Berlin macht’s vor: Wie Seilbahnen Städter beflügeln sollen

Als erste deutsche Stadt bindet Berlin eine Seilbahn komplett in den öffentlichen Nahverkehr ein. In vielen Städten gibt es solche Überlegungen. Denn am Boden ist es eng geworden.
Seilbahn in Berlin-Marzahn: Große Städte überlegen, ob die hängenden Kabinen Verkehrsprobleme am Boden lösen können. (© Imago)

In Mexiko-Stadt ist das völlig normal, auch in Bogota und La Paz findet keiner was dabei: mit der Seilbahn von A nach B zu kommen, hoch über den Dächern. Fahren bald auch in deutschen Städten die Menschen so zur Arbeit, über Häuser und Staus hinweg zum Einkaufen und zur Schule? Berlin will als erste Stadt bundesweit eine Seilbahn komplett in den öffentlichen Nahverkehr integrieren. Die Hauptstadt ist nicht allein: Eine Reihe von Städten überlegt, einen Teil des Verkehrs an Drahtseilen in die Luft zu verlagern.

Wer Seilbahnen bisher nur aus dem Urlaub in den Bergen kannte, kann damit vielleicht mancherorts eines Tages auch zur Arbeit gondeln. Was es in Deutschland bislang hauptsächlich als Besucher-Attraktion für Gartenschauen gab, rückt in den Fokus der Verkehrsplaner.

Seilbahnen sollen Verkehrsprobleme lösen

Ob Bonn, Stuttgart, Köln, Düsseldorf oder München – große Städte überlegen, ob die hängenden Kabinen Verkehrsprobleme am Boden lösen können. Im Netz gibt es Begeisterung. „Weg mit den Flugtaxis für den Jet-Set, her mit den Gondeln für das Volk“, jubelt ein Kolumnist. „Geil, geiler, Seilbahn.“ Aber es gibt natürlich auch Spötter.

Für die Menschen in einigen Großstädten Südamerikas ist Seilbahn fahren jedoch völlig normal. La Paz etwa hat insgesamt 27 Kilometer Seilbahn, das dichteste Netz der Welt. Boliviens Hauptstadt hat bis zu 1000 Meter Höhenunterschied zu überwinden – Berlin hat den Kienberg. Das ist eine Anhöhe aufgestockt mit Kriegstrümmern und Bauschutt, gut 100 Meter hoch. In Berlin heißt so etwas Berg. Hier, in Marzahn am Ostrand der Stadt, fährt die Seilbahn.

Wer die U5 verlässt, braucht nur ein paar Schritte zur Seilbahnstation, durch die 64 Gondeln gleiten. Oben angekommen wird hinter Plattenbauten die Sonne sichtbar, die sich in der Kugel des Fernsehturms spiegelt. Zu Füßen liegt der Kienbergpark mit den Gärten der Welt, ein beliebtes Ausflugsziel. Aus Anlass einer Gartenausstellung 2017 wurde die Seilbahn gebaut.

Doch wer den Berg zur anderen Seite hinabfährt, findet sich an einer vierspurigen Straße wieder. Die Seilbahnfahrt ist bislang ein Selbstzweck, eine Besucherattraktion. Auf dem Weg durch die Stadt kommt damit niemand schneller zum Ziel. Dennoch: Die rot-grün-rote Koalition hat beschlossen, dass man sie künftig mit dem normalen ÖPNV-Ticket nutzen kann. Sie setzt damit ein Zeichen.

Weitere Seilbahnen bis 2023 in der Prüfung

Eine Studie soll nun bis 2023 zeigen, ob weitere Seilbahnen den Nahverkehr sinnvoll ergänzen können. Die Antwort kann natürlich auch „Nein“ lauten. Doch die Diskussion über Seilbahnen, sie beschäftigt die Hauptstadt schon lange. Wer würde nicht gerne einfach über den täglichen Stau hinwegschweben? Und das ganz ohne Fahrplan?

Im Frühjahr kursierten Vorschläge, fünf Seilbahnstrecken zu prüfen. Besucher könnten an den Hochhäusern des Potsdamer Platzes vorbeigondeln, oder über das frühere Tempelhofer Flugfeld, jene riesige Wiese mitten in der Stadt. Oder über den Wannsee.

München will zum Lebensraum mit besserer Luft

Konkreter schon denkt München über eine mehrere Kilometer lange Seilbahn im Norden der Stadt nach, Bonn erwägt eine Überquerung des Rheins. „Zurück von der autogerechten Stadt hin zu einem Lebensraum mit besserer Luft und weniger Lärm“, heißt es in der Bundesstadt.

Auch der Bund kann dem Verkehrsmittel etwas abgewinnen. „Klimafreundlich, preiswert, zuverlässig“, so die wichtigste Attribute. Außerdem seien Seilbahnen schnell zu verwirklichen. „Sie können Lücken im ÖPNV schließen, Busverkehre ersetzen oder den ländlichen Raum anbinden.“ Auch das Bundesministerium lässt eine Studie erarbeiten.

Städte müssten die Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen

„Eine Seilbahn allein ist nicht die Lösung aller Verkehrsprobleme“, dämpft das Haus aber die Begeisterung. Als Stetigförderer könne die Seilbahn nicht große Massen in kurzer Zeit von A nach B bringen. „Unsere Frage ist vielmehr: Wann kann eine Seilbahn eine sinnvolle Ergänzung zum ÖPNV sein? Wo kann sie ihre spezifischen Stärken ausspielen?“ Städte müssten die Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen.

Studienautor Sebastian Beck vom Beratungsunternehmen Drees & Sommer meint, der ÖPNV der großen Städte sei zwar gut organisiert, stoße aber an seine Grenzen. „Bei der Seilbahn geht es darum, Lücken zu schließen, zu entlasten, zu verlängern, zu überbrücken.“

So sehen es auch die Nahverkehrsbetriebe in Deutschland. „Man kann Seilbahnen schnell bauen, sie brauchen wenig Platz und liefern permanenten Verkehr“, sagt Lars Wagner, Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. Wichtig sei jedoch, dass der verkehrliche Nutzen stimme – auch weil dann eine Förderung durch den Bund möglich werde. Seilbahnen wurden erst letztes Jahr in das entsprechende Gesetz aufgenommen. Es bleibe aber eine Hürde: „Sie bekommen von denen, die an der Strecke wohnen, wenig Beifall.“

Seilbahn-Plan in Hamburg gescheitert

In Hamburg etwa ist ein Seilbahn-Plan schon vor Jahren gescheitert. Bürger lehnten die Bahn von St. Pauli über die Elbe und auf die andere Hafenseite in einem Entscheid ab. Gegner sorgten sich unter anderem um das Stadtbild.

Aus der Studie für das Bundesverkehrsministerium soll daher auch ein Leitfaden hervorgehen, wie Städte Seilbahnprojekte am besten anschieben. „Bei allen Infrastruktur-Projekten ist eine frühzeitige offene und transparente Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern nötig“, meint Beck.

Von Burkhard Fraune, dpa