jahrhunderts statt mit der Druckerpresse oder dem Sendemast.

Sehen Sie diese Perspektiven auch für die Telekommunikationsindustrie?

MARTIN FABEL: Online Gaming wurde hier bis gestern noch assoziiert mit unprofitablen Tarifen für Datensauger. Heute hingegen spielen immer breitere Bevölkerungsschichten online, und erst Festnetz- wie auch Mobilfunk-Internet Flatrates schaffen den Durchbruch für die rasante Verbreitung. Hier gibt es also technologische und kundenseitige Affinitäten, die als Geschäftspotenzial genutzt werden können. Schließlich muss auch die Werbeindustrie die Möglichkeiten der Browser Games nutzen und sich clevere Formate einfallen lassen, die zu den Spielen – aber nicht zwingend in die Spiele passen. Ein Lernprozess, der sicher noch dauern wird, denn es hat ja auch zwei bis drei Jahre gedauert, bis Werbung nun in Social Networks einzuziehen beginnt – und diese ziehen schon länger große Nutzerschichten an. Das Gespräch führte Irmtrud Munkelt

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