Die Zeit der Social-Media-Experimente ist vorbei

„Die meisten deutschen Unternehmen haben verstanden, dass Social Media weit mehr als nur ein weiterer Werbekanal ist. Für die meisten Branchen ist daher die Zeit der Experimente mit Social Media vorbei“, sagt Patrick Wassel. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Fachgruppe Social Media im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) und hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen dieses Gremiums zehn Thesen zur Zukunft dieser Kommunikationskanäle formuliert. Das Thesenpapier zeigt die wichtigsten Veränderungen für die Fachbereiche Marketing, PR, Vertrieb, Kundenservice und Personalmarketing auf. Den Experten zufolge ist für den Entwicklungsprozess eine maßgebliche Professionalisierung in den Unternehmen notwendig, um die die hohe Relevanz und Einflüsse von Social Media auf die Unternehmenskultur und die internen Prozesse anzupassen.

Die Fachgruppe möchte die für die Wirtschaft notwenige Professionalisierung von Social Media maßgeblich mitgestalten und zugleich einen wesentlichen Richtungsindikator aus der Unternehmensperspektive liefern. Laut Wassel müssen die eigentlichen Prozesse rund um Social Media in der gesamten Organisation in den Blick genommen werden. Entsprechend besagt These 1: Social Media etabliert sich als Querschnittsfunktion. Unternehmen bauen ihre eigenen Kompetenzen aus, Dienstleister und Agenturen begleiten diesen Prozess und werden im Anschluss projektweise hinzugezogen. Marketing, PR und die Unternehmenskommunikation bilden die treibenden Kräfte, müssen enger zusammenarbeiten und auch die anderen Fachbereiche wie Kundenservice, Vertrieb und Verkauf, Human Resources und Personalwesen sowie Forschung und Entwicklung stärker in die Kommunikationsarbeit einbeziehen.

These 2: Social Media setzt sich im Employer Branding durch. Die Mehrzahl der deutschen Großunternehmen nutzt Xing, Linkedin, Facebook oder Twitter derzeit noch nicht gezielt, um Online-Recruiting und Talent-Scouting in sozialen Netzwerken zu betreiben. Personalverantwortliche werden dem Thesenpapier zufolge aber noch in diesem Jahr klare Rahmenbedingungen schaffen müssen, wie sich ihr Unternehmen und ihre Mitarbeiter im Personalmarketing einbringen und welche Schritte im Recruiting-Prozess durch Social Media unterstützt oder ganz übernommen werden können. These 3: Social Media findet langsam Einzug in die Produktentwicklung. Hier stehen deutsche Unternehmen nach wie vor noch am Anfang. Einzelne Branchen wie Kosmetik, Genussmittel, Textil oder Touristik haben bereits erste Gehversuche gewagt. Als Beschleuniger in diesem Prozess der Produktentwicklung werden verbesserte Social-Media-Monitoring-Tools helfen, um die Erkenntnisse in die Unternehmensprozesse zu integrieren.

These 4: Social Media verändert klassische CRM-Prozesse. Leadmanagement, Kundenservice, Kundenbindung und Kundenentwicklung gelten als eindeutige Stärken und Potenziale von Social Media. Versicherungen nutzen soziale Netzwerke zur Kontaktanbahnung, Großkonzerne aus dem Bereich der Personenlogistik oder der Telekommunikation haben ihren Service auf Twitter und Facebook etabliert, und selbst die Automobilindustrie nutzt soziale Netzwerke zur Beziehungspflege. Bisher handelt es sich hierbei um Insellösungen, es mangelt an passenden CRM-Systemen und rechtlichen Rahmenbedingungen. These 5: Social Media erfordert zielgruppenspezifische Präsenzen. Im Zuge der Professionalisierung von Social Media Marketing werden Unternehmen in diesem Jahr differenzierter vorgehen und nicht ausschließlich auf eine Präsenz in Facebook setzen. Die Unternehmen werden durch ihre Erfahrungen und den zunehmenden Ergebnisdruck dazu motiviert, ihre Ziele konkreter zu definieren und ihre verschiedenen Online-Präsenzen logisch miteinander zu verknüpfen. Den Ausgangspunkt bildet jedoch immer die zentrale Webseite, in welche soziale Applikationen integriert werden müssen. Über die eigene Präsenz hinaus müssen Marken den Dialog auch auf externen Profilen und Plattformen suchen.

