Ach, Amerika! Unternehmen verschweigen ihr ESG-Engagement  

Um kein Aufsehen zu erregen, sprechen immer weniger Chief Financial Officer von US-Unternehmen über Nachhaltigkeitsinitiativen. Unter anderem deswegen, weil sie die „Anti-woke“-Proteste fürchten. Und sonst? … bewerten große Händler das Thema Nachhaltigkeit ganz unterschiedlich.  
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Grünen Initiativen gegenüber gibt es auch Gegenwind - vor allem in den USA. (© Unsplash )

Purpose? Haltung? Oder geschmeidige Investoren, weniger Anecken in der Öffentlichkeit und keine lästigen Debatten mit der eventuell rechtsgerichteten Kundschaft? Immer mehr Unternehmen in den USA scheinen sich für letztere Variante zu entscheiden. 

Das Wall Street Journal meldet im Artikel „Companies Quiet Diversity and Sustainability Talk Amid Culture War Boycotts“, dass Unternehmen in den USA in ihrer öffentlichen Finanzberichterstattung, den earning calls, seltener über ihre Nachhaltigkeitsinitiativen sprechen. Finanzchefs und andere Führungskräfte seien in der Öffentlichkeit deutlich leiser geworden, wenn es um ihre Bemühungen um Umweltschutz und Mitarbeitervielfalt gehe.  

Mit dem Sturmgewehr gegen Bud-light 

Die Gründe sind deprimierend: Investoren wollten, dass sich die Firmen mehr auf ihr Geschäft und weniger aufs Gemeinwohl fokussieren. Und konservative Gruppen und politische Personen nutzten das Engagement der Unternehmen, um Stimmung gegen sie zu machen und „anti-woke“ Wähler zu mobilisieren. Zum Beispiel, indem sie zum Boykott von Marken aufrufen, die mit ihrer Unterstützung für die LGBTQI+-Gemeinschaft werben, wie jüngst bei Bud Light. Zur Erinnerung: Anheuser-Busch Inbev hatte für seine Biermarke mit der Transgender-Influencerin Dylan Mulvaney geworben. Trump-Anhänger fanden das nicht so gut – wie unter anderem ein Video beweist, in dem der rechte Musiker Kid Rock mit einem Sturmgewehr Bud Light-Dosen niedermäht. 

„Am einfachsten ist es, sich aus der Debatte herauszuhalten und andere Facetten des Geschäfts zu betonen, die als weniger kontrovers und mehr als Kern der traditionellen Geschäftskennzahlen wahrgenommen werden“, wird Jason Jay, leitender Dozent für Nachhaltigkeit am Massachusetts Institute of Technology, zitiert. Ach, Amerika. Land of the free. 

Hier passt ein Buchtipp, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: „Mein wütendes Land: Eine Reise durch die gespaltenen Staaten von Amerika“ von Evan Osnos. Da lässt sich nachlesen, wie es zu solch einer Kommunikationskultur kommen konnte. 

Das einzig Gute an dieser Meldung: Die Unternehmen agieren dennoch nachhaltig. Sie reden bloß nicht drüber.  

Gegen den Willen der Gesellschaft? Echt?? 

Themenwechsel: Daniel Terberger, Chef des Modedienstleisters Katag, hat dem “Handelsblatt” ein bemerkenswertes Interview gegeben, Headline: „Manche Modehändler befinden sich im Todesstrudel“. Katag beliefert Modehändler mit Mode sowie Dienstleistungen wie Software, Versicherungen und der Anbindung an Onlinemarktplätze. Auf die Frage, ob er sich angesichts der Insolvenzwelle im stationären Modehandel um sein eigenes Geschäftsmodell sorgt, antwortet Daniel Terberger: „Selbstverständlich, weil die Veränderungsgeschwindigkeit gewaltig ist. Die Verengung auf ökologische Nachhaltigkeit bedroht unser Geschäftsmodell in den Wurzeln – und ist gegen den Willen der breiten Gesellschaft, zu deren Lebensfreude auch Mode gehört.“  

Hui. Bei allem Verständnis für die Nöte des Einzelhandels scheint diese Argumentation doch etwas verkürzt. Als Kontrapunkt sei das ebenfalls im “Handelsblatt” erschienene Interview mit Reinhard Schneider, Chef der Ökomarke Frosch, empfohlen, Headline: „Deutschland ist der Bremser der Ökologie“

Peek & Cloppenburg eröffnet Conscious Fashion Store 

Währenddessen meldet die angeschlagene Modekette Peek & Cloppenburg mit Sitz in Düsseldorf – seit dem 1. Juni offiziell im Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung – die Eröffnung eines Conscious Fashion Store am Potsdamer Platz in Berlin. Damit will P&C „einen Raum schaffen, um neue Ansätze in nachhaltigerer Mode und bewussterem Konsum zu testen und zu festigen. Von der Architektur über die Inneneinrichtung bis zur Auswahl der Kleidungsstücke soll der Store ein Schritt hin zu mehr Nachhaltigkeit sein.“ Zudem solle der Store eine Plattform für unterschiedliche Speaker*innen, Events und Services bieten, um das Thema Sustainability in der Mode ganzheitlich anzugehen. Das klingt nun – wie schön – so gar nicht nach „Todesstrudel“.  

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!  

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“