Digitale Barrierefreiheit – ein immerwährender Prozess

Wie eine barrierefreie Webseite im Idealfall aussieht, ist zum Großteil selbsterklärend. Die konkrete Umsetzung ist aber ein aufwendiger Prozess. Dies gilt umso mehr, je komplexer die Thematik ist, die auf einer Webseite vermittelt wird. Als Chefin einer digitalen Markt- und Meinungsforschungsfirma spreche ich hier aus eigener Erfahrung.
Janina Mütze von Civey: "Es ist oft ein schmaler Grat zwischen Verständlichkeit und Korrektheit." (© Civey (Montage: Olaf Heß))

Als Mutter habe ich gelernt, was Barrierefreiheit bedeutet. Die gewohnten Wege ins Büro oder in den Nachbarkiez konnte ich in der Berliner BVG nicht mehr fahren. Der U-Bahnhof vor meiner Haustür hat keinen Aufzug. Wir laufen nun mehrere hundert Meter weiter und fahren Umwege. Das Kleinkind und ich nehmen es sportlich. Unsere Mobilität ist temporär eingeschränkt, bald geht es ohne Kinderwagen. Das Gefühl, nicht mitgedacht worden zu sein, bleibt. Aber das kennen andere Menschen viel besser als ich: Personen, die ihr ganzes Leben mit Einschränkungen gestalten müssen, werden viel zu häufig Zugänge verwehrt.

Aufzüge, Rampen, der richtige Untergrund – das können wir uns alle gut vorstellen. Barrierefreiheit erstreckt sich aber auch in den digitalen Raum. Und wird dort immer wichtiger: In der EU sollen Webseiten bis 2025 verpflichtend eine höhere Barrierefreiheit bieten. Dies stellt für viele Unternehmerinnen und Unternehmer eine Herausforderung dar. Doch es lohnt sich, diese anzugehen.

Wie eine barrierefreie Webseite im Idealfall aussieht, ist meist selbsterklärend: Klare Strukturen und gut zugängliche Informationen, leichte oder einfache Sprache sowie geringe visuelle und auditive Hürden. Die konkrete Umsetzung ist aber ein aufwendiger Prozess. Dies gilt umso mehr, je komplexer die Sachverhalte, Botschaften und Themen sind, die auf einer Webseite vermittelt werden.

Schmaler Grat zwischen Verständlichkeit und Korrektheit

Ich kann hier aus eigener Erfahrung sprechen: Als digitales Markt- und Meinungsforschungsunternehmen bereiten wir unsere Daten möglichst selbsterklärend und leicht verständlich in interaktiven Grafiken auf. Auch unsere Umfragen folgen dem sozialwissenschaftlichen Anspruch, in einfacher Sprache und gleichzeitig korrekt zu sein.

Doch hier liegt bereits die Krux. Es ist oft ein schmaler Grat zwischen Verständlichkeit und Korrektheit. Das erleben wir beispielsweise bei der Darstellung unserer Erhebungsmethode. Diese ist eine Mischung aus klassischer Statistik und künstlicher Intelligenz und daher sehr komplex. Wie erklärt man statistische Modellierungen, bei denen Machine-Learning-Elemente zum Tragen kommen, möglichst verständlich? Auch hier gilt es, einfach zu erklären, aber trotzdem wissenschaftlich korrekt zu bleiben.

Wie lässt sich nun diese Herausforderung lösen, vor der viele Unternehmen stehen? Zunächst muss man jetzt bereit sein, die eigenen Themen in einfacher oder leichter Sprache anzubieten und nicht bis zum Jahr 2025 warten. Nicht zuletzt, um die eigene Reichweite zu vergrößern: Unsere Daten zeigen, dass bereits heute insbesondere Arbeitslose und Nichterwerbstätige im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich oft die Funktion „einfache Sprache“ auf Webseiten nutzen. Zwar ist auch hier der Anteil derjenigen, die auf solche Angebote zurückgreifen, insgesamt nicht sehr hoch. Allerdings liegt dies vermutlich auch an der immer noch geringen Anzahl von Internetseiten, die einen solchen Service überhaupt anbieten.

Alle Kanäle mitdenken

In der Regel ist die Website zudem nicht der einzige Ort, an dem Unternehmen Menschen digital erreichen. Um alle relevanten Zielgruppen zu erreichen, muss man die Kanäle nutzen, auf denen Sie aktiv sind – in der für sie verständlichen Sprache. Neben der Webseite müssen daher auch die sozialen Medien sowie eventuell Podcasts oder Videoformate mitgedacht werden.

Bei der Umstellung der digitalen Kanäle hin zu mehr Barrierefreiheit ist vor allem ein transparenter Prozess wichtig. Idealerweise holt man sich bei der Anpassung regelmäßig Expert*innenwissen von außen ein. Fachfremde können widerspiegeln, ob die Inhalte nun leicht verständlich aufbereitet sind. Je nach Komplexität des Themas können zudem Expert*innen prüfen, ob der Inhalt auch in verständlicher Darstellung noch korrekt ist. So kann man bereits frühzeitig viele Unklarheiten in der Darstellung erkennen und beheben. Aber auch nach der abgeschlossenen Umstellung von Webseite & Co. sollte man sich nicht „verstecken“, sondern immer wieder aktiv Kritik von Nutzer*innen zum Verbesserungspotenzial einholen.

Fest steht: Die Bemühung, komplexe Sachverhalte einfach und verständlich zu erklären, ist ein nie endender Prozess. Denn es wird immer etwas zu verbessern geben. Daher ist es essenziell, die Umstellung auf barrierefreie Webseiten frühzeitig und dauerhaft anzugehen. Wer einmal selbst Barrieren erlebt hat, weiß das zu schätzen.

Janina Mütze (Jahrgang 1990) ist Mitgründerin und Geschäftsführerin von Civey. Sie engagiert sich besonders für die Themen Gründung und Diversität. So ist sie Mitglied im Beirat für Gründungen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und Board Member des Innovationslabs Futury, einer Tochter der Werte-Stiftung. Vor Gründung des Unternehmens hat die studierte Volkswirtin die Interessen der Venture Capital- und Private Equity-Investoren im politischen Berlin u.a. als Referentin der Geschäftsführung vertreten.

Janina Mütze ist Gründerin und Geschäftsführerin von Civey und schreibt in ihrer Kolumne über Markt- und Meinungsforschung. Die Kolumnistin gehörte zu den Marketing-Talenten 2021 der absatzwirtschaft.