Alles Tesla oder was? Markenstrategien für E-Mobilität

Um sich im zukunftsträchtigen Markt der Elektromobilität vom Platzhirschen Tesla abzuheben, sollten sich etablierte Automarken durch ihre gewachsenen Gene differenzieren. Veränderte Verkaufsstrategien, aktive Erlebnisprobefahrten und kalkulierbare Flatrates tun ein Übriges dazu.
Tesla ist auch bei deutschen E-Auto-Käufern die Nummer 1. (© Alex Iby / Unsplash)

Wir erleben im Automobilmarkt eine historische und gleichzeitig paradoxe Entwicklung: Zum einen treibt eine seit Juli nochmals aufgestockte Kaufprämie gepaart mit steuerlichen Vergünstigungen und einem zunehmenden Bedürfnis nach emissionsfreier Mobilität den Anteil von Elektro- und Hybridautos in Deutschland an den Neuzulassungen im ersten Halbjahr 2020 auf rekordverdächtige 17 Prozent! Paradoxerweise profitieren die etablierten Automarken aber kaum von dieser Verdoppelung der Elektroauto-Neuzulassungen, sondern vor allem der kalifornische Quereinsteiger Tesla.

Dazu passend beobachten wir eine paradoxe Explosion der Marktkapitalisierung von Tesla auf aktuell nicht für möglich gehaltene 220 Milliarden Dollar. Der Quereinsteiger aus Kalifornien lässt damit Toyota als bislang wertvollste Automarke der Welt deutlich hinter sich. Zum Vergleich: Tesla lieferte 2019 weltweit knapp 400.000 Fahrzeuge aus, Toyota zehn Millionen. Und die Deutschen? BMW, Daimler und Volkswagen kommen zusammen gerade mal auf einen Börsenwert von rund 112 Milliarden Dollar. Wenn an der Börse die Zukunft gehandelt wird, stellt sich die Frage, inwieweit es etablierten Automarken gelingt, aus ihrer Historie heraus Perspektiven für das Zeitalter emissionsfreier Mobilität zu entwickeln.

Für die etablierten Automarken ernüchternd ist auch das Ergebnis aus unserer aktuellen Studie zu den Marktpotenzialen von Elektromobilität, wonach Tesla als aus Sicht der deutschen Autokäufer führende Elektroautomarke auf stattliche 67 Prozent zulegt. Mit deutlichem Abstand dahinter folgen etablierte Player wie BMW (23 Prozent), VW (19 Prozent), Toyota (18 Prozent) und Audi mit 16 Prozent.

Quelle: puls Marktforschung / Elektromobilität Juni 2020

Mit anderen Worten: Tesla besetzt fast uneinholbar in den Köpfen der Autokäufer die Kategorie der Elektromobilität. Dies kann schon deshalb als strategische Schwäche nicht hingenommen werden, weil Charakteristika wie jung, urban, gebildet, online-affin, Vielfahrer und hohe Preisbereitschaft zeigen, wie lukrativ Elektroauto-Interessenten als Kunden sind.

Etablierte Marken sollten gewachsene Kompetenzen zur Differenzierung nutzen

Wenn sich Tesla einen Logenplatz in den Köpfen der Kunden als Nr. 1 für Elektromobilität erkämpft hat, stehen etablierte Automarken vor der Herausforderung, sich in diesem Zukunftsmarkt zu differenzieren. Eine Möglichkeit dazu besteht darin, gewachsene Kompetenzen und Positionierungen als stabile Differenzierungsmerkmale zu nutzen. Dazu muss analysiert und entschieden werden, welche mit der jeweiligen Automarke verbundenen Assoziationen dafür herangezogen werden.

So gelingt Porsche mit dem Taycan eine signifikante Weiterentwicklung, die aber dennoch ein echter Porsche geblieben ist. Die Aussage des als kritisch bekannten Autotesters Nano Sommerfeldt in der Welt am Sonntag unterstreicht diesen gelungenen Spagat: „Man spürt, dass der Taycan keine elektrifizierte Version eines klassischen Porsche ist. Er ist auch deshalb ein würdiger Tesla-Jäger, weil sich der Wagen besser fährt als Teslas Model 3 oder Model S. Sitze, Fahrwerk, Kurvenlage, Spaltmaße und die Verarbeitung sind perfekt. All das kann Porsche besser.“

Allen Lieferproblemen zum Trotz zeigt auch Volkswagen mit dem ID.3, wie die Transformation etablierter Marken in die Elektromobilität gelingen kann. So soll der ID.3, den „Blockbustern“ Käfer, Passat und Golf folgend, das erste bezahlbare Volumen-Elektroauto sein.

Verkäufer müssen statt Benzin Strom im Blut haben

Es geht um die Frage, welche gewachsenen Werte etablierte Automarken nutzen können, um sich im Zukunftsfeld der Elektromobilität zu differenzieren? Antworten darauf kann zum einen unsere Studie zu den Erfolgsfaktoren der Zukunftsfähigkeit von Automarken geben. Zum anderen kann mit qualitativ-psychologischen Image- und Markenwertstudien herausgefunden werden, welche Assoziationen und Werte mit einer Automarke verbunden werden und welche davon aus Sicht der Kunden und möglicherweise auch der Händler so zukunftsträchtig sind, dass sie als Differenzierungskriterien für Elektroautos genutzt werden können.

Quelle: puls Marktforschung / Elektromobilität Juni 2020

Eine Submarke wie „Audi e-tron“ kann die Differenzierung weiter schärfen. Ein wichtiges Asset etablierter Automarken sind auch die gewachsenen Händlernetze. Allen Untergangsszenarien des stationären Automobilhandels zum Trotz spielen nämlich Probefahrten und aktive Beratung nach allen unseren Projekterfahrungen bei der Anschaffung von Elektroautos auch im Online-Zeitalter eine wichtige Rolle. Entscheidend ist dabei, dass Elektroautos am POS eigenständig präsentiert und von Menschen verkauft werden, die sprichwörtlich nicht Benzin, sondern Strom im Blut haben.

Rabatte und Verkaufstricks führen nicht zum Ziel

Insgesamt bietet sich das ursprünglich aus der Politik stammende Nudging als Weg zur Gewinnung von Kunden für Elektroautos an. Beim „sanften Stupsen“ durch Nudging geht es darum, Menschen mittels hilfreicher (neutraler) Informationen bei ihren Kaufentscheidungen zu lenken. Beispiele wie das „Handbuch zur Elektromobilität“ von Nissan zeigen, dass dabei nützliche Tipps statt vordergründiger Werbung das Gebot der Stunde sind. Kunden dürfen sich nicht manipuliert fühlen, sondern sollten stets das Gefühl haben, selbstbestimmt eigene Kaufentscheidungen zu treffen.

Um zu einer gelenkten Kundengewinnung zu gelangten, sind klassisches Pushen über Preisnachlässe, Hinweise auf „unschlagbare“ Tageszulassungen oder „manipulative Verkaufstricks aller Art“ nicht zielführend. Um Lust auf Elektroautos zu schaffen, bieten sich vielmehr drei Wege an:

  1. Nutzen Sie andere Kunden mit ähnlichen Bedarfen oder (Micro-) Influencer als Promotoren. Fragen Sie zufriedene Nutzer von Elektroautos, ob sie persönliche Statements abgeben oder Teil einer Community werden wollen, bei der sie sich mit Verkäufern, anderen Kunden oder Interessenten austauschen können.
  2. Bieten Sie flexible On-Demand-Angebote beispielsweise über Kurzzeitleasing oder Auto-Abos an, die dann optional verlängert werden können, wie dies Mercedes mit dem EQC aktuell tut. Autos mit neuen, für die Kunden ungewohnten Antrieben und Ausstattungen brauchen unverbindliche Zugänge, um Kunden durch „User Experience“ zu überzeugen.
  3. Wer fragt führt: Laden Sie Interessenten zu einer (digitalen) Mobilitätsbedarfsanalyse ein und zeigen Sie auf diese Weise, dass viele Auto-Interessenten angesichts ihrer Fahrprofile mit einem Elektroauto optimal bedient sind, obwohl sie dies ursprünglich gar nicht auf dem Schirm hatten. Eine gut gemachte Bedarfsanalyse trägt auch dazu bei, die Nutzungskontexte von Elektroautos zu verstehen und damit deren Alltagstauglichkeit zu verbessern.