Wahlkampf 2017: „Die SPD schaukelt durch hohe Wellen, die Grünen sitzen auf einer Sandbank fest, während die FDP mit einem Schnellboot daherkommt“

Zurzeit befinden wir uns mitten im Wahlkampf. So sollte eine Einschätzung zu den politischen Kampagnen von CDU, SPD, FDP, Grünen und Linken nicht fehlen. Unsere Experten haben ihre Meinung abgegeben und die verschiedenen Kampagnen aber vor allem die Kandidaten für uns eingeordnet.

Auf den ersten Blick haben Marketing- und Wahlkampagne viel gemein: Klarer Anfang und Ende und eine deutliche Zielsetzung. Doch neben Parallelen gibt es klare Unterschiede: Während im Marketing meist die Marke im Mittelpunkt steht, steht bei Wahlkämpfen fast immer eine Person oder Personengruppe im Vordergrund, die eingebettet ist in die Partei. Mitten im Wahlkampf müssen in den nächsten Wochen nicht nur die Kampagnen ziehen, sondern auch die Kandidaten der Parteien topfit sein. Welche Kampagne sticht nun hervor und beeindruckt?

Die „junge, agile“ FDP setzt auf ihren smarten Jungspund

Am auffälligsten ist aktuell die FDP, die mit Lindner – wie ausgewechselt – jung und agil wirkt. Ihre Kampagne baut ganz auf den Parteichef auf. In der Kampagne für die Bundestagswahl posiert FDP-Chef Christian Lindner – gekonnt wie ein Coverboy. Eine zugegebenermaßen rare Gabe in der Politik. Auch damit möchten die Liberalen im Herbst endlich wieder in den Bundestag einziehen. Die Agentur Heimat bekam das FDP-Mandat auf Bundesebene 2014 und hilft nun, die Partei wieder in den Bundestag zu führen. Obwohl die Plakate und Banner optisch wirklich gut gemacht sind, bieten sie doch eine Steilvorlage für alle, die sich gerne über die FDP lustig machen, wie die Grünen mit bissigen Kommentaren via Twitter (mehr dazu lesen Sie hier)Die Berliner Agentur, vor allem bekannt für ihre preisgekrönten Hornbach-Spots, bringt eine neue Ästhetik, einen neuen Sound in die politische Werbung: weg vom Plakativen und Formelhaften früherer Jahre, dafür mehr Authentizität und Spontaneität, wenn auch konstruiert. „Die FDP setzt in der Tat sehr auf Lindner als Spitzenkandidaten. Das passt natürlich im Prinzip nicht zum Wahlsystem, in dem die FDP  den Kanzler sicher nicht stellen wird und natürlich auch grundsätzlich nicht der Kanzler gewählt wird“, erklärt Marcus Maurer, Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs für politische Kommunikation an der Uni Mainz.

Doch um keine internen Konflikte – wie bei der SPD (Schulz, Gabriel, Schröder und Steinbrück) – aufkommen zu lassen, setzt die FDP auf das richtige Pferd. „Die alten Herren der FDP lassen den Jungspund agieren, da sie wissen, dass sie ohne ihn Gefahr laufen, marginalisiert zu werden. Lindner hat somit freie Hand. Er agiert meines Erachtens sehr geschickt und lässt die FDP als ’smarte Wahl‘ erscheinen. Ob sie es wirklich ist, wird sich nach der Wahl zeigen, falls die FDP mitregieren kann“, weiß Markenexperte Karsten Kilian. Lindner ist angriffslustig und strahlt das aus, was man sich aktuell von einer Partei wünscht: Agilität. Doch ist es sinnvoll für einen Wahlkampf eine Person, die kein Kanzlerkandidat ist, in den Mittelpunkt zu rücken? „Christian Lindner verkörpert das Parteiprogramm nahezu perfekt. Das ist nicht ungefährlich, ging aber schon einmal mit Guido Westerwelle gut auf. Zudem ist die FDP aktuell nicht im Bundestag vertreten, weshalb die Partei ein Gesicht braucht – und das ist Herr Lindner. Sollte es die FDP wieder in den Bundestag schaffen, wovon ich ausgehe, gilt es 3-5 neue, junge FDP-Politiker aufzubauen und bekannt zu machen. Aktuell ist es absolut richtig, die Wahlkampagne auf Christian Lindner aufzubauen“, so Kilian.