These 6: Social Media braucht einheitliche Kennzahlen. Noch immer wird die Anzahl von Fans, Followern, Retweets oder Likes bei der Diskussion über den Return on Investment (ROI) ins Feld geführt. Der Erfolg von digitaler Kommunikation bemisst sich nach wie vor anhand von bekannten Messgrößen wie Reichweite, Besucher oder Besuchsdauer. Diese haben allerdings nur einen indirekten Zusammenhang mit den wirklichen Geschäftszielen der Unternehmen in Social Media. Die Frage anhand von Kennzahlen in Social Media lautet also nicht, um wie viele Prozentpunkte der Profit gesteigert werden kann, sondern wie sich eine Maßnahme auf die definierten Messgrößen und Ziele einzahlt und wie diese Größen in Social Media messbar sind. Das Jahr 2012 wird durch verstärkte Aufklärung mehr Licht in die diffuse Kennzahlen-Diskussion bringen. So werden Unternehmen, die nach operativen Messgrößen, strategischen Geschäftskennzahlen und Standards suchen, mehr Orientierung erlangen.

These 7: Social Media nimmt weiteren Einfluss auf Werbekampagnen. Kampagnen in Form von zeitlich begrenzten Maßnahmen werden auch weiterhin ihren Platz am Markt behalten. In Social Media müssen sie jedoch komplexer und anspruchsvoller gestaltet und geplant werden. Groß angelegte klassische Maßnahmen werden immer selbstverständlicher zugunsten Online verlagert oder verlängert. Dies erfolgt immer öfter durch den Einsatz von Social Media. Die Geschwindigkeit im Dialog mit den Nutzern wird auch die Kampagnenarbeit beeinflussen und Echtzeit-Komponenten auf Basis von Rückmeldungen werden zunehmen. Relevanz zu erzeugen bedeutet künftig das Engagement der Nutzer auszulösen, das als die strategische Königsdisziplin in der Kampagnenarbeit gilt. These 8: Social Media wertet interne Kommunikation weiter auf. Auch Mitarbeiter wollen in den Dialog mit Kunden, Käufern und Nutzern treten und voneinander lernen. Horizontal steht der Austausch mit Fachkollegen im In- und Ausland im Mittelpunkt, vertikal geht es darum, Nähe zum Vorstand, der Geschäftsführung oder zur Bereichsleitung zu schaffen. Oft haben sich hierzu bereits „Schattennetzwerke“ in Unternehmen gebildet, die als natürlich entstandene Dialogplattformen aber nur wenigen Mitarbeitern zugänglich gemacht werden und fernab interner Richtlinien fungieren. Künftig kommen unternehmenskulturelle Veränderungen in Gang, hierfür bilden Social-Media-Applikationen die Infrastruktur.

These 9: Social Media verändert die Unternehmenskultur. Der offene Rückkanal in sozialen Netzwerken leitet den Kundendialog ein, der von Menschen geführt wird, öffentlich ist und nicht zu einem geplanten Zeitpunkt abbricht. Unternehmen öffnen ihre Organisation und werden insgesamt transparenter, jedoch auch angreifbarer und menschlicher. Diesem Wandel steht sehr oft eine über Jahrzehnte gelernte und verstandene Unternehmenskultur mit ihren gefestigten Prozessen im Weg. Von Freigabeprozessen bis hin zum Krisenmanagement werden sich viele Unternehmen aktuell fragen, was sie intern ändern müssen, bevor es an die Planung der nächsten Social Media Maßnahme geht. These 10: Social Media muss seine Effizienz noch stärker beweisen. Die ROI-Diskussion beschäftigt sich mit den Ergebnissen von Social Media, jedoch muss der Weg dorthin und damit der investierte Aufwand betrachtet werden. Wie hoch sind die „Durchlaufzeiten“ zur Beantwortung einer kritischen Frage der Nutzer? Was muss ein Unternehmen einbringen und was können Nutzer leisten? Welche Standardtools können künftig eingesetzt werden? Die potenziellen Kosten- und Zeiteinsparung aufgrund von Social Media wird Unternehmen und Organisationen auch weit über dieses Jahr hinaus beschäftigen.

www.bvdw.org