Achtung, auch Chef*innen bekommen Burnout!

Die Anforderungen an Führungskräfte steigen, und mit ihnen das Burnout-Risiko. Sieben Fragen an eine Mental-Health-Beraterin, die selbst betroffen war.
NL-Work-Culture-KW-35-23-header_c_Unsplash
Führungskräfte haben ein erhöhtes Burnout-Risiko (© Unsplash)

Laut einer McKinsey-Studie klagen 41 Prozent der Top-Führungskräfte in Deutschland über Burnout-Symptome. Christina Buchholz erlitt als Führungskraft bei Beiersdorf ein Burnout. Sie stieg aus dem Job aus, sattelte beruflich um und arbeitet seit 2021 als selbstständige Mental-Health-Beraterin. „Heute definiere ich mich nicht mehr über meinen Job“, sagt sie. Doch sie betont auch: „Die Umstände verantwortlich zu machen, ist leicht. In Wahrheit ist es unser aller Eigenverantwortung, auf sich zu achten.“ Trotzdem hat Buchholz auch für Arbeitgebende einen ziemlich langen Forderungskatalog und sagt: „Augen auf bei der Wahl der Führungskräfte!“ 

Viele gute Gründe also, um mit Christina Buchholz über mentale Gesundheit im Arbeitsleben zu sprechen. 

NL-Work-Culture-KW-35-23_c_Xenia-Bluhm
Christina Buchholz (© Xenia Bluhm)

Frau Buchholz, Sie selbst hatten als Führungskraft bei Beiersdorf ein Burnout. Was waren die Auslöser?

Ein Burnout ist immer eine Kumulationserscheinung. Das heißt, es kommt nicht von heute auf morgen, sondern entwickelt sich schleichend. Während meiner 13-jährigen Konzernkarriere habe ich ganz grundsätzlich ,über Gebühr‘ in die Arbeit investiert: Zu viel Anspannung, zu viel Stress, bei gleichzeitig zu wenig Regeneration.

In meinem persönlichen Fall kam zuletzt eine Führungsrolle im Ausland hinzu: eine Sandwichposition zwischen toxischer Geschäftsführung und extrem unglücklichem Team, in einem stark unter Druck stehenden Marktumfeld. Als Expat fern meines Heimatlands stieg das Missverhältnis zwischen Arbeits- und Privatleben noch stärker an, meine inneren Antreiber ,Du kannst alles schaffen, wenn Du Dich nur doll genug anstrengst‘, ,Du darfst keine Schwäche zeigen‘ oder auch ,Mach’ es allen recht‘ wurden lauter.

Hätten Sie ihr Burnout vermeiden können oder steckten Sie viel zu sehr im Hamsterrad?

Strukturelle Änderungen, die ich anstrebte, liefen immer wieder ins Leere. Monetäre und zeitliche Kapazitäten waren stets zu knapp. Je gestresster wir sind, je dünner unser Nervensystem, desto weniger Handlungsalternativen können wir noch wahrnehmen. Meine Rolle im Sandwich war damals sehr undankbar. Entscheidungsfreiheit und Selbstwirksamkeit waren viel zu gering.

Dass ,Stress krank macht‘, war für mich früher nicht viel mehr als ein ,Kalenderspruch‘, von dem ich dachte, dass er für mich nicht gelte. Genau diese Annahme beobachte ich auch bei meinen Klient*innen: Man geht immer davon aus, dass der Körper dem Kopf weiter folgen wird.

Dennoch hätte ich mein Burnout vermeiden können. Denn das entsteht viel mehr im Inneren als im Außen. Die Umstände verantwortlich zu machen, ist leicht. In Wahrheit ist es unser aller Eigenverantwortung, auf sich zu achten.

Ein Burnout entsteht viel mehr im Inneren als im Außen

Christina Buchholz, Mental-Health-Beraterin

Klassisches Klischee: Kommen zu Ihnen mehr Frauen und mehr Ältere?

In den vergangenen Jahren waren es mehr Frauen, mittlerweile sind Frauen und Männer unter meinen Klient*innen gleichauf. Im Schnitt sind sie Mitte bis Ende 30 Jahre alt. Meiner Erfahrung nach ist das genau der Zeitpunkt, in dem die bewährten Coping-Modelle, also das typische ,Der Stress steigt, also haue ich noch mehr rein‘ oder ,Ich bin jeden Tag müder, also trinke ich noch mehr Kaffee‘ an ihre Grenzen kommen. Der Körper gibt einem die Quittung für den jahrelangen Raubbau, den man an ihm betrieben hat.

Studien belegen, dass immer mehr Führungskräfte Burnout-gefährdet sind. Warum ist das so?

Es sind häufig gerade die unter Führungskräften anzutreffenden Eigenschaften, die den Weg in ein Burnout begünstigen. Dazu zählen vor allem extrem hohe Leistungsansprüche, höchste Erwartungen an sich selbst, starker Wille, hohe Verantwortungsbereitschaft und ein tradiertes Stärkenverständnis, also: keine Schwäche zeigen, selbst keine Mental Health-Angebote wahrnehmen, vermeintlich die Reputation wahren zu müssen, sowie ein starker Fokus auf die Identifikation mit der eigenen beruflichen Tätigkeit. Hinzu kommt die Überschätzung der eigenen – langfristigen – Leistungsfähigkeit. Das stressige Lebensgefühl hat sich über Jahre verselbständigt und wird inzwischen als normal eingeschätzt.

Was raten Sie Menschen, die bereits Symptome verspüren?

Sich einzugestehen, Hilfe zu benötigen, und seine eigene Verletzlichkeit zu akzeptieren, ist immer der größte Schritt. Wer bereits klare Burnout-Symptome an sich erkennt, sollte diese vor allem erst einmal sehr ernst nehmen und nicht weiter ignorieren oder mit Medikamenten, Kaffee oder anderen Substanzen gegenarbeiten.

Je nach Stadium der Krankheit empfehle ich entweder zügig eine individuelle Betreuung durch einen entsprechend ausgebildeten Coach oder den Gang zu einem Psychotherapeuten oder auch in eine Spezialklinik. Je schneller Hilfe in Anspruch genommen wird, desto besser die Chancen auf eine zügige Genesung beziehungsweise Kehrtwende.

Und wie kann man vorbeugen?

Präventiv empfehle ich, das Leben als Marathon statt als Sprint zu begreifen. Der Körper braucht regelmäßigen Ausgleich zwischen Anspannung und Entspannung. Es gilt deshalb, in Analogie zum Leistungssport, die Wichtigkeit der Regenerationsphase zu begreifen. Nur wenn ich diese regelmäßig richtig nutze, kann ich auch wieder in die volle Leistungsfähigkeit kommen. Es ist wichtig, Stressabbau ins Leben zu integrieren: Das Stresshormon Cortisol, das wir unter Stress ausschütten, muss regelmäßig abgebaut werden, damit es langfristig kein Unheil in unserem Körper anrichtet. Das geschieht primär durch Bewegung und Sport – ein in der Burnout Prävention unverzichtbarer Punkt. Und auch wenn es schwerfällt: Gerade in stressigen Zeiten ist eine regelmäßige und gesunde Ernährung extrem wichtig. Stress entzieht dem Körper wichtige Nährstoffe. Führen wir sie nicht durch die Nahrung wieder ausreichend zu, geraten wir schneller in die Abwärtsspirale.

Es ist wichtig, Stressabbau ins Leben zu integrieren.

Christina Buchholz, Mental-Health-Beraterin

Hilfreich ist auch: Sich täglich einen Termin im Kalender ganz für sich alleine blocken und seine ganz persönliche (Offline-)Pause zelebrieren. Etwa mit Atemübungen, Spaziergang an der frischen Luft, Meditation oder in die Stille gehen und den Blick schweifen lassen. 15 bis 30 Minuten sollte man dafür einplanen und diesen Termin genau so ernst nehmen, wie das Meeting mit dem oder der Vorgesetzten oder den Zahnarzttermin der Kinder.

Trotz aller Selbstverantwortung, müssen auch Unternehmen mehr tun, um ihre Führungskräfte besser zu unterstützen. Was fordern Sie?

Neben regelmäßigen Führungskräfte-Trainings und individuellen Coaching-Angeboten sollten Unternehmen eine vertrauensvolle Firmenkultur schaffen. Also ein Umfeld, in dem die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Mitarbeitenden geschätzt werden. Grenzen zu setzen und zu respektieren, beispielsweise keine Arbeit am Wochenende oder am Abend, muss von ganz oben vorgelebt werden. Dasselbe gilt für das Ermöglichen psychologischer Sicherheit: Jede*r muss seine oder ihre Ideen und Kritik ohne Verurteilung einbringen dürfen. Über Schwächen, Zweifel und Fehler, aber auch über gesundheitliche Themen muss offen gesprochen werden.

Wenn das Zeigen von Verletzlichkeit von oben nach unten vorgelebt wird, hat das oft beeindruckende Folgen auf das Wohlbefinden, den Mut, die Motivation und am Ende auch wieder auf die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter*innen.

Last but not least, heißt es für Unternehmen: Augen auf bei der Auswahl ihrer Führungskräfte, denn nicht alle sind gemacht, um Führungskraft zu sein. Neben fachlicher Kompetenz sollte immer auch auf Menschlichkeit, Empathie, Kommunikationsfähigkeit und eine gewisse Resilienz geachtet werden.

In diesem Sinne: Eine gesunde Woche und bleiben Sie gut drauf!

ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.