Soziale Gerechtigkeit und Schulz – damit tut sich die SPD keinen Gefallen

Auch für die SPD sind Profis am Werk: Der Merkel-Herausforderer Martin Schulz vertraut der Agentur KNSK, die bereits 1998 und 2002 für Gerhard Schröder im Einsatz war. Der Versuch, Schulz als neue Marke zu etablieren, schien für kurze Zeit ein Segen für die Partei zu sein, auch weil die Massenmedien eine zeitlang mitgespielt haben. Nun ist Schulz als Kanzlerkandidat auf dem absteigenden Ast. Von der kurzen Euphoriewelle ist nicht mehr viel übrig. „Nach der Nominierung von Schulz als Kanzlerkandidat hat die SPD zunächst versucht, Schulz als eine Art Heilsbringer von Außen oder gar Popstar zu verkaufen, was aber nicht wirklich zur Persönlichkeit des Kandidaten gepasst hat. Deshalb ist die anfängliche Euphorie schnell verflogen“, meint Marcus Maurer. Jetzt setzen Schulz und die SPD auf das Thema Soziale Gerechtigkeit. Doch das Thema scheint in Zeiten des Extremismus und des Terrors nicht stark genug zu sein. Haben die Macher auch das falsche Thema gesetzt? Innere Sicherheit scheint besser bei den Wählern anzukommen. „Bei vielen SPD-Wählern wird der Ansatz “Gerechtigkeit” und das Zurückdrehen der SPD-Agenda 2010 nicht verfangen, da auch vielen SPD-Stammwählern klar ist, dass die Agenda 2010 hart, aber notwendig war – und wir heute alle davon profitieren“, erklärt Kilian. Die Wirtschaft boomt, die Vollbeschäftigung ist – trotz einer Million Flüchtlinge – nah. Da scheint die Gerechtigkeits-Debatte für viele Wähler nicht mehr das wichtigste Thema zu sein. Die SPD steht sich also selbst im Weg. „Die Gewerkschaftsnähe tut ein übriges. Die meisten Zukunftsjobs sind ‚gewerkschaftsfrei'“, so Kilian und da würden die verbliebenen alten Jobs immer weniger. „Daran ändert auch die SPD nichts“.

Bei der CDU bleibt alles beim Alten – bleibt damit auch der Sieg?

Auch in Deutschland hat sich die Politik personalisiert – nicht erst seit Angela Merkel, die im Bundestagswahlkampf 2013 zum zentralen Wahlargument der CDU wurde. Dabei ist es nicht nur Parteitaktik, sondern auch Merkel selbst, die diese Personalisierung vorantreibt. Eine Person lässt sich leichter vermarkten, als ein kompliziertes Reformvorhaben. Kompetenz und Vertrauen lassen sich leichter mit einer Person verbinden, als mit einer Partei. Die CDU setzt also für die kommende Wahl auf den Hochkaräter Jung von Matt, die sich mit Personalisierung bestens auskennen. Die haben Angela Merkel bereits 2001 ins rechte Licht gerückt – damals allerdings für den Autovermieter Sixt und Merkel mit Sturmfrisur. Jung von Matt kann schon einige politische Erfolge nachweisen. Zuletzt für Alexander van der Bellen, österreichischer Bundespräsident. Die Kampagne zur Bundestagswahl sieht Maurer allerdings noch nicht: „Bei der Union sehe ich im Augenblick am wenigsten schon eine Kampagne. Das muss auch gar nicht sein, weil Partei und Kandidatin wieder weit vor der SPD liegen und im Grunde erstmal nur aufpassen müssen, dass sie keine Fehler machen“, weiß er. „Merkel ist zurzeit vor allem außenpolitisch gefragt. Das hilft ihr, weil sie sich hier profilieren kann, ohne Wähler mit innenpolitischen Entscheidungen zu verärgern“. Die CDU könne also mit Angela Merkel im Herbst ohne viel Mühe gewinnen. Kilian: „In schwierigen Zeiten – man denke nur an die Türkei, an Syrien, an Russland und an die USA – wird Verlässlichkeit gewählt – und damit Angela Merkel.“

Die Grünen und die Linken hebeln sich selbst aus

Den Grünen ist ihr Kernthema “Umweltschutz” abhanden gekommen. Für Kilian steht fest, dass die Grünen mittlerweile nur noch mit meist lächerlichen Vorschlägen und Vorschriften – fast schon satirisch – auffallen, statt mit durchdachten Konzepten und Ideen für die Zukunft des Landes, für Europa und die Welt. Einzig durchdachter Plan: Eine Agentur unter dem Namen „Ziemlich beste Antworten (ZBA)“ gründen, speziell für den Bundestagswahlkampf. Kann das helfen? „Mit der aktuellen, etwas angestaubten Doppelspitze kommen die Grünen nicht voran. Eine Person gibt eine Richtung vor. Zwei Personen geben zwei Richtungen vor. Das kann, zumindest langfristig, nichts werden, es sei denn, man findet ein kongeniales Team.“ Aktuell ist ein tragfähiges Zweiergespann bei den Grünen nicht in Sicht, weshalb die Grünen zu Recht Richtung fünf Prozent tendieren. Auch die Linke haben es schwer in diesen Tagen. Sie arbeiten weiterhin mit der Berliner Agenturgemeinschaft Dig Trialon zusammen. Doch obwohl ihre Parteichefin Sahra Wagenknecht zwar smart und gut aussehend ist, ist sie auch zu dogmatisch und somit keine tragfähige Alternative als Koalitionspartner.

Was bleibt am Ende zu sagen? Karsten Kilian fallen die passenden Worte ein: „Die CDU fährt mit Bedacht voraus, die SPD schaukelt durch hohe Wellen hinterher und die Grünen sitzen auf einer Sandbank fest, während die FDP mit hoher Geschwindigkeit auf einem kleinen Schnellboot daher gefahren kommt. Die Linke segelt in weiter Ferne einsam vor sich hin und die AfD als lautstark dahin schunkelnder Partydampfer entfernt sich langsam aber sicher mit Kurs Richtung Klippen.“