Braucht meine Marke einen BeReal-Account?  

BeReal ist anders als andere Plattformen. Ihr Aufbau macht es Marken nicht gerade leicht, dort präsent zu sein. Wie BeReal trotzdem relevant für die Markenkommunikation werden könnte.
BeReal Benachrichtigung auf einem Handy
Zwei Minuten hat man bei BeReal täglich Zeit, um ein neues Bild zu posten. Wobei der Reminder nie zur selben Uhrzeit aufploppt. (© BeReal)

„Authentizität“. Wer sich häufig mit sozialen Netzwerken beschäftigt, kann den Begriff vermutlich kaum noch hören. Quasi alle Influencer*innen behaupten von sich, wahnsinnig authentisch zu sein. Doch mit BeReal ist ein neues Trend-Netzwerk am Start, das es mit Authentizität tatsächlich ernst meint. Filter? Fehlanzeige. Und die schöne heile Welt vortäuschen geht auf BeReal auch nicht. Jeden Tag meldet sich die App einmal zu einer beliebigen Uhrzeit. Dann haben die Nutzenden zwei Minuten Zeit, um das Bild des Tages zu posten. Ist die Zeit vorher abgelaufen, muss man bis zum nächsten Tag warten.

Das heißt: Gestellte Situationen sind nicht drin. Und auch vorbereitete Bilder aus dem Smartphone-Speicher können nicht hochgeladen werden. Die Posts sind so lange sichtbar, bis der Nächste dran wäre – und zwar unabhängig davon, ob man postet oder nicht. Sprich: Es wird kein Archiv angelegt und im Profil gibt es immer maximal ein Foto zu sehen. Oder besser gesagt: Jedes gepostete Foto enthält beide Kameraperspektiven, also Front- und Rückkamera. Nutzende kommen also kaum drum herum, sich selbst zu fotografieren. Und eine letzte Sache ist noch wichtig: Hat man selbst kein Bild hochgeladen, dann sieht man auch die Bilder anderer Nutzender nicht. Bloßes Zuschauen funktioniert also nicht.

Inhaltlich scheint recht klar zu sein, dass BeReal ein Bedürfnis befriedigt: „Es gibt ein wachsendes Verlangen nach echten ungefilterten Inhalten und einer Alternative zur inhaltlichen Instagram- und TikTok-‚Scharade‘“, sagt Gino Mamoli, Managing Partner von OMD Create. Gerade bei der Gen Z werde die Plattform daher zur täglichen Routine werden und weiterwachsen, so der Experte für Social Networks.

Hype-Netzwerke wie BeReal gab es schon häufiger. Doch anders als beim längst wieder in der Bedeutung gesunkenen Vero oder Clubhouse verlief das Wachstum dieses Mal nicht ganz so explosionsartig, aber doch steil. Auf 10 Millionen Nutzende ist BeReal nach eigenen Angaben seit Release im Jahr 2020 gewachsen. Das ist eine ordentliche Zahl, aber kein Vergleich zu den Milliarden-Plattformen Instagram oder Facebook. Vielleicht aber ist gerade diese Wachstumsgeschwindigkeit gesund.

Geschäftsmodell? Unklar

Die wichtigere Frage wird wohl sein, wie die Plattform sich finanzieren will. Das ist noch einigermaßen rätselhaft, zumal BeReal selbst auf Nachfrage nichts dazu mitteilt, wie man eigentlich Geld verdienen will. Werbung dort zu schalten ist bis dato nicht möglich, Nutzungsgebühren fallen auch nicht an. Mit Nutzungsdaten anderweitig Geld zu verdienen, womöglich mit dubiosem Geschäftsmodell, kommt für ein vermeintlich authentisches Netzwerk aber wohl auch nicht infrage. „Ob [die Plattform] mit ihrer ungefilterten ‚No-Ads-Philosophie‘ ein tragfähiges Geschäftsmodell aufbauen kann, wird sich herausstellen. Aber wir denken hier an die werbefreien Anfänge von Pinterest oder TikTok“, sagt Mamoli. Dass das Geschäftsmodell von TikTok funktioniert, wird heute kaum jemand anzweifeln. Gleichzeitig ist Authentizität wohl kein Begriff, der einem bei TikTok sofort in den Kopf kommt. Wie gut der Vergleich also passt, muss BeReal noch beweisen.

Ist BeReal für Marken interessant?

Interessanterweise funktioniert die Eigenvermarktung von BeReal gerade auf fremden Plattformen wie TikTok gut: Dort sieht man häufiger geteilte BeReal-Postings. Aufgrund der speziellen Optik aus Front- und Rückkamera erkennt man die Posts leicht. Dass es nicht lange dauert, bis Instagram diese Funktionalität kopiert, ist dabei mittlerweile schon fast ein gewohntes Kompliment für erfolgreiche Newcomer-Plattformen. Die Ansicht mit beiden Kameras gibt es beim Platzhirsch Instagram insofern mittlerweile auch. Doch um BeReal zu verdrängen, braucht es mehr als die reine Funktionalität: Das Gefühl von Authentizität, der reduzierte Funktionsumfang und das tägliche Ritual von BeReal sind von einer App mit breitem Angebot wie Instagram nicht einfach zu kopieren.

Für Kommunikationsabteilungen stellt sich damit unweigerlich die Frage: Ist eine Präsenz für meine Marke auf BeReal relevant? Einen eigenen Kanal eingerichtet haben bisher nur wenige Unternehmen. Dazu gehört beispielsweise die Marke Elf Cosmetics, die den ersten 150 Follower*innen des Accounts Promo-Codes versprochen hat. Deutsche Marken hingegen sucht man vergeblich. Was nicht zwangsläufig bedeutet, dass es keine gibt. Gut möglich, dass man sie schlicht nicht findet.

Denn Viralität gibt es bei BeReal nicht wirklich. Was wohl wiederum ein Grund ist, warum Unternehmen bis dato vorsichtig sind. Es gibt auf BeReal kein Sharing und der Algorithmus scheint Inhalte nicht aktiv zu pushen. Der Discovery-Bereich zeigt – gefühlt – willkürliche Inhalte an. Likes, Kommentare und Shares sind nicht möglich. Lediglich auf anderen Plattformen könnte man die Posts teilen – die BeReal-Viralität findet also, wenn überhaupt, auf anderen Networks statt. Nicht unbedingt optimale Voraussetzungen für BeReal.

Doch aus Sicht von Mamoli ist eine erfolgreiche Markenkommunikation durchaus möglich: „Grundsätzlich bietet BeReal für mutige Marken die Möglichkeit einer ungefilterten Kommunikation, die durch die ‚BeReal-Mechanik‘ durchaus auch persönlicher wahrgenommen werden kann.“ Dazu aber braucht es eine neue Strategie. Höher, schneller, weiter habe auf BeReal ausgedient. „Aus unserer Sicht sollten Kanäle aufgebaut werden, die Inhalte zeigen, die sonst nicht zu sehen sind. Inhalte müssen mit ihrer Einfachheit und Banalität überraschen.“ Das könne zum Beispiel ein Blick in den Maschinenraum sein. Wichtig wird es sein, die Persönlichkeit der Marke zu treffen und zu kommunizieren. „Ein Prozess, der funktionieren könnte, wäre, Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, ihre tägliche Arbeit zu zeigen: Was geschieht gerade in der Produktion, bei einem Event, in einem Meeting? BeReal-Channel-Takeovers von realen Personen im Unternehmen“, so der Manager von OMD Create.

Praktisches Problem im Alltag

Natürlich zeigt sich dann noch ein praktisches Problem: Weil das Zeitfenster für das Posting eng ist, müssen diejenigen, die Markenaccounts verwalten, stets auf Abruf sein. Auch in der Pause oder nach Feierabend müsste ein Post gemacht werden können – oder der Account bleibt für den Tag eben stumm. Das heißt: Eigentlich müsste man das Posting ein Stück weit vorbereiten. Was der Logik der Plattform jedoch widerspricht. An diesem Punkt zeigt sich deutlich: Originär für Markenaccounts gemacht ist BeReal nicht. Aber Chancen gibt es eben doch – gerade als BeReal-Pionier in der frühen Phase des Netzwerks. Der Invest jedenfalls dürfte nicht besonders hoch sein: Gerade aufwendigen Content goutiert die BeReal-Community scheinbar wenig. Ein Must-have ist der eigene BeReal-Kanal für die meisten Marken aber wohl nicht. Zumindest noch nicht.

(fms, Jahrgang 1993) ist UX-Berater, Medien- und Wirtschaftsjournalist und Medien-Junkie. Er arbeitet als Content-Stratege für den Public Sector bei der Digitalagentur Digitas Pixelpark. Als freier Autor schreibt er über Medien und Marken und sehr unregelmäßig auch in seinem Blog weicher-tobak.de. Er hat Wirtschafts- und Technikjournalismus studiert, seinen dualen Bachelor im Verlag der F.A.Z. absolviert und seit mindestens 2011 keine 20-Uhr-Tagesschau verpasst